Der Hausbesuch: Boxen ist wie singen

Sie ist Opernsängerin, liebt Hunde, wuchs in Norwegen auf und lernte beim Boxtraining, wie wichtig Teamgefühl ist. Zu Besuch bei Ivi Karnezi.

Eine Frau sitzt auf einem Hocker in ihrem Wohnzimmer

Viele Möbel hat sie nicht mitgenommen: Ivi Karnezi mag es gemütlich, aber nicht zu voll Foto: Marek Kruszewski

Das Leben als Opernsängerin kann einsam sein: In der Branche ist die Konkurrenz oft größer als die Kollegialität. Zum Glück konnte Ivi Karnezi schon immer gut alleine sein – am norwegischen Fjord, im Kreuzberger Boxstudio oder im niedersächsischen Braunschweig. Seit acht Jahren arbeitet sie als Opernsängerin, seit über einem Jahr ist sie Teil des Ensembles des Braunschweiger Staatstheaters.

Draußen: Der Hagenring, vierspurig, der ein paar Meter in die eine Richtung noch Altewiek­ring und ein paar mehr Meter in die andere Richtung Rebenring heißt. Er trennt „das Östliche“ (Braunschweigs beliebtestes Wohngebiet) von der Innenstadt und verläuft fast parallel zur Oker, die einen unförmigen Kreis um die Altstadt zieht. Gegenüber eine blitzblanke Geschäftsstelle der regionalen Volksbank. Vor dem vierstöckigen Wohnhaus mit altrosa Fassade weist ein großes Verkehrsschild in Richtung Staatstheater (nur fünf Minuten Fußweg) und Zentrum. Nebenan wirbt das Restaurant Odysseus mit weißen Lettern in griechisch anmutendem Font für seinen Partyservice.

Drinnen: Ein Treppenhaus wie Turnhallen und Großumkleiden. Die Wohnung ist spärlich, aber mit Bedacht eingerichtet, mit Kerzen für Gemütlichkeit. Ivi Karnezi hat gern Platz („nicht zu voll, das bringt mir nur Chaos im Kopf“). Suchen musste sie nicht lange, ein befreundeter Tänzer am Staats­thea­ter zog um und überließ Karnezi die zwei Zimmer. Aus Berlin hat sie fast nichts mitgebracht, nur ihre Bücher, CDs („ich bin ja aus dieser Generation“) und ein paar Möbel: ein Bett und die Couch, die besonders wichtig für Karnezi ist, ein Ort zum Entspannen unabhängig vom Bett („immer in einem Sessel oder Stuhl zu sitzen ist mir dann auch zu anstrengend“).

Im Wohnzimmer außerdem ein schwarzer Tisch, darauf eine glänzende, zylinderförmige Vase, auch schwarz. Darin rote und weiße Rosen („meine Lieblingsblumen sind eigentlich Tulpen“). An der einen Wand lehnt „Kallax“, das beliebte Ikea-Regal mit den vielen Quadern zum Füllen, weiß diesmal, in einem Quader eine Klaviertastatur zum Zusammenrollen. Auf dem Couchtisch ein Adventskranz, ein Geschenk von den Eltern zu Karnezis Premiere als Mimi in „La Bohème“ („ich bin kein totaler Weihnachtsfreak, aber es macht schon eine schöne Stimmung“). Karnezi brüht Kaffee in einer French Press auf, ihren trinkt sie schwarz, Milch hat sie fast nie im Haus, Sojamilch manchmal.

Optik: Ivi Karnezi trägt einen sauber geschnittenen, schwarzen Bob. Sie mag Veränderung und Praktikabilität („ich bin nicht so girly und habe keine Geduld“). Zuvor waren ihre naturgewellten Haare lang und blond („ich habe viele Frisuren und Farben gehabt in meinem Leben“). Eitel ist sie nicht, sie will sich wohlfühlen. Einkaufen in Jogginghose ist kein Problem („ich war wahrscheinlich immer mehr so ein Tomboy“). Heute trägt sie schwarze Overknee-Stiefel mit Absatz, sonst bleibt sie lieber bei bequemen Klassikern. Ein Paar schwarze Chucks und ein Paar Doc Martens stehen im Flur.

