Die Bilanz des DOSB: Ein toller Misserfolg

In London wurden mehr deutsche Medaillen gewonnen als 2008 in Peking. Die Sportfunktionäre feiern ihre Athleten. Dennoch wurde das ausgegebene Ziel verfehlt.

Insgesamt 44 Medaillen holten deutsche Olympioniken bei den Spielen in London Bild: dpa

Betty Heidler hat es geschafft. Die Hammerwerferin aus Berlin hat Bronze gewonnen. Das stand zwar erst um Mitternacht, mehr als zwei Stunden nach dem Ende ihres Wettkampfs, fest, weil die Weite ihres besten Versuchs zunächst nicht registriert worden war. Direkt vor ihr hatte nämlich die russische Olympiasiegerin Tatjana Lysenko genau dieselbe Weite erzielt.

Die Messanlage ist so programmiert, dass sie bei zwei exakt gleichen Ergebnissen hintereinander automatisch einen Fehler der Kampfrichter zugrunde legt. Es musste per Hand nachgemessen werden. „Ich bin als Medaillenkandidatin nach London gefahren und habe eine Medaille gewonnen. Also alles gut!“, sagte sie am Tag nach ihrem denkwürdigen Kampf gegen die Konkurrenz und die Wertungscomputer.

Genau darum ging es am Samstag im Deutschen Haus in den Londoner Docklands. Um Ziele, Erwartungen und Potenziale. Der Deutsche Olympische Sportbund zog Bilanz. Mit Präsident Thomas Bach, dem Mannschaftsleiter Michael Vesper und Bernhard Schwank, dem Leistungssportchef des DOSB, saßen drei Männer mit traurigen Gesichtern vor der Presse.

Sie sahen aus, als warte das deutsche Team immer noch auf seine erste Medaille bei den Spielen, und sagten doch, wie froh, glücklich und stolz sie seien, dass deutsche Athleten in London mehr Medaillen (43) gewonnen haben als vier Jahre zuvor in Peking (41). So sehen also deutsche Sieger aus.

„Härtester Wettbewerb aller Zeiten“

Ein Fotograf bat Thomas Bach dann, doch auch einmal zu lächeln. Das tat er, und endlich passte sein Gesicht zu der Erfolgsstory, die er und die anderen beiden Funktionäre erzählten. Eine davon: Die deutsche Mannschaft ist unter den ersten zehn im Medaillenspiegel neben dem Team GB die einzige, die mehr Medaillen gewonnen hat als 2008 – und das „im härtesten olympischen Wettbewerb aller Zeiten“, wie Bach anmerkte.

Doch darüber wollte niemand reden mit den drei Herren, die im Teamtrainingsanzug vor die Presse getreten waren. Denn eine gewaltige Zahl stand seit dem Vortag im Raum. Das Innenministerium hatte auf Druck des Verwaltungsgerichts Berlin die Zielvereinbarungen veröffentlicht, die Grundlage sind für die 132 Fördermillionen, die allein aus dem Hause von Minister Hans-Peter Friedrich dem Spitzensport zukommen.

Von 86 Medaillen, darunter 28 goldenen, ist da die Rede. Demnach wäre das deutsche Ergebnis ein Desaster und die Vorgabe mehr als vermessen. Bach bemühte sich, klarzustellen, dass niemand im deutschen Sport gedacht hat, das deutsche Team könne so viele Medaillen holen. Das Wort „Zielvereinbarungen“ sei unglücklich gewählt, „Fördervereinbarung“ könne man das Ganze in Zukunft nennen.

Immerhin dient die irrwitzige Zahl dem Innenministerium als Grundlage bei der die Entscheidung über die Verteilung von Steuergeldern an den Sport. Das hatte sich gegen die Veröffentlichung der Zielvereinbarungen, die ein Journalist der WAZ vor Gericht erstreiten wollte, lange gewehrt. Erst nach Androhung eines Strafgeldes kamen die heftig diskutierten Zahlen an die Öffentlichkeit.

Musterbeispiel Leichtathletik

Früher wurden Verbände, deren Sportler Medaillen gewonnen hatten, belohnt, Verliererverbände bestraft. Mit den Zielvereinbarungen hat man dieses Strafsystem abgeschafft und überlegt sich nun alle vier Jahre, wie man – auch in wenig erfolgreichen Sportarten – mit gezielter Förderung zu Erfolgen kommen kann. Die Leichtathletik gilt hier als Musterbeispiel.

Eine Bronzemedaille hatte es vor vier Jahren für den Verband gegeben. Daraufhin wurde die Grundförderung aufgestockt und wurden zusätzlich 1,7 Millionen Euro in Projektmaßnahmen investiert. Der Lohn: 8 Medaillen in London. Eine schöne Geschichte.

Doch wäre sie nicht ebenso schön, wenn man in die Leistungen der Athletinnen investieren würde, ohne Medaillenziele zu formulieren? Bernhard Schwank dazu: „Fragen Sie doch einen Athleten, was er bei Olympia erreichen will – eine persönliche Bestleistung oder eine Medaille. Die Antwort ist klar: Jeder will eine Medaille.“

Ganz bestimmte Fördermaßnahmen

Die Zahl 86, mit der der deutsche Sport die Politik offenbar beeindrucken wollte, war lange nicht publik gemacht worden. „Das hätte die Athleten unter Druck gesetzt“, meinte Michael Vesper, der auch in Zukunft nicht veröffentlichen möchte, was der DOSB mit den Sportfachverbänden vereinbart.

Da gehe es um Trainerstellen und ganz bestimmte Fördermaßnahmen, sagte er, als interessiere sich eh niemand für die geheimen Papiere. Wenn diese Vereinbarungen indes Grundlage der Zuweisung von Steuermitteln sind, hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Einsichtnahme. Auf die nächste irrwitzige Medaillenzahl darf man gespannt sein. Ab Januar wird über den Weg nach Rio 2016 verhandelt.

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