Deutschland-Besuch angekündigt: Tsipras' Fahrt in die Höhle der Löwin

Es gilt, die Wogen zwischen Berlin und Athen zu glätten. Schäuble allerdings wettert kräftig weiter. Und Varoufakis veröffentlicht den kompletten „Stinkefinger“-Film.

Demnächst zu Gast bei deutschen PolitikerInnen: Premier Alexis Tsipras. Bild: ap

BERLIN/ATHEN dpa | Mitten in einer aufgeheizten Stimmung wegen der griechischen Schuldenkrise kommt der Athener Regierungschef Alexis Tsipras zu einem ersten offiziellen Besuch nach Berlin. Tsipras habe die Einladung von Kanzlerin Angela Merkel zu einem Besuch am 23. März angenommen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag mit. Merkel hatte am Nachmittag mit Tsipras telefoniert. Zugleich redete Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach den jüngsten Verwerfungen schonungslos Klartext.

Schäuble warf der griechischen Regierung vor, das Vertrauen der europäischen Partner komplett zerstört zu haben. Bis November sei Athen auf einem Weg gewesen, der aus der Krise hätte führen können. Das sei vorbei. „Sie haben alles Vertrauen zerstört. Das ist ein schwerer Rückschlag“, sagte Schäuble in Berlin. Er kenne niemanden in den internationalen Institutionen, der ihm sagen könne, was Athen eigentlich vorhabe. Schäuble warf der Syriza-Regierung auch vor, die Bürger in Griechenland zu belügen.

In den vergangenen Tagen hatten Mitglieder der Tsipras-Regierung den Ton vor allem gegenüber Schäuble verschärft. Zudem wurden Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen an Griechenland wieder lauter.

In Diplomatenkreisen in Athen hieß es, der Besuch Tsipras' ziele auf eine Beruhigung der Lage ab. Es sei eine unangenehme, „wenn nicht ganz schlimme“ Atmosphäre in den Beziehungen zwischen beiden Staaten entstanden. Mitarbeiter von Tsipras hatten vor der Ankündigung seiner Berlin-Reise mitgeteilt, der Regierungschef werde in den nächsten Tagen die Lösung der Finanzkrise selbst in die Hand nehmen. Die Kassen in Athen sind fast leer. Auch der kleinste Fehler könnte nach Einschätzung von Experten zu einer Pleite Griechenlands führen.

Um eine drohende Staatspleite abzuwenden, will Tsipras bereits beim EU-Gipfel Ende der Woche in Brüssel ausführlich über die Lage seines Landes sprechen und auch mit Kanzlerin Merkel zusammenkommen.

Steinmeier:„Bilateralisierung ist keine Lösung“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte Athen davor, den Schuldenstreit auf ein Problem mit Deutschland zu reduzieren. Bei einem Gespräch mit dem stellvertretenden griechischen Außenminister Níkos Chountís habe er klar gemacht, dass der Versuch der „Bilateralisierung“ nicht aus den Schwierigkeiten herausführe, sagte der SPD-Politiker in Brüssel. „Ich habe (...) ihn dringend gebeten, so zu arbeiten, dass wir die Möglichkeit haben, über Vorschläge der griechischen Regierung (...) zu reden.“ Bislang gebe es keine „tauglichen Lösungen“, so Steinmeier.

Trotz fast leerer Kassen wies die Regierung in Athen Spekulationen über eine baldige Zahlungsunfähigkeit vehement zurück. Zu Mutmaßungen über eine Milliardenlücke im griechischen Haushalt bis Ende März sagte Finanzminister Gianis Varoufakis, es gebe aktuell nur „unbedeutende, kleine Liquiditätsprobleme“. Kurz zuvor hatte auch Regierungschef Tsipras betont: „Es gibt absolut kein Liquiditätsproblem.“

Wie Kreise des Finanzministeriums in Athen bestätigten, überwies Griechenland am Montag fristgemäß 588 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF), der an den Kredithilfsprogrammen beteiligt ist.

Keine Fortschritte bei Haushaltsstabilisierung

Allerdings macht Griechenland bei der Haushaltsstabilisierung keine Fortschritte mehr. Im Jahr 2014 erzielte die Regierung einen sogenannten Primärüberschuss – also ein Haushaltsplus ohne Zinszahlungen – in Höhe von 0,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Das ursprüngliche Ziel des griechischen Konsolidierungsprogramms sah jedoch einen Überschuss von 1,5 Prozent des BIP vor. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Kreisen des Finanzministeriums. Die endgültigen Zahlen sollten im April vorliegen, hieß es. Es gebe einen Fehlbetrag in Höhe von gut zwei Milliarden Euro.

Das wird auf die Nichteintreibung von Steuern besonders während der letzten beiden Monate des vergangenen Jahres zurückgeführt. Viele Bürger hätten angesichts der Wahl im Januar und in Erwartung möglicher Steuererleichterungen ihre Schulden an den Staat nicht gezahlt.

2013 und 2014 hatte Athen erstmals seit zehn Jahren wieder einen Primärüberschuss erreicht. Einschließlich der Zinsen, die auf die aufgenommenen Schulden zu zahlen sind, klafft aber weiter ein enormes Loch im Etat. Der Primärüberschuss ist dennoch wichtig, weil er auch anzeigt, wie Griechenland zum Beispiel bei der Kontrolle der Kosten für den Staatsapparat vorankommt.

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte in der Süddeutschen Zeitung und fünf anderen europäischen Blättern, ein unbeabsichtigtes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone wäre eine „Katastrophe“. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sieht sich in der Krise als Vermittler. „Ich möchte die Standpunkte überbrücken, damit die Integrität der Eurozone gewahrt bleibt“, sagte er.

NDR-Chefredakteur räumt Unklarheiten ein

Unterdessen hat nach dem Wirbel um das „Stinkefinger-Video“ der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis im Kurznachrichtendienst Twitter die komplette Aufnahme seines 2013 gehaltenen Vortrags veröffentlicht. In dem knapp eine Stunde langen Video ist der nach oben gereckte Mittelfinger zu sehen. „Ist jemand an der Wahrheit interessiert?“, fragt der Minister dabei und schreibt weiter: „Und hier ist das nicht von skrupellosen Medien verfälschte Video.“ Varoufakis hatte schon zuvor den Vorwurf erhoben, die in der ARD gezeigten Sequenzen seien aus dem Kontext gerissen gewesen.

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Moderator Günther Jauch (58) hatte am Sonntagabend in seinem ARD-Talk über die Krise Griechenlands Ausschnitte aus dem Youtube-Video von einem Auftritt des damaligen Wirtschaftsprofessors 2013 bei einer Konferenz in Zagreb eingespielt. Darin ist zu sehen, wie Varoufakis über die Eurokrise referiert und den Mittelfinger in Richtung Deutschland ausstreckt.

Varoufakis hatte nach der Sendung betont, das Video sei gefälscht, der ausgestreckte Mittelfinger hineinmontiert. Dagegen erklärte die Redaktion, es gebe keine Anzeichen von Manipulation oder Fälschung.

Nach der Sendung am Sonntagabend räumte NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz auf Twitter ein, dass man in der Sendung deutlicher hätte hervorheben müssen, dass sich Varoufakis bei seinem Vortrag am 15. Mai 2013 auf die Situation in Griechenland im Jahr 2010 bezog.

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