Debatte Syrien und Iran: Noch Hoffnung für ein kaputtes Land

Findet sich ein Kompromiss in den Nuklearverhandlungen, könnte das viele Syrer hoffen lassen. Zwei gegenteilige Szenarien sind denkbar.

Noch ein Hoffnungsstreifen am Horizont für Syrien? Bild: dpa

Ein Nuklearabkommen könnte auch Hoffnung für Syrien bedeuten. In diesen Tagen jährt sich der Aufstand in Syrien zum vierten Mal; zugleich treten die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm in ihre letzte, alles entscheidende Phase. Gibt es da einen Zusammenhang: zwischen diesem bedrückend trostlosen Jahrestag einerseits und der ermutigenden Aussicht andererseits, es könne endlich einmal ein Konflikt bewältigt werden, ohne zuvor sinnlose Kriege zu führen?

Zunächst: Was den Status quo betrifft, liegt ein Zusammenhang auf der Hand. Der syrische Diktator Baschar al-Assad hält sich mit iranischer Hilfe an der Macht – und dies lässt sich nicht erklären, ohne auf die westliche Isolationsstrategie zu blicken, die das Verhältnis zum Iran jahrzehntelang bestimmte. Eine Isolation, die sich mit der Dämonisierung des iranischen Atomprogramms bestens verkaufen ließ.

Wer diese Lesart bezweifelt, sei an die Anfänge der syrisch-iranischen Entente erinnert. Zwei so ungleiche Systeme wie eine revolutionär gesinnte Islamische Republik und ein autoritär-sozialistisches, säkulares Syrien brachte keine politische Vision zusammen – und vorrangig auch nicht Religion. Es war ein antiamerikanisches, später auch antiisraelisches Zweckbündnis. Hafiz al-Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten, betrachtete den Iran nach der Revolution von 1979 nicht wie die übrigen arabischen Staatschefs als Bedrohung.

Dass ein iranischer Geistlicher im Libanon ihm sechs Jahre zuvor bescheinigt hatte, er gehöre als Alawit zu den Schiiten, sei folglich ein Muslim und kein Abtrünniger, verpflichtete Hafiz al-Assad zwar zu einer gewissen Dankbarkeit – doch zeigt die Episode zugleich, wie schwach sein religiöses Profil war. Der Iran wiederum hatte bei der Wahl seiner Verbündeten wenig Auswahl.

Die USA sollten den Iran drängen, Assad fallen zu lassen

Zurück in die Gegenwart. Heute hält Teheran in Damaskus einen Mann an der Macht, der Fassbomben auf seine eigene Bevölkerung wirft, jüngst vermutlich sogar Chlorgas. Dafür gibt es, was immer die Vorgeschichte war, keinerlei Rechtfertigung. Wer meint, die Moral sei bei westlichen Strategen besser aufgehoben, könnte auf die Idee kommen, den brisanten Moment der Nuklearverhandlungen für folgenden Appell zu nutzen: Die USA sollten den Iran bedrängen, Assad fallen zu lassen – anstatt, wie Außenminister John Kerry jüngst laut überlegte, mit dem Diktator nun doch zu verhandeln.

An der Vorstellung, Washington solle Druck auf Teheran ausüben oder gar das Nuklear-Dossier mit dem Syrien-Dossier verbinden, ist nur eines richtig: Ohne die Einbeziehung des Irans gibt es keine Lösung für Syrien. Dass der Westen dies bisher nicht hat wahrhaben wollen, war verantwortungslos. Aber Druck? Darauf hat die Islamische Republik schon in der Vergangenheit nicht in erwünschter Weise reagiert, und heute sind die USA obendrein zu solchen Überlegenheitsgesten kaum mehr in der Lage. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Irak ist der Iran gerade dabei, die USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ beiseitezuschieben; die Amerikaner, die sich eben noch als „Koordinatoren“ der Kämpfe gerierten, waren jüngst bei der wichtigsten Offensive nicht einmal dabei.

Es kann also nur diese Reihenfolge gelten: Kommt es zu einem Nuklearabkommen, könnte dies auch Hoffnung für Syrien wecken. Weil Teheran in jenem Maße gesprächsbereiter wird, wie der Iran in seiner gestärkten Position als regionale Mittelmacht anerkannt wird. Außenminister Dschawad Sarif, der die Nukleargespräche unermüdlich vorantreibt, drückt das so aus: Es sei „oberste Priorität, die internationale Anti-Iran-Kampagne zu besiegen“, die den Iran stets als Sicherheitsrisiko porträtiert habe. Stattdessen müssten „Irans legitime nationale Interessen und Sicherheitsbedenken anerkannt und respektiert“ werden.

Blicken wir also für einen Moment auf den Syrienkrieg aus der Perspektive Teherans. Dass hier ein Diktator Krieg gegen sein eigenes Volk führt, ist unsere Sicht. Die iranische Sicht ist eine andere, nicht nur in Kreisen des Regimes: Der Iran bewahre Syrien (wie auch den Irak) vor dem Staatszerfall. Wir sagen: Der Iran führt auf dem Rücken der syrischen Zivilbevölkerung einen Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien.

