Der eilige Hacker-Rauswurf: Chaos im Computer Club

Nach dem Rauswurf des OpenLeaks-Gründers Domscheit-Berg gibt es Unruhe im Chaos Computer Club: Die Entscheidung, so ein Kritiker, habe "Fassungslosigkeit" ausgelöst.

Der Zwist zwischen Wiki- und OpenLeaks hat nun auch den CCC erreicht: Daniel Domscheit-Berg darf kein Mitglied mehr sein (hier bei der Vorstellung seines Buches über WikiLeaks im Februar). Bild: reuters

BERLIN taz (Update: 16.8.,15 Uhr) | OpenLeaks-Gründer Daniel Domscheit-Berg ist kein Mitglied des Chaos Computer Clubs (CCC) mehr. Dessen Vorstand hatte in der Nacht zum Sonntag während des Hacker-Sommertreffens im brandenburgischen Finowfurt einstimmig beschlossen, den ehemaligen WikiLeaks-Sprecher Domscheit-Berg aus dem Hacker-Verein auszuschließen.

Domscheit-Berg habe mit der Präsentation seiner Whistleblowing-Plattform OpenLeaks das "Ansehen des Vereins geschädigt", indem er den Eindruck erweckt habe, auf dem Hacker-Treffen in Finowfurt würde "eine Art Sicherheitsüberprüfung" des Projekts durchgeführt.

Domscheit-Berg hatte auf dem Camp den ersten Testbetrieb seiner neuen Whistleblowing-Plattform OpenLeaks präsentiert und erstmals die Namen der ersten fünf Medien-Kooperationspartner genannt (zu denen im übrigen auch die taz zählt). Mit zwei Tagen Verzögerung starteten die Seiten leaks.taz.de am Freitagmorgen, der Testbetrieb läuft noch bis zum heutigen Dienstag.

Der Vorstand habe den Fall während des laufenden Camps bis drei Uhr nachts diskutiert und anschließend Domscheit-Berg davon in Kenntnis gesetzt, so der stellvertretende CCC-Vorsitzende Andy Müller-Maguhn gegenüber der taz. Schon dem Spiegel hatte Müller-Maguhn gesagt: "Der CCC ist kein TÜV. Wir lassen uns nicht vereinnahmen."

Domscheit-Berg selbst zeigte sich von seinem Rauswurf überrascht. In einem Workshop habe er viel positives Feedback zu dem Projekt bekommen. "Ich finde es sehr schade, dass dies nicht gesehen wird", sagte er am Sonntag. Am Mittwoch hatte er bei einem Vortrag auf dem Camp die anwesenden Hacker dazu aufgefordert, ihm Feedback für den OpenLeaks-Test zu geben und zu versuchten, das System der Whistleblowing-Plattform zu knacken.

Kein offener Quellcode bei OpenLeaks

Aufrufe dieser Art sind bei Treffen der internationalen Hacker-Elite per se nichts Ungewöhnliches – auch wenn sich der CCC stets dagegen verwehrt, sich für Projekte vereinnahmen zu lassen. Schon am Mittwoch wurden Kritik laut, zum Beispiel daran, dass OpenLeaks den Code ihres Systems nicht offenlegt. Ohne den Programmcode seien aussagefähige Tests schwer durchzuführen.

Darüber hinaus hat wohl auch Domscheit-Bergs Vergangenheit als WikiLeaks-Sprecher mit seinem aktuellen Ausschluss zu tun. Als er im vergangenen Herbst die Enthüllungsplattform im Streit mit Julian Assange verließ, so der Vorwurf, soll Domscheit-Berg eine Kopie von unveröffentlichten Materialien mitgenommen haben – allerdings seien die Daten mit einem Code verschlüsselt, den nur Assange kennt. CCC-Vorstand Müller-Maguhn beklagt nun, dass er seit Monaten ohne Erfolg versucht habe, Domscheit-Berg zur Herausgabe des Materials zu bewegen.

UPDATE: Die Sicherungskopie von WikiLeaks

Laut heise.de soll es sich bei dem umstrittenen Material um eine Sicherheitskopie handeln, die bei der Wartung eines WikiLeaks-Servers im Ruhrgebiet von Domscheit-Berg gezogen worden sein soll. Nach Informationen der taz hatte Domscheit-Berg dort aber nur einen Mailserver gewartet – und auch keine Kopie gezogen.

