Demo der Abtreibungsgegner: Christliches Gewand für Nationalisten

Für das Leben wollen die „Lebensschützer“ sein. Dabei bewegen sie sich gerne in der Nähe menschenverachtender rechtsradikaler Ideologie.

In jedem Jahr gibt es Proteste gegen den „Marsch für das Leben“ Bild: dpa

Mit einem sogenannten „Marsch für das Leben“ wollen am Samstag Antifeminist*innen, christliche Fundamentalist*innen und Nationalist*innen durch Berlin ziehen. Unter dem Motto „Ja zum Leben – für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“ fordern sie ein europaweit komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und Sterbehilfe.

Organisiert wird der Marsch, der schon seit mehreren Jahren am letzten Septemberwochenende in Berlin stattfindet, vom „Bundesverband Lebensrecht e.V.“, einem Dachverband von derzeit 13 „Lebensschutz"-Gruppen. Unterstützung bekommen die „Lebensschützer“ dabei sowohl von hochrangigen Vertretern der Kirchen und der CDU, als auch aus dem Umfeld der Neuen Rechten.

Die „Lebensschützer“-Szene tritt seit den späten 1960er Jahren öffentlich in Erscheinung. Ihr Kernthema ist die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot von Abtreibungen. Zunehmend gerät aber auch Sterbehilfe in den Fokus der Bewegung, die keinen Eingriff in „Gottes Plan“ dulden will. Liberalere Sexualmoral, Geschlechter-Gerechtigkeit, die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften oder selbst den Zugang zu Verhütungsmitteln lehnen sie ab. Dahinter steht oft ein christlich fundamentalistisches Weltbild, das die Säkularisierung der Gesellschaft als die Quelle allen Übels ausmacht.

Demonstrationen und „Gehsteigberatungen“

Neben umfassender Lobbyarbeit und regelmäßigen Demonstrationen versuchen „Lebensschützer“ in den letzten Jahren zunehmend in Form sogenannter „Gehsteigberatungen“, Frauen vor Schwangerschaftsberatungsstellen abzupassen und hinsichtlich ihrer Entscheidung zu bedrängen und zu verunsichern. Beliebte Hilfsmittel dabei sind Embryomodelle aus Plastik, die bei den Frauen Schuldgefühle hervorrufen sollen, aber tatsächlich wenig mit einem Fötus in der zehnten Schwangerschaftswoche gemein haben.

Laut §218 StGB sind Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig, bleiben allerdings bis zur zwölften Woche straffrei, sofern die Frau eine Beratung besucht und eine Bedenkzeit von drei Tagen abwartet. Explizit gesetzlich erlaubt sind sie lediglich bei medizinischer oder kriminologischer Indikation. Feminist*innen kritisieren diese Praxis als entmündigend und bevormundend. So fordern auch beide Bündnisse, die am Samstag zu Gegenprotesten aufrufen, den uneingeschränkten Zugang zum Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch.

Von „Ja zum Leben" bis „Deutschland treibt sich ab“

Das Auftreten und die Rhetorik der Mitglieder des „Bundesverbands Lebensrecht e.V.“ (BvL) erscheinen auf den ersten Blick moderat. Die Hilfe für Schwangere wird ins Zentrum gesetzt, das „Ja zum Leben“ steht im Mittelpunkt, vielfach ist von „Menschenwürde“ die Rede. Im Onlinebereich zeigt sich jedoch: Oft genügen nur wenige Klicks auf den einschlägigen Seiten, um Verbindungen der „Lebensschutz“-Bewegung zu Teilen der „Neuen Rechten“ zu entdecken.

Hierbei stellen nicht nur Antifeminismus und Homophobie eine ideologische Schnittmenge zwischen christlichen „Lebensschützern“ und dem Weltbild der „Neuen Rechten“ dar. Immer wieder zeigt sich der „Lebensschutz“ offen und anschlussfähig gegenüber nationalistischen und rassistischen Argumentationen. Dabei dient vor allem der demographische Wandel als Ausgangspunkt.

Im Geburtenrückgang der letzten Jahrzehnte erblicken die Vertreter*innen der „Neuen Rechten“ sogleich das drohende Aussterben des „deutschen Volkes“. Während das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in der christlichen Rhetorik dem vermeintlichen Dienst an Gott untergeordnet wird, sind es hier Volk und Nation, denen Frauen in ihrer Funktion als Mütter zu dienen haben.

Mit Slogans wie „Deutschland treibt sich ab“ in Anschluss an Thilo Sarrazin Rhetorik oder „Ein Volk stirbt im Mutterleib“ zeigt dann auch so mancher christliche „Lebensschützer“ ein anderes Gesicht. Denn eine eindeutige Trennlinie zwischen christlich-konservativen „Lebensschützern“ und „Lebensschützern“ aus dem Umfeld der „Neuen Rechten“ gibt es keineswegs.

Warnung vor dem „Babycaust“

Martin Lohmann, der Vorsitzende des BvL, schrieb bereits für die rechte Wochenzeitschrift Junge Freiheit. Martina Kempf, die Vorsitzende des Freiburger Regionalverbandes der „Aktion Lebensrecht für Alle e.V.“ (ALfA) und Gründerin der Arbeitsgemeinschaft „Christen in der Alternative für Deutschland" gab 2013 ein Interview für das extrem rechte Magazin Zuerst! Aber auch in eigenen Publikationen der „Lebensschützer“ finden sich rechte Inhalte. So fallen in der Vereinszeitschrift von „Pro Conscientia e.V.“, einem weiteren Mitglied des BvL, Autor*innen wie die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch durch Islamfeindlichkeit, aggressiven Antifeminismus und Hetze gegen Sexualaufklärung und Homosexualität auf.

Immer wieder machen „Lebensschützer“ zudem durch die Instrumentalisierung des Holocausts und die Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen auf sich aufmerksam. Zentrales Motiv ist dabei der Vergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit dem Holocaust. Slogans wie „Damals: Holocaust – Heute: Babycaust“ (Klaus Günter Annen) sind dabei kein Einzelfall und finden auch bei den „Christdemokraten für das Leben“, einer „Lebensschützer“- Gruppe innerhalb der CDU, Zuspruch.

Der Regionalverband Stuttgart der ALfA instrumentalisierte sogar eine Stolperstein-Verlegung zum Gedenken an ein Mädchen, das im Rahmen des „Kindereuthanasie“-Programmes der Nationalsozialisten umgebracht wurde, um darauf hinzuweisen, dass im selben Haus heute Abtreibungen durchgeführt werden. Dabei gingen „Lebensschützer“ in der Vergangenheit in ihrer NS-Verharmlosung oftmals sogar noch weiter.

So schrieb die katholische Zeitung des Bistums Münster Kirche und Leben in den 80er Jahren: „Die Nazis haben ihren Massenmord immerhin noch mit einer Ideologie versehen. Es war nicht kaltherzige Ichsucht, wie etwa heute bei der Abtreibung. Diese Tötung aus rücksichtsloser Selbstsucht ist darum moralisch niedriger anzusetzen.“ Bei all diesen Anknüpfungspunkten zu einem reaktionären und extrem rechten Weltbild überrascht es nicht, dass bei den Demonstrationen der „Lebensschützer“ immer wieder auch Neonazis mitlaufen.

Eine ausführliche kritische Betrachtung der „Lebensschützer“-Szene liefern Eike Sander, Ulli Jentsch und Felix Hansen in ihrem kürzlich im Unrast-Verlag erschienen Buch „Deutschland treibt sich ab. Organisierter Lebensschutz, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus“.

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus in der Amadeu Antonio Stiftung.

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