Debatte Strompreis: Blockieren wie beim Catenaccio

Das Gesetz zu Erneuerbaren Energien ist richtig. Um glaubhaft zu bleiben, muss die Lobby jetzt aber aufhören, sinnlose Subventionen zu nutzen.

Alles voll: Kann es auch zu viele Windräder geben? Bild: dapd

Als hätte es die Energiewende nie gegeben: Im Herbst 2012 stehen sich in der Strompreisdebatte wieder die alten Lager gegenüber. Auf der einen Seite etwa Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka, der eine Kostenexplosion bei den Erneuerbaren vorhersagt, sekundiert von den Freunden der großen Energiekonzerne aus der FDP; auf der anderen Seite die Grünen und die Branchenverbände der Erneuerbaren, die jede Beschwerde über steigende Stromkosten als Versuch zurückweisen, die Energiewende zu stoppen.

Die Frage ist nur, ob man sich auf diese Interpretation einlässt. Denn natürlich kommt die Kostenfrage dem Wirtschaftsflügel von Union und FDP höchst gelegen, um die Energiewende auszubremsen; aber ebenso gelegen käme der Erneuerbaren-Branche, den Konflikt um steigende Strompreise ausschließlich einem Manöver der Energiewende-Gegner zuschreiben zu können, weil sie dann nicht über ihren eigenen Anteil daran debattieren müsste: über fehlgeleitete und sinnlose Subventionen.

Um die jetzige Debatte um das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu verstehen, hilft ein Blick in dessen Entstehungszeit im Jahr 2000. Im Kanzleramt regierte der „Genosse der Bosse“ Gerhard Schröder (SPD), im Wirtschaftsministerium Werner Müller, ein Freund der großen Energiekonzerne. Die Initiative zum EEG ging nicht von ihnen aus, sie kam aus den Fraktionen von SPD und Grünen, darunter dem ausgewiesenen SPD-Linken Hermann Scheer.

Sich auf eine staatliche Finanzierung eines Umstiegs zu Erneuerbaren zu verlassen, schien ihnen nicht ratsam, auch weil solche Programme je nach Haushaltslage und politischer Befindlichkeit wieder eingestellt werden konnten. Änderungen im EEG müssen dagegen als Einzelgesetz den gesamten Gesetzgebungsprozess durchlaufen. Der Bundesrat ist zwar nicht zustimmungspflichtig, kann den Prozess aber entscheidend verzögern und damit Zeit für Kompromissverhandlungen erzwingen.

Keine Alternative zum EEG

In dieser taktischen Frage liegt der Grund, warum auch SPD-Linke das EEG bis heute für alternativlos halten. Dabei widerspricht die EEG-Umlage sozialdemokratischen Gerechtigkeitsvorstellungen. Sie wirkt wie eine Mehrwertsteuererhöhung, belastet also die unteren Einkommen überproportional. Hartz-IV-Empfänger zahlen bis heute überdurchschnittlich für Solar- und Windkraftanlagen.

Aus diesem Grund hat einer der sinnvollsten Vorschläge in der jetzigen Debatte keine Chance: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen befürwortet das Einfrieren der auf die Verbraucher umgelegten EEG-Umlage bei den aktuell 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Alle weiteren Steigerungen würden dann aus dem Staatshaushalt finanziert. Aber die Idee müsste durch denselben Bundesrat, der damit sein zukünftiges Einspruchsrecht abschaffen würde.

Über solche taktischen Beweggründe redet die Erneuerbaren-Lobby nicht gerne – stattdessen wirft sie Nebelkerzen: etwa über die sinkenden Börsenpreise durch Solar- und Windkraftanlagen (stimmt, aber weil Rot-Grün kein Gesetz zur Strompreisaufsicht verabschiedet hat, das dazu verpflichten würde, die sinkenden Preise weiterzugeben, nutzt dies den Verbrauchern nichts) oder über die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage (stimmt ebenfalls, würde aber angesichts der Angst der SPD vor einer Industrieabwanderung ins Ausland auch von der nächsten rot-grünen Bundesregierung nicht verändert).

Taktisch ist das Konzept der EEG-Befürworter bislang aufgegangen. In den bisherigen Kürzungsdebatten, in denen es vor allem um die Solarförderung ging, konnten allzu rabiate Einschnitte spätestens durch den Bundesrat abgebogen werden. Aber die Regelung, die falsche Kürzungen erschwert, macht auch sinnvolle Kürzungen schwieriger. Die Erneuerbaren-Lobby hat dies zu einer gewissen Bunkermentalität verführt.

Alles mitnehmen

Bisher verhielt sie sich in den Debatten um die EEG-Förderung nämlich wie italienische Fußballmannschaften zu Zeiten des unseligen Catenaccio: Nach dem frühen 1:0 (in diesem Fall: der Einführung des EEG) wird hinten dichtgemacht und alles weggegrätscht, was aufs eigene Tor zuläuft. Überförderungen und sinnlose Subventionen werden von der Erneuerbaren-Branche so lange mitgenommen, bis Verbraucherschützer und der Wirtschaftsflügel der Regierung dagegen Sturm laufen, dann wird zunächst die Öffentlichkeit gegen die (angeblichen und tatsächlichen) Erneuerbaren-Gegner mobilisiert. Erst wenn die Positionen nicht mehr zu halten sind, knickt die Branche ein. Die Erneuerbaren-Lobby ist eben eine Lobby wie andere auch.

Jetzt, wo ein Anstieg der EEG-Umlage von 3,5 auf 5 Cent erwartet wird, steht das gesamte Gesetz zur Disposition – eine Debatte, die sich die Branche selbst mit eingebrockt hat. Siehe etwa die Förderung von Solaranlagen auf Freiflächen: Schon vor zwei Jahren strich die Bundesregierung die Zuschüsse für Solaranlagen auf Äckern, nachdem vor allem in Bayern Weiden mit Fotovoltaikanlagen zugepflastert worden waren.

Doch ein Schlupfloch blieb: Solaranlagen auf sogenannten Konversionsflächen wurden weiter gefördert. Es kam, wie es kommen musste: Solarprojektierer bestückten frühere Militärgelände mit gigantischen Anlagen. Auch deshalb wurde im letzten Jahr der von der Bundesregierung geplante Solarzubau um das Doppelte übertroffen.

Was könnten die Befürworter der Erneuerbaren tun? Zunächst müssten sie ihre Taktik ändern und das Streichen unnötiger Subventionen von selbst anbieten. Sie könnten den Vorschlag von CDU- und FDP-Vertretern zur Senkung der Stromsteuer unterstützen. Sie könnten sich dafür einsetzen, dass wenigstens der Netzausbau aus dem staatlichen Haushalt statt von den Verbrauchern gezahlt wird.

Vor allem aber müssten sie signalisieren, dass sie die Sorge um steigende Strompreise ernst nehmen. Denn wenn Konservative und Wirtschaftsliberale über Jahre hinweg mit den Interessen der sogenannten Normalbevölkerung gegen die Energiewende argumentieren können, haben linke Parteien und Ökologen etwas falsch gemacht.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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