Demo gegen TTIP in Berlin am Samstag: Es geht um die Gurke

Ob Ökoeier oder Spreewaldgurke – Erzeuger regionaler Produkte fürchten den geplanten Wirtschaftspakt zwischen EU und USA.

Menschen in volkstümlicher Kleidung halten einen Korb mit Gurken

Was wird durch TTIP aus der Spreewaldgurke? Gute Frage Foto: dpa

Ob in Berliner Schulen ökologisches Essen auf den Tisch kommt oder nicht, hängt bald möglicherweise nicht mehr vom Willen der Eltern oder Lehrer ab. Denn sollte das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA verabschiedet werden, könnten Ausschreibungskriterien wie „biologisch“ als Handelshemmnis definiert werden. Die Folge: Investoren können dagegen klagen und Schadensersatz für entgangene Gewinne fordern.

Die Angst vor solchen Klagen würde die Stadt verändern. Davon ist Uwe Hiksch von der Organisation Naturfreunde und Anmelder der Großdemonstration gegen TTIP am Samstag überzeugt. Zu der Demonstration rufen mehr als 30 Organisationen wie Attac, Brot für die Welt und der Deutsche Gewerkschaftsbund auf.

„Die Handelsabkommen können sich in allen Lebensbereichen negativ für Berlin auswirken“, sagt Hiksch. Er spricht mit Absicht im Konjunktiv. Denn über was genau bei TTIP verhandelt wird, ist streng geheim. Ab und zu dringen einzelne Punkte an die Öffentlichkeit. Mehr bekannt ist über das Schwesterabkommen CETA zwischen der EU und Kanada. Die Verhandlungen dafür sind abgeschlossen. Es gilt als Blaupause für TTIP und soll im kommenden Frühjahr ratifiziert werden.

Berliner Bezirke und der Senat haben kein Mitspracherecht bei den Verhandlungen. Die Folgen aber haben die Berliner zu tragen. Beispiel Wohnungspolitik: Die Subventionierung von Wohnungsgenossenschaften oder Zuschüsse zu Bauvorhaben durch den Senat würden extrem schwierig. Schon der Besitz von Mietwohnungen in öffentlicher Hand könnte ein Problem darstellen. Denn private Investoren könnten Schadenersatz fordern, weil ihnen durch das öffentliche Engagement Gewinne entgehen. „TTIP öffnet privaten Interessen die Tür“, kritisiert Hiksch.

Gerade der Berliner Immobilienmarkt ist für internationale Investoren interessant, weil sie ihr Kapital hier sehr profitabel anlegen können. Drohten dem Senat bei einer aktiven Wohnungspolitik Klagen in Milliardenhöhe, würde er vor einschneidenden Maßnahmen zurückschrecken, fürchtet Hiksch. Das gilt auch für die Rekommunalisierung, etwa der Stromversorgung. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehe die Gefahr, dass soziale oder ökologische Kriterien nicht mehr zur Bedingung gemacht werden dürfen – bei Schulessen genauso wie in der Jugendhilfe oder der Gesundheitsversorgung. „Es ist ein Entmachtung der Parlamente, wenn alles nach den Bedürfnissen privater Anbieter ausgerichtet sein muss“, sagt Hiksch.

Ein Bündnis aus 30 Verbänden ruft zur Demonstration gegen das Transatlantische Freihandels­abkommen TTIP am Samstag um 11 Uhr auf. Die Veranstalter rechnen mit mehr als 50.000 Teilnehmern. Am Hauptbahnhof beginnt die Demo mit einer Kundgebung. Um 12 Uhr soll sich dann der Zug der Demonstranten in Bewegung setzen, über die Friedrichstraße und den Reichstag hin zur Siegessäule (siehe Grafik). Dort gibt es gegen 14.30 Uhr eine weitere Kundgebung.

Das Bündnis – darunter Greenpeace, DGB und WWF – fordert den Stopp der TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU. Mit dem Handelsabkommen drohten laut den Verbänden Demokratie und Rechtsstaat ausgehebelt zu werden. Sie befürchten, dass Umwelt- und Verbraucherstandards gesenkt werden.

Angekündigt haben sich unter anderem Bernd Riexinger (Linke), Anton Hofreiter (Grüne) und Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB. (jmr)

„Wir arbeiten mit regionalen Rohstoffen“

Die Industrie befürwortet TTIP, weil sich große Unternehmen davon die Erschließung neuer Märkte versprechen. Der Berliner Unternehmer Christoph Deinert von der Biobäckerei „Märkisches Landbrot“ in Neukölln dagegen fürchtet das Abkommen. „TTIP bedroht die gesamte Biobranche“, sagt er. Seine Bäckerei mit 50 Mitarbeitern gehört zum Demeter-Verbund. „Wir arbeiten mit regionalen Rohstoffen“, sagt er. Trotzdem fragt er sich, ob er sich in Zukunft noch darauf verlassen kann, dass sie wirklich gentechnikfrei sind.

Diese Sorge haben auch Brandenburger Biobauern. „Es wird schwierig für mich zu garantieren, dass ich meinen Tieren gentechnikfreies Futter geben kann“, sagt Jochen Fritz, der einen Nebenerwerbshof in Werder bei Potsdam mit 200 Hühnern, sieben Wasserbüffeln und 1.000 Kirschbäumen betreibt. Über TTIP werden gentechnischmanipulierte Pflanzen, Nahrungs- und Futtermittel nach Europa gelangen – ohne gekennzeichnet zu sein. „Das wird zu erheblichen Verunreinigungen führen“, sagt Fritz. „Das wird die Kosten für die Kontrollen erheblich in die Höhe treiben.“ Die Folge: Das Bioei wird teurer.

Der Bauer hofft, seine Bioeier vom „Weidehuhn aus Werder“ auch nach Inkrafttreten von TTIP unter dieser Bezeichnung verkaufen zu können. „Aber der Trend zu regionalen Produkten wird verwässert“, meint Fritz.

Die Demoroute

Es wird ein langer Marsch: Die Demoroute für Samstag Foto: Infotext

Die Erzeuger von als regional anerkannten Produkten wie der Spreewaldgurke suchen seit langem das Gespräch mit Politikern, weil sie das ähnlich sehen. „Wir vertrauen darauf, dass sich die Politiker an ihre Zusage halten, sich für den Erhalt der geschützten Gebietsbezeichnungen einzusetzen“, sagt Lutz Habermann, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Spreewaldverein, in der 18 Unternehmen zusammengeschlossen sind. Aber wirklich überzeugt ist er offenbar nicht. „Die Demonstration gegen TTIP in Berlin ist wichtig, um ein klares Signal zu geben“, sagt er.

In Berlin haben Aktivisten für die Demonstration stark mobilisiert. Am vergangenen Wochenende verteilten 2.500 Leute mehr als 100.000 Flugblätter. Aber auch die TTIP-Befürworter sind nicht untätig geblieben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in Berlin die Kampagne „Ein starkes TTIP für Deutschland“ gestartet. Am Alexanderplatz, der Friedrichstraße, am Hackeschen Markt und andernorts hängen bis zum 12. Oktober Werbebanner mit der Botschaft. Demo-Organisator Hiksch lacht darüber: „Bei uns haben viele angerufen und gesagt, jetzt kommen wir erst recht.“

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