Debatte Syrien und Irak: Die Arroganz der Linken

Für viele Linke sind russische Bomben halb so schlimm. Sie plappern Assads Propaganda nach und diffamieren etwa die Weißhelme.

Menschen bei einer Beisetzung, im Hintergrund Rauchsäulen

Beisetzung von Kriegstoten in Mossul, Irak Foto: dpa

In Mossul, der letzten Hochburg des „Islamischen Staates“ im Irak, sind in der vergangenen Woche Berichten zufolge über 200 Zivilisten durch US-amerikanische Bomben getötet werden. Rettungskräfte vor Ort gehen mittlerweile sogar von über 500 Todesopfern aus. Ähnliche hohe Zahlen sind auch in Syrien zu beklagen. Laut Airwars, einer britischen Organisation, die Luftangriffe beobachtet, sind dort seit Januar mehr Menschen durch amerikanische als durch russische Luftangriffe getötet worden.

Airwars unterscheidet nicht zwischen den Folgen der Luftangriffe Russlands oder jener der westlichen Anti-IS-Koalition. Die Organisation hat zwar angekündigt, russische Bombardements vorerst weniger zu beobachten, doch nur aufgrund begrenzter Ressourcen. Für sie bleibt klar: Egal, von wem die Bomben stammen, sie zerstören, töten und säen nicht nur Terrorismus, sondern terrorisieren auch selbst. „Terrorismus ist der Krieg der Armen, und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen“, schrieb Peter Ustinov einst. Nichts macht dies deutlicher als die Realität im Nahen Osten.

Dennoch gibt es Menschen, die weiterhin zwischen guten und schlechten Bomben unterscheiden. Überraschenderweise handelt es sich bei ihnen keineswegs nur um die Vertreter von Nato-Denkfabriken oder etwaigen transatlantischen Organisationen, die immer noch überzeugt sind, man könnte Demokratie und Freiheit herbeibomben.

Vielmehr sind es die Anhänger einer angloamerikanischen, vermeintlich antiimperialistischen Linken, die die Welt weiterhin in schwarz und weiß einteilen und deshalb glauben, dass nur die Bomben Washingtons zu verurteilen sind.

Kriegsverbrechen dokumentiert

Deutlich wurde dies zuletzt wieder vor wenigen Tagen, als eine Moschee in Aleppo während des Abendgebets von US-amerikanischen Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde. Über 50 Menschen wurden bei dem Angriff getötet. Kurz nach dem Angriff war sie da, die Empörung jener Linken, die in den Wochen zuvor zu den russischen Bombardements schwiegen oder diese gar feierten. Immerhin handelt es sich hier um jenes Aleppo, dessen Einnahme durch das Assad-Regime im vergangenen Dezember von vielen, vermeintlich kritischen und alternativen Kreisen einschließlich russischer und iranischer Propagandasender als „Befreiung von Terroristen“ bejubelt wurde.

Eine wichtige Rolle spielten nach dem Angriff auf die Moschee die syrischen Weißhelme – der aus freiwilligen Helfern bestehende und von westlichen Gebern unterstützte Zivilschutz. Sie retteten nicht nur viele Bombenopfer, sondern veröffentlichten auch deren Namen und machten darauf aufmerksam, dass dieses Mal die Täter in Washington saßen.

Der Syrienkrieg offenbart eine Täter-­Opfer-Umkehr aufaller­höchstem Niveau

Die Weißhelme sind für ihre heldenhaften Einsätze inzwischen weltberühmt. Sie erhielten den alternativen Nobelpreis und eine Dokumentation über sie wurde vor Kurzem mit einem Oscar ausgezeichnet. Doch dem Assad-Regime und seinen Verbündeten sind sie ein Dorn im Auge, dokumentieren sie doch ihre Kriegsverbrechen.

Alle Vorwürfe widerlegt

In den letzten Monaten versuchten fleißige Propagandisten – darunter auch viele Journalisten, die regelmäßig für linke oder alternative Medien schreiben – die Weißhelme zu diffamieren. Mal wurde ihnen vorgeworfen, ihre Einsätze zu inszenieren. Mal hieß es, sie seien praktisch Mitglieder der al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front in Syrien oder aber Werkzeuge des US-Imperialismus, um einen Regime-Change herbeizuführen.

Diese und weitere ähnliche, fast wortgleiche Vorwürfe waren übrigens auch seitens des Assad-Regimes zu hören, einschließlich des Diktators höchstpersönlich. Mittlerweile scheinen nicht nur in den Folterzellen des Regimes die Worte Assads Gesetz zu sein, sondern auch in manchen Redaktionsstuben. Dass die Weißhelme im Fall der bombardierten Moschee in Aleppo auf amerikanische Kriegsverbrechen aufmerksam machten, passte den „kritischen“ Herrschaften jedoch gar nicht ins Bild.

De facto wurden alle Vorwürfe, die gegen die Weißhelme im Raum standen, bereits widerlegt. Zahlreiche Journalisten, Analysten und Beobachter des Krieges in Syrien sind zum Schluss gekommen, dass die medialen Angriffe gegen die ehrenamtlichen Lebensretter Teil einer organisierten Schmierenkampagne sind. Diese wiederum ist Teil jenes Informationskrieges, der vom Assad-Regime und dessen russischen und iranischen Verbündeten in Gang gebracht wurde, um die Deutungshoheit über den Konflikt für sich zu gewinnen. Ausgerechnet jene Kreise, die sich selbst stets als kritisch und unabhängig betrachten, saugen in diesem Fall weiterhin wie ein nasser Schwamm die Propaganda auf.

Unterm Strich kann man deshalb weiterhin mit gutem Gewissen behaupten, dass es sich bei den Weißhelmen tatsächlich „nur“ um Lebensretter handelt, die unter extrem schwierigen Umständen ihr Leben aufs Spiel setzen. 166 Weißhelme sind bereits tot, ermordet durch Luftangriffe.

Niveaulose Täter-Opfer-Umkehr

Doch für jene, die sich selbst für aufgeklärt halten und stets überzeugt sind, jedweden Konflikt verstanden zu haben, spielt das keine Rolle. Stattdessen wirft man mit Wörtern wie „Geopolitik“ oder „Regime-Change“ um sich und maßt sich an, über Millionen von Menschen zu urteilen und für sie zu sprechen. Menschen, deren Schicksale man nicht im geringsten Ausmaß kennt, genauso wenig wie deren Land, Geschichte und Kultur.

Der Syrienkrieg macht diese Art der Arroganz präsenter denn je. Sie hat es möglich gemacht, dass Diktator Assad, dessen Regime Hunderttausende von Menschen ermordet und Millionen weitere vertrieben hat, zum harmlosen Augenarzt relativiert wird, während all seine Opfer als Terroristen, Islamisten oder Nato-Agenten diffamiert werden. Hauptsache, sie sind keine Menschen.

Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr auf allerhöchstem Niveau. Sie ist das Resultat einer selektiven Wahrnehmung, die es vielen Menschen im Westen erleichtert, sich mit dem skrupellosen Assad-Regime zu identifizieren. Währenddessen bleiben jene, die sich jahrelang gegen die Diktatur wehrten und dies auch weiterhin tun, unsichtbar.

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geboren 1991, ist Journalist, Blogger und Gründer von Drone Memorial, einer virtuellen Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer. Er verfolgt den Krieg in Syrien und Irak seit Langem, vor allem in Menschenrechtsfragen, aber auch in Bezug auf die Haltung der Linken zu den Konflikten.

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