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Familienhunde: Gegenüber von „Kallax“ hängt eine schlichte Illustration in Blautönen, etwa 30 mal 20 Zentimeter, ein Hund mit Knochen im Maul. Es ist der einzige Hund in der Wohnung. Manchmal darf sie auf das Tier einer Arbeitskollegin aufpassen („der süßeste Labrador überhaupt“), das beruhigt Karnezi während der Hundeabstinenz. In Norwegen wuchs sie mit zwei Familienhunden auf („meine Mutter ist auch so ein Hundefreak“): Týpo (Rottweiler) und Alani (Mischling zweier Straßenhunde aus Kreta).

Norwegen: Als sie drei Jahre alt war, zog Ivi Karnezi mit ihren Eltern nach Norwegen, in die Heimat ihrer Mutter. Sie wuchs auf einer Halbinsel in der Nähe von Oslo am Fjord auf („wunderschöner Blick und mitten in der Natur“).

Braunschweig: Ivi Karnezi hat sich die Stadt nicht ausgesucht, sie ist ihr eher zugefallen wie vielen Zugezogenen. Im Juli 2017 ging sie von der Spree an die Oker, vorher war sie hier nur zum Vorsingen und für eine Arbeitsprobe. Sie musste die ganze Partie der Elisabetta in „Don Carlos“ lernen, in nur zwei Wochen. Sechs bis neun Stunden täglich übte sie in dieser Zeit – allein am Klavier und mit Lehrerin und Pia­nisten beim Gesangsunterricht („bis es langsam fließt“). Die Anstellung in der Löwenstadt ist für sie eine Chance („der Sprung und die Möglichkeit, die ich hier bekommen habe, waren schon sehr groß“).

Eine Frau trägt blaue Boxhandschuhe und schaut in die Kamera

Boxen ist Ivi Karnezis Hobby – und hat für sie eine Menge mit dem Singen zu tun. Foto: Marek Kruszewski

Musik: Musik und Schauspiel liegen bei Ivi Karnezi in der Familie. Ihr Vater ist Musiker und spielt das griechische Instrument Bouzouki („bekannt aus dem Film ‚Zorba the Greek‘ mit Anthony Quinn“). Die Mutter arbeitet als Sekretärin im Schauspieltheater in Oslo. Karnezi ist mit griechischer Musik aufgewachsen, mit neun oder zehn Jahren begeisterte sie sich für Metal, Punk und Ska. No Doubt und Skunk Anansie feierte sie, auch wegen der starken Frontfrauen stundenlang laut singend in ihrem Zimmer („meine armen Eltern“). Auf dem Gymnasium bekam Karnezi klassischen Gesangsunterricht („was ich am Anfang ein bisschen komisch fand“).

Boxen: Karnezi hatte lange kein wirkliches Hobby, dann entdeckte sie das Boxen („aber das hat auch viel mit dem Singen zu tun“). Am Anfang hat sie sich nicht recht getraut („vielleicht weil ich eine Frau bin?“), dann erfuhr sie von der Boxerin ­Cecilia Brækhus („unsere norwegische Heldin, sozusagen“). In Oslo ging Karnezi zum ersten Mal in ein Boxstudio („Menschen, die schwitzen und kämpfen, meistens Männer natürlich“), von ihrem Trainer Johnny lernte sie mehr als Sport. Karnezi gefällt, dass es beim Boxen ein Team gibt, obwohl man während des Kampfs allein im Ring steht. Musiker und Künstler haben so ein Teamgefühl oft nicht, findet Karnezi. Boxen habe ihr geholfen, Denkmuster zu verändern und immer weiterzugehen („wenn dich jemand trifft, musst du weitermachen, dich schützen, weiterkämpfen, so ist es beim Singen auch“). Gerade boxt sie nicht („ich vermisse es sehr“), aus Zeitmangel.

