Die Stadt Maan in Jordanien: Ein Hort des Ungehorsams

Der strukturschwache Süden Jordaniens gilt als traditionell königstreu. Eine Ausnahme ist die Stadt Maan. Revolte hat hier Tradition.

Die Geschäfte in Maan haben nicht viele Kunden. Bild: Lea Frehse

MAAN taz | „Das ist unsere Stadt. Was haben sich König und Geheimdienst hier einzumischen?“, fragt der ehemalige Bürgermeister von Maan, Khaled Schammari. Er empfängt den seltenen Besuch ausländischer Reporter in seinem Wohnzimmer. Regimekritische Sätze wie die seinen hört man selten in Jordanien. Allerorten wird König Abdallah II. als Vater der Nation gepriesen – teils aus Überzeugung, teils aus Angst vor Repression. Maan aber, Schammaris Heimatstadt, gilt als Nest des Ungehorsams.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich Maan kaum von anderen Städten in der jordanischen Peripherie: Veraltete Infrastruktur und junge Männer prägen das Straßenbild. Die Kleinstadt mit ihren 50.000 Einwohnern gilt als religiös-konservativ. Aufkleber fordern Frauen auf, sich keusch zu kleiden. Maan ist der letzte Ort vor der Grenze zu Saudi-Arabien.

Die Stadt kämpft mit der Massenarbeitslosigkeit. Die von der Regierung angeordnete Verschlankung des Staatsapparats wirkt sich hier besonders stark aus. Fast zwei Drittel der Bevölkerung sind im öffentlichen Dienst tätig. Die vormals staatliche Phosphatfabrik wurde teilprivatisiert, lokale Angestellte wurden durch billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland ersetzt. Gegenwärtig ist jeder fünfte Maani erwerbslos.

„Mit unseren Steinbrüchen, Phosphatvorkommen und dem Touristenmagnet Petra müsste es der Region gutgehen,“ kritisiert Exbürgermeister Schammari. „Doch der Zentralstaat und ausländische Investoren greifen sich die Gelder ab.“ Nur der Schmuggel floriert: Billiges Benzin gelangt von Saudi-Arabien nach Jordanien, dafür werden Drogen und Alkohol ins Königreich der Wahhabiten geschleust.

Strukturschwacher Süden

Maan steht exemplarisch für den strukturschwachen Süden Jordaniens. Während landesweiter Proteste gegen die wirtschaftliche Lage und neoliberale Reformen 2011 und 2012 waren die Städte des Südens Zentren der Proteste, obwohl die ländlichen, tribal geprägten Gebiete traditionell die Machtbasis des haschemitischen Königshauses stellen. Doch die Kluft zwischen dem Königshaus in Amman und dem Hinterland ist spürbar gewachsen. Inspiriert vom arabischen Frühling, wurden auch Forderungen nach politischem Wandel laut.

In Maan wurde mit besonderer Intensität demonstriert. Anwohner lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Arbeiter besetzten die Phosphatfabrik und skandierten: „Wir arbeiten oder wir sterben.“ Die Eskalation in Maan wiederum überraschte wenige: Revolte hat hier Tradition. Die Stadt hat seit den 1980er Jahren fünf größere Unruhen erlebt; 1989 fanden hier die Proteste ihren Ausgang, die das Ende der Militärgesetzgebung einläuteten. Jedes Aufbegehren wurde von der Armee gewaltsam niedergeschlagen.

Schon die Anlage der Stadt zeigt, dass das Verhältnis zum Zentralstaat bestenfalls distanziert ist. Staatliche Institutionen wie die Polizeiwache, die Universität oder das Kulturzentrum finden sich allesamt außerhalb des Stadtkerns – Aufsicht aus Amman ist nur bedingt gewünscht. Die Polizei betritt die Innenstadt nur noch in Ausnahmefällen.

Urbaner Norden

„Nachdem sie versucht haben, Maan mit Waffengewalt und schikanösen Methoden zu kontrollieren, sind wir eingeschritten,“ erklärt der amtierende Bürgermeister Madsched Scharari. „Wir lassen der Regierung in Amman wenig Raum und kümmern uns selbst um unsere Belange.“ Die Rechtsprechung erfolgt heute durch Klan-basierte Schiedsgerichte.

Im urbanen Norden Jordaniens genießt Maan den Ruf eines rechtsfreien Raums. „Für kein Geld der Welt würde ich nach Maan fahren, zu gefährlich“, sagt etwa Yarob Nahhas, ein Touristenführer aus Amman. Die negative Außenwahrnehmung verärgert viele Maanis: „Die jordanischen Medien zeichnen von uns das Bild von Fanatikern“, kritisiert Scheich Abu Yasser, Schlichter an einem Schiedsgericht.

Dabei sehen sich viele Maanis als „Wurzel“ Jordaniens: „Wir waren hier, bevor die Haschemiten kamen“, erklärt der Bürgermeister. „Maan sollte eine starke Rolle spielen, doch stattdessen vernachlässigt uns der Staat wirtschaftlich und mischt sich gleichzeitig in innere Belange ein.“ Tatsächlich war Maan bis zur Staatsgründung wichtigste Stadt an der Pilgerroute gen Mekka.

Junge Leute wollen weg

„Heute wollen viele junge Leute mit Uni-Abschluss weg aus Maan“, berichtet der 19-jährige Mohammad. Er ist Vorsitzender des Studierendenrates an der Universität Maan, wo zuletzt 2013 drei Menschen bei einer Schießerei ums Leben kamen. „Die Regierung in Amman vernachlässigt die Region, wir hinken in allem hinterher“, sagt er. „Das macht junge Leute angespannt und führt zu einer Atmosphäre der Gewalt.“

Königshaus und Regierung wissen um die Gefahr, die Ressentiments in Maan für sie bedeuten. Anfang des Jahres zeigte sich erneut, dass die Regierung an Aussöhnung interessiert ist. Der Abdallah schenkte den Maanis 7.000 Hektar Staatsland, ein Stück Wüste für jeden. Bürgermeister Scharari kommentiert die Nachricht lapidar: „Die Regierung sollte besser Arbeitsplätze schaffen.“ Die angespannte wirtschaftliche Lage des Königreiches, das seit 2011 insgesamt 700.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, macht solche Investitionen unwahrscheinlich.

Wurde Maan vom Staat abgehängt oder hat sich die Stadt von ihm losgelöst? Die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. Der Status quo ist jedenfalls einzigartig: „Wir sind wie die Gallier“, lacht Abu Yasser, „die einzigen, die sich gegen das Regime wirklich wehren.“

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