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Der Bullshit-Wort-Check, Folge 6 „Technologieoffenheit“ und „Bürokratieabbau“

Was taugen diese Begriffe für das Verständnis der Gegenwart? taz FUTURZWEI-Gastautorinnen testen Standards des politischen Sprechens. Heute: Claudia Kemfert und Hedwig Richter.

Der technologieoffene Bundesminister Volker Wissing (FDP) schwört auf E-Fuels Foto: Sebastian Gollnow/dpa

taz FUTURZWEI | In der heutigen Folge in unserem „Bullshit-Wort-Checks“: CLAUDIA KEMFERT, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), kann mit „Technologieoffenheit“ nicht viel anfangen. HEDWIG RICHTER, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München und momentan Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, ist skeptisch gegenüber dem oft geforderten „Bürokratieabbau“.

Technologieoffenheit (Claudia Kemfert)

Der Begriff „Technologieoffenheit“ suggeriert, es gäbe das Gegenteil, also eine Art Technologieverbot, -tabu oder andere Verschlossenheit. Das ist Unsinn, erst recht in einem Industrieland wie Deutschland, dessen Wirtschaftskraft auf Innovation, Ingenieurskunst und zukunftsweisenden Technologien basiert. Ein solches Verbot gibt es nicht. Aber es gibt eine wirtschaftliche Vernunft im Umgang mit Technologien. Ineffiziente, veraltete Technologien sind ökonomischer Ballast. Visionäre Technologien sind hochriskante Spekulation. Oder anders gesagt: Bei der Wahl zwischen Brieftaube und Zeitmaschine wählt der Ökonom des 21. Jahrhunderts das Internet.

Dasselbe gilt für Mobilität. Verbrennungsmotoren haben so viele Nachteile, dass sie nicht mehr lange im Markt überleben werden. Ineffizienz, Umweltschäden, Klimafolgekosten, Abhängigkeiten von fossilen Lieferanten. Das hat keine Zukunft. Und E-Fuels mögen eine Zukunft haben, aber sie haben leider noch keine Gegenwart. Sie sind noch Zukunftsmusik, müssen entwickelt, geprüft und etabliert, und vor allem mit viel Ökostrom hergestellt werden. Elektromobilität dagegen ist bereits vorhanden, seit vielen Jahren technisch erprobt und jetzt so ausgereift, dass in großer Stückzahl industriell gefertigt wird, vom E-Auto, -Roller bis zum E-Bus. Vor allem ist E-Mobilität effizient: E-Fuels verbrauchen achtmal so viel Ökostrom wie eine direkte Nutzung. Auch auf der Schiene ist Elektromobilität unschlagbar.

Wer stattdessen „Technologieoffenheit“ proklamiert, will lediglich die Modernisierung blockieren und auf diese Weise die alte Technologie möglichst lange im Spiel halten. Wir brauchen nicht Technologieoffenheit, sondern Technologieklarheit!

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taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken

Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?

Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.

U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.

Zur neuen Ausgabe

Bürokratieabbau (Hedwig Richter)

Klar, Bürokratie kann echt ein Problem sein. Wer eine nicht-deutsche Partnerin heiratet, verbringt ein Jahr mit dem Nachweis von Nachweisen, darunter viele Tage in den berüchtigten Amtsstuben. Steuerklärungen sind eine Zumutung, und Hebammen und Krankenpfleger beschäftigen sich zu viel mit Tabellen und zu wenig mit Menschen. Von der Wiege bis zur Bahre, unser Leben ist überwuchert von Administration.

An vielen Stellen ließe sich zweifellos viel Bürokratie vermeiden, und wenn die Jungs von der FDP routiniert den »Bürokratieabbau« fordern, will man ihnen tatsächlich spontan zustimmen.

Allerdings leben wir in einer modernen Gesellschaft, die hochkomplex ist. Wenn ein Flugzeug startet, ist es umgeben von einer Mandorla an Bürokratie. Das ist lästig, aber es ist auch faszinierend und schön, und wegen der ganzen Regulierung ist ein Absturz höchst unwahrscheinlich. Ohne Bürokratie würden wir in Korruption ertrinken oder an Nahrungsmittelvergiftung sterben. Sobald mal etwas nicht reguliert ist, kriegen wir Zustände, und das vollkommen zu Recht. Staatsexamina, Haltbarkeitsdatum, Aktienhandel oder Hausratsversicherung: Sie brauchen nicht nur Bürokratie, sondern viel Bürokratie. Insbesondere unsere Demokratie haben wir zu nicht unwesentlichen Teilen der Administration zu verdanken – von den Wahlen bis zum Rechtsstaatsprinzip. Jedes Mal also, wenn wir forsch den Bürokratieabbau fordern, sollten wir zuvor kurz innehalten und dankbar der Segnungen der Administration gedenken.

Mehr Bullshit-Wort-Tests finden Sie in der neuen taz FUTURZWEI-Ausgabe „Weiterdenken“ und an dieser Stelle auf taz.de.

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