Der Iran sagt: Wir bekämpfen einen Terrorismus, der von den Alliierten des Westens – Saudi-Arabien, Katar, der Türkei – unterstützt wird und die ganze Region bedroht. Anders als der Westen, dessen Politik gegenüber Assad immer widersprüchlich blieb, ist Irans Darstellung vergleichsweise kohärent. Der Gegner wird in den Staatsmedien stets „takfiri“ genannt, eine arabische Bezeichnung für jene Muslime, die sich anmaßen, missliebige Glaubensgenossen als Apostaten, als Abtrünnige zu deklarieren und damit ihre Tötung zu rechtfertigen. Der sunnitische Extremismus werde in Zukunft noch schlimmer werden, in einer kollabierenden arabischen Welt.

Dieses Bedrohungsszenario wird von vielen Iranern geteilt, vielleicht auch, weil andere Sichtweisen auf Syrien schwer zugänglich sind. Die Demokratiebewegung von 2009, die den Arabischen Frühling begrüßt hatte und sich selbst als Vorläufer dieser Bewegungen sah, ist verstummt. Und in der Darstellung des Kriegs, wie der Iran ihn führt, existieren keine zivilgesellschaftlichen Akteure, die zur Identifikation einladen würden. Die zivilen Opfer des Kriegs werden zwar mit den Zahlen der Vereinten Nationen korrekt benannt, aber es sind nie Opfer Assads.

Es braucht eine Kompromissfigur wie Hamid Karsai

Von Assad ist auch sonst wenig die Rede; anscheinend will sich niemand auf ihn festlegen. Mostafa Sahrani, Leiter des Teheraner Instituts für Politische und Internationale Studien, eines wichtigen außenpolitischen Thinktanks, nannte kürzlich folgende Kriterien für eine Lösung des Syrienkonflikts: Syriens staatliche Einheit müsse erhalten bleiben. Und es gebe keine militärische Lösung, nur eine politische. Der Westen müsse Libyen als warnendes Beispiel vor Augen haben. Nach Assad gefragt, antwortete Sahrani: „Das Ausland sollte den Weg bereiten, damit die Syrer selbst entscheiden können, was sie wollen. Wir sollten keine Bedingungen für den Ausgang stellen.“ Das hieße: Der Iran drängt Assad nicht zum Rücktritt, stützt ihn aber auch nicht um jeden Preis.

Hossein Mousavian, einst führender Außenpolitiker unter dem Reformpräsidenten Mohammad Chatami, brachte jüngst das afghanische Beispiel in Erinnerung. Um Assad zu ersetzen, brauche es eine Kompromissfigur wie seinerzeit Hamid Karsai. Der sei, obwohl westlich orientiert, 2001 vom Iran vorgeschlagen worden.

Für seine damalige konstruktive Rolle wurde der Iran nicht etwa belohnt, sondern bestraft. Kaum war der Friedensplan auf dem Bonner Petersberg beschlossen, setzte US-Präsident George Bush den Iran auf die Achse des Bösen. Spätere Versuche Teherans, mit den USA über ein umfassendes regionales Friedens- und Sicherheitspaket zu verhandeln, stießen in Washington auf blankes Desinteresse.

Diese Geschichten müssen noch einmal erzählt werden, um zu verstehen, warum die Lage im Iran heute so kompliziert ist. Ali Chamenei, als geistlicher Führer seit 1989 im Amt, ist von derartigen Demütigungen geprägt. Er gibt Präsident Hassan Rohani zwar Rückendeckung für die Nukleargespräche, doch warnt er immer wieder davor, sich „mit dem Gegner zu befreunden“, mit den „arroganten Mächten“ – eine dreißig Jahre alte Formulierung aus der Zeit des iranisch-irakischen Kriegs. Der Westen stand damals aufseiten Saddam Hussein. Der Teil der iranischen Bevölkerung, der verlässlich loyal zu Chamenei steht, hat sich seit der Legitimitätskrise von 2009 verringert. Um die verbliebene Basis des Regimes zu festigen, wird das Narrativ vom „Widerstand“ immer wieder belebt – auch wenn die reale Politik gerade von Annäherung geprägt ist. Oder gerade deswegen.

Und die Hardliner, die Chamenei für die Entspannungspolitik in der Nuklearfrage stets neu gewinnen muss, halten aus ideologischen Gründen am Bündnis mit Syrien und der libanesischen Hisbollah fest – das ist „die Achse des Widerstands“. Qassem Soleimani, von Mythen umrankter Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, eines Zweigs der Revolutionsgarden für Auslandseinsätze, soll erklärt haben, man werde „Syrien bis zum Ende verteidigen“, was immer das heißen mag.

Mit Prognosen muss man, was den Iran betrifft, vorsichtig sein. Kommt es zu einer Einigung im Nuklearstreit, sind zwei Szenarien denkbar. Gestärkt durch den Erfolg gewinnt die Regierung von Rohani und Dschawad Sarif Handlungsspielraum, auch für eine mögliche Beendigung des Syrienkriegs. Doch auch das Gegenteil ist möglich: dass die Entspannungspolitiker nun bis auf Weiteres in ihre Schranken gewiesen werden. Hoffen wir auf das erste Szenario.

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