Wie die taz weiter aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr, existiert tatsächlich eine Datensatz von WikiLeaks-Dokumenten, aber sie wurde erstens nicht von Domscheit-Berg kopiert, sondern von einem anderen ehemaligen WikiLeaks-Mitarbeiter, der das Pseudonym "Architekt" trägt. Zweitens ist Domscheit-Berg offenbar nicht im Besitz dieser WikiLeaks-Daten.

Und anders als teilweise kolpotiert wird, steht das auch in Domscheit-Bergs Buch "Inside Wikileaks" nicht drin (siehe dort S. 217 und S. 234). In einem Interview erklärte Domscheit-Berg in der vergangenen Woche, keine noch unveröffentlichten Dokumente mitgenommen zu haben, von denen OpenLeaks nun profitieren könne.

"Unverständnis und Fassungslosigkeit" nach dem Rauswurf

Innerhalb des Chaos Computer Clubs ist der Rauswurf nicht unumstritten. Schon vor der Eskalation war sowohl Sympathie als auch Kritik an Domscheit-Berg und OpenLeaks zu hören. Nach Bekanntwerden der Vorstandsentscheidung habe unter den Hackern jedoch "Unverständnis und Fassungslosigkeit" im Camp geherrscht, schreibt Linus Neumann, Blogger bei netzpolitik.org – ein Eindruck, den einige Mitglieder des Chaos Computer Clubs bestätigten, ohne namentlich genannt werden zu wollen.

Ambivalent zeigt sich in der Bewertung des Vorgangs CCC-Mitglied Felix von Leitner: Noch am Samstag äußerte er in seinem in Hackerkreisen viel gelesenen Blog Zustimmung für die Argumentation Müller-Maguhns – doch am Samstag zeigte er sich "sehr enttäuscht" vom Verlauf der Dinge: "Ich hätte gedacht, der CCC und vor allem der CCC-Vorstand ist da weiter." Er bezeichnete den Schritt als einen "Fehler" – und fügt hinzu, man hätte Domscheit-Berg "Gelegenheit geben müssen, von sich aus die Mitgliedschaft niederzulegen".

CCC-Ehrenmitglied Padeluun hingegen sagt, er könne die Entscheidung "nachvollziehen", auch wenn sie etwas "ungeschickt" sei. Dass es nun zu internen Meinungsunterschieden käme, sei bei einer solchen Entscheidung "normal", "dass es vereinsintern noch zu einer Aufarbeitung kommt, das steht ohnehin außer Frage". Domscheit-Berg stünde ohnehin noch offen, über eine Mitgliederversammlung gegen seinen Ausschluss vorzugehen - noch hat er sich aber nicht dazu geäußert, ob er einen solchen Schritt erwägt.

"Zutiefst emotionale" Entscheidung

Auch Andy Müller-Maguhn räumt ein, dass die CCC-Sprecher Constanze Kurz und Frank Rieger den Ausschluss von Domscheit-Berg in einem Gespräch als "nicht notwendig" erachtet hätten – generell aber sehe er "viel Unterstützung für die Entscheidung". Constanze Kurz, eine CCC-Sprecherin, sagte, sie wolle sich zu dem Vorfall nicht äußern. CCC-Sprecher Frank Rieger schloss sich der Einschätzung des Bloggers Neumann an, der den Rauswurf als "verfrüht, unangemessen und zutiefst emotional statt wohlüberlegt rational" bezeichnete.

"Stilistisch" könne man über den Schritt diskutieren, räumte Müller-Maguhn ein, "wir waren aber der Ansicht, dass dieser Schritt jetzt, während des Camps, notwendig ist, wenn die Aufmerksamkeit dafür noch groß ist".

Der Vorstand habe mit dem Schritt "eine Diskussion anstoßen" wollen, betonte Müller-Maguhn. An einer Schlammschlacht, so wiederholte er mehrfach, habe er "kein Interesse". Doch momentan sieht es stark danach aus, als würde er beides bekommen.

Die taz kooperiert mit dem von Daniel Domscheit-Berg gegründeten Projekt OpenLeaks und testet derzeit die Whistleblower-Plattform.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.