Debatte Rolle der Geheimdienste: Kirche des Terrors

Nach Vergleichen mit der Stasi muss sich die NSA nun fragen lassen, ob sie sich für Gott hält. Wenn sie es tut, unterliegt sie einem Missverständnis.

Unvorhersehbar ist, wo der Blitz einschlägt. Das produziert Angst. Bild: reuters

Wiederholt fragen Beobachterinnen, wo die Empörung bleibe im Angesicht des größten internationalen Geheimdienstskandals seit dem Kalten Krieg. Was wohl der Grund sei für die relative Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit gegenüber der enthüllten totalen Überwachung sämtlicher elektronischer Kommunikation – das würde man schon gerne wissen.

Dabei haben die nun bekannten, im wesentlichen technischen Maßnahmen zur Sammlung und Auswertung von Daten einen viel zu abstrakten Charakter, um als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen zu werden. Es fehlt der Begriff für das, was da im Namen unserer Sicherheit geschieht; ein Begriff der deutlich macht, welch monströse Ausmaße der Apparat hat und welche Gefahren von ihm ausgehen.

Um eine lethargische Öffentlichkeit vielleicht doch zum Nachdenken oder gar zur Gegenwehr anzuregen, sind die Kritikerinnen der Überwachung nicht zufällig auf der Suche nach griffigen, nachvollziehbaren Bildern. Dabei bedienen sie sich möglichst universell verständlicher Symbole wie der Stasi (literarischer: Big Brother) oder gehen kulturgeschichtlich gleich in die Vollen und fragen, ob die NSA sich etwa für Gott halte (so Frank Rieger auf faz.net).

Das ist eine naheliegende Frage. Von ihrer positiven Beantwortung könnte die politische Zukunft der Geheimdienste abhängen. Wie Günter Hack vom ORF anmerkt, würde die Allmachtsvermutung ein völlig neues Problemfeld für die Dienste eröffnen. So müssen sie sich fragen lassen, warum es trotz ihrer Kontrolle über jede Bewegung, jede Information, denn überhaupt noch Terror gibt. Jeder Anschlag würde die Gottheit der geheimen und allmächtigen Wachtruppe des westlichen Friedens unglaubwürdiger werden lassen.

Die unvorhersehbare Katastrophe

Dass der Terror aber bleibt, und dass kein noch so mächtiger und informierter Apparat jeden Anschlag verhindern kann, liegt in der Natur der Sache. Der außergewöhnliche, gewalttätige Ausbruch ist so selten und statistisch so schwer zu fassen, dass er per Datensammlung vielleicht in Einzelfällen, aber eben nicht als historisches Phänomen verhinderbar ist – im Ereignisfall also auch den Geheimdienst überraschen muss.

Der Terroranschlag ist die im Zweifelsfalle unvorhersehbare Katastrophe, wahrgenommen wie ein plötzliches Naturereignis. Er ist Verkörperung des niemals letztgültig Fassbaren und in seiner Gewalt rational nicht Erklärbaren: Der Terror ist die allmächtige Entität, nicht die Dienste. Der Terror ist Gott, ihr Gott.

Die Geheimdienste sind, um im Bild zu bleiben, die Kirche des Terrors. Aus ihm ziehen sie ihre Legitimation. Ihre Tempel und Klöster sind die gewaltigen Rechenzentren und die langen anonymen Bürokorridore. Sie haben ihre geheimen Orden, geheimen Regelwerke und eine geheim tagende Inquisition. Ihre Orthodoxen sind die Pofallas und Friedrichs, ihre Häretiker die Snowdens und Mannings und die unvermeidlichen zahllosen Verschwörungstheoretiker. Ihr Heilsversprechen ist Sicherheit.

Erstarrt in Gottesfurcht

Die Bevölkerung der westlichen Welt, deren vergleichsweise hoher Wohlstand ihnen einen so zivil erscheinenden Alltag beschert, konstituiert die Gemeinschaft der Gläubigen der Kirche des Terrors. Gottesfürchtig im allerengsten Wortsinne erstarrt die Gemeinschaft vor der Unbeschreiblichkeit der Bedrohung dieses Alltags durch den Terror. Und wem will man schon verdenken, Angst vor brutaler physischer Gewalt zu haben, wie unwahrscheinlich die direkte persönliche Betroffenheit auch sein mag.

Solange der Terror aber diese alles transzendierende quasireligiöse Furcht auslöst, und das ist sein einziger Daseinszweck, solange wird seine Kirche keiner ernsthaften Revision unterzogen werden können. Wer Geheimdienste unter demokratischere Kontrolle stellen will, ohne ihren vorgeblichen Zweck ernsthaft in Frage zu stellen, kann nur scheitern.

Den Glauben an den Terror zu brechen, ohne die Realität seiner Existenz zu leugnen, dafür braucht es eine Begrifflichkeit. Seine Kirche mit ihren Geheimgesetzen und -orden braucht derweil keine Reform, sondern eine gesellschaftliche Aufklärung, die sie schließlich obsolet macht. Mit großer Macht, geht nicht selten große Hybris einher.

Halten die NSA und vergleichbare Dienste sich also in stumpfer Verblendung für Gott? Mag sein, die interessantere Frage jedoch ist, wofür wir die Geheimdienste halten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Public key: https://pgp.mit.edu/pks/lookup?op=vindex&search=0xC1FF0214F07A5DF4

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.