Einsamkeit: Karnezi findet ihren Beruf einsam („auf jeden Fall“), aber man treffe gleichzeitig tolle Menschen. In der Opernbranche gebe es viel Konkurrenz: viele Sänger, aber wenig Arbeit. Man hat viel Zeit allein, man muss alleine lernen, alleine reisen. Und Sänger wie sie, die aus einem anderen Land kommen, haben oft weder Familie noch Freunde an der Seite („man kann nicht einfach jeden Sonntag zusammen essen“). Mit sich selbst kommt Karnezi zum Glück gut aus, sie war immer gern mit sich allein („in diesem Beruf muss man seine eigene Gesellschaft mögen“).

Die Stimme: Ivi Karnezi ist Fan von Soundgarden und Chris Cornell. In der Schulzeit sang Karnezi noch in zwei Metal- und Rockbands, parallel zum klassischen Gesangsunterricht. Irgendwann musste sie wählen („leider“), weil die Technik in den Genres doch sehr verschieden ist. Sie denkt nicht, dass Pop, Rock oder Metal schädlich für die Stimme sind („man braucht nur eine andere Technik“), aber beim Operngesang werden andere Muskeln trainiert („und dann entsteht ein Konflikt für die Stimme“). Ihre Stimme sei gewachsen mit der Zeit, größer geworden, das musste sie akzeptieren lernen („das ist auch eine Frage der Mentalität“), damit die Stimme sich befreien konnte.

Das Ziel: Mit der Zeit habe sie gemerkt, dass toll singen nicht ausreicht („man braucht Kontakte und Glück“). Und viel Geduld brauche es, man müsse dranbleiben, auch wenn man gerade kein En­gagement bekomme. Dadurch lernte ­Karnezi, sich kleinere Ziele zu setzen („diese eine Arie muss ich verbessern“). Das große Ziel, eine berühmte Opernsängerin zu werden, habe sie immer noch, aber vielleicht ist es etwas in den Hintergrund gerückt. Heute findet sie wichtiger, dass sie gute Arbeit leistet, sich weiterentwickelt und mit sich selbst zufrieden ist.

Der Zweifel: Karnezi muss nicht lange darüber nachdenken, ob sie zweifelt. Sie zweifelt oft, sehr oft, zum Beispiel wenn sie eine neue Rolle lernt. Dabei dürfe man dem Zweifel nicht zu viel Raum geben. Auch das hat sie beim Boxen gelernt: cooler bleiben, ein bisschen praktisch und präzise denken, sich sagen, das mache ich gut und das hier sind nicht so meine Stärken, daran kann ich noch arbeiten („wenn das heute nicht klappt, arbeite ich morgen weiter daran“).

Dazwischen: Ivi Karnezi fühlt sich oft dazwischen, zwischen Griechenland, Norwegen und Deutschland, zwischen Stadt- und Landmensch. Die Deutschen findet sie sehr direkt („das ist krass, wenn man aus Norwegen kommt, da versuchen wir immer etwas diplomatischer zu sein“), aber sie würde nicht sagen, dass sie sich deutsch, norwegisch oder griechisch fühlt. Ihr Vater sagte immer, er sei eben international – das findet Ivi Karnezi für sich auch passend („Man gehört irgendwie nirgendwo dazu und gleichzeitig überall“).

Wie findet sie Merkel? Zu Merkel sagt Ivi Karnezi nichts („da werde ich mich nicht äußern“), politisch sieht sie sich schon eher links. Ihr Großvater war Politiker, sie macht sich Sorgen um Norwegen und auch um die Welt. Das mit Trump findet sie lächerlich, mit dem Rechtsruck in Norwegen ist sie unzufrieden („das ist nicht das Land, in dem ich aufgewachsen bin“). Ivi Karnezi findet, man müsse nicht immer einer Meinung sein, aber man solle respektieren, was andere denken.

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