Die Stadt Split: Betrunken in Kroatien

Palmen, das Meer, ein Fußballspiel, ein deutscher Krimi und die verwinkelten Altstadtgassen der mediterran-dalmatinischen Hafenmetropole.

Städtischer Platz mit Restauranttischen bei Nacht

Hinter jeder Ecke noch eine Ecke oder ein kleiner Platz mit einer Kirche, Restaurants und Bars Foto: imago/Westend 61

Es ist Abend, es ist warm: Die Menschen flanieren auf der Riva, auf der palmengesäumten Uferpromenade der Stadt. Die Kinder essen Eis, spielen mit Papageienluftballons, die sie gerade vom singenden Verkäufer erworben haben. Die Cafés und Restaurants sind bis auf den letzten Platz gefüllt, man trinkt ein Glas Rotwein, isst frischen Fisch, plaudert über dies und jenes.

Auf dem Meer, auf der Adria, sieht man die flirrenden Lichter der großen Schiffe und rechts, unter einer Palme, spielt ein alter Mann Geige. Sein Anzug ist zerschlissen, und ganz offensichtlich hat er auch schon den ein oder anderen Schnaps zu viel getrunken. Er trifft kaum einen Ton, niemand hört ihm zu, ich schmeiße, da ich Sonderlinge mag, einen 20-Kuna-Schein in seinen Hut.

Von der Uferpromenade gelange ich durch das kleine Seetor zum Diokletianpalast. Vor ungefähr 1.700 Jahren hatte sich der römische Kaiser Diokletian in Split einen monumentalen Alterssitz erbaut. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde der Palast zu einer bewohnten Festung, um die herum sich die Altstadt ausbreitete. Im Peristyl, im rechteckigen Freilufthof des Palastes, tanzen gerade einige ältere Paare Tango. An den Rändern sitzen Touristen und Einheimische auf roten Samtkissen, die zum Café des Peristyls gehören. Kellner huschen leichtfüßig mit den Getränken über den Platz, auf dem einst der Kaiser seine Untertanen empfing.

Regieanweisung und eine Absperrung

Ich bestelle mir ein Bier, lausche der Musik und bin fasziniert von den älteren Herren und Damen, die sich, umgeben von antiken Säulen und Gemäuern, so elegant und hingebungsvoll dem Tanz widmen. Danach schlendere ich durch die engen Gassen der Altstadt, die seit 1979 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Keine Autos, keine Mopeds, nur diese verwinkelten alten Gassen, in denen man sich wie in einem Labyrinth ständig verläuft.

Hinter jeder Ecke noch eine Ecke oder ein kleiner Platz mit einer Kirche, Restaurants und Bars. Über den Gassen die aufgespannte Wäsche, aus den geöffneten Fensterläden das Geschirrklappern und das familiäre Stimmengewirr des Abendessens. Das alles erinnert mich ein wenig an Venedig, was ja auch kein Wunder ist, da Split zwischen 1420 bis 1797 unter venezianischer Herrschaft stand.

Das Laternenlicht schimmert golden auf die glatt gelaufenen Steinplatten der Gassen. Ich lasse mich treiben, verlaufe mich, und dann, hinter einer dieser verwunschenen Ecken, stoße ich auf ein Filmteam. Kameras, grelle Scheinwerfer, Regieanweisungen, aufgeregte Schauspieler und eine Absperrung.

In einer gemütlichen Altstadtbar

Es wird Deutsch gesprochen, und ich frage den Mann an der Absperrung, was sie hier gerade drehen. Er sagt: So eine Serie für die ARD, so einen Auslandskrimi. Ich gebe die Suchbegriffe ARD, Split und Krimi in mein Smartphone ein und lese: „Drehstart für die neue ARD Degeto-Krimi-Reihe ‚Branka Maric‘ mit Neda Rahmanian in der Hauptrolle. Im Zentrum steht die unerschrockene und raffinierte Kommissarin Branka Maric, die erste Frau an der Spitze der kroatischen Mordkommission. In Episodenhauptrollen sind Ralph Herforth, Nadeshda Brennicke, Miroslav Nemec und Stipe Erceg zu sehen.“

Ich lese noch etwas von „pittoresker Stadt“ und „der Mentalität Kroatiens“ und denke: Och nö, nicht schon wieder so eine geistlose Ethnokitschmordkommission wie in Venedig oder Istanbul. Aber dann denke ich, dass mir das auch egal sein kann, schaue ein wenig bei den Dreharbeiten zu und trinke zum Abschluss des Abends noch ein Bier in einer gemütlichen Altstadtbar.

Fischmarkt: Jugendstilgebäude am Rand der Altstadt. Angeboten wird der morgendliche Fang aus der Adria: Sardinen, ­Doraden, Langusten und Muscheln.

Ivan-Meštrović-Galerie: Befindet sich auf der Südseite des Stadtparks Marjan. Villa und Atelier des Künstlers Ivan Meštrović (1883–1962) mit prächtigen Skulpturen und einem schönen Garten mit Blick auf die Adria.

Insel Brač: Mit der Fähre von Split aus in 45 Minuten zu erreichen. Auf der Insel liegt die Vidova Gora, der höchste Berg (778 Meter über dem Meeresspiegel) aller kroatischen Inseln. Grandio­se Aussicht. Ebenso zu entdecken: malerische kleine Ortschaften, einsame Buchten und verborgene Inselstrände.

Hafenstadt Trogir: Mit dem Bus Nummer 37 ungefähr 25 Kilometer von Split entfernt. Die gesamte Altstadt zählt seit 1997 mit ihren romanisch-gotischen Gebäudekomplexen zum Weltkulturerbe der Unesco. Enge Gassen, kleine Marktplätze, eine Stadtmauer, Kirchen und Paläste aus verschiedenen Stil­epochen sowie ein kleiner schöner Hafen mit Restaurants und Cafés.

Kroatisches Fremdenverkehrsamt: http://croatia.hr/de-DE

Am nächsten Morgen herrlichster Sonnenschein. Ich packe mir ein Handtuch, laufe zum nahe gelegenen Stadtstrand Bač­vice hinunter, schwimme ein paar Runden in der tiefblauen Adria und gehe danach zum Obst- und Gemüsemarkt, der an den mächtigen Wehrmauern des Diokletianpalasts liegt.

Es ist Samstag, der Markt ist riesig, die Menschen schlängeln und schieben sich durch die engen Gassen, die von hohen Platanen beschattet werden. Links und rechts Türme mit frischen Tomaten, Paprika, Äpfeln, Feigen, Gurken, Orangen und Zitronen. Ich kaufe mir ein paar Tomaten, Käse und Brot, schlendere runter zur palmengesäumten Riva, der Uferpromenade, setze mich auf eine Bank mit Blick auf das glitzernde Meer und picknicke. Die Tomaten waren ein Traum, die Tomaten haben geradezu paradiesisch geschmeckt.

Palmen und der Diokletionpalast

Westlich der Altstadt überragt der Marjan-Hügel mit seinen tiefgrünen Wäldern die Stadt. Am Nachmittag steige ich, umflattert von vielfarbigen Schmetterlingen, den Hügel hinauf. Auf halber Höhe gibt es ein Ausflugscafé mit einem bezaubernden Panoramablick: Man sieht den Fährhafen und die Schiffe auf dem Meer, die die Stadt mit den unzähligen kroatischen Inseln verbinden, sieht die Palmen auf der Uferpromenade, den Diokletionpalast, die Dächer der Altstadt und den Außenring mit den Tito-sozialistischen Beton-und Plattenbauten, die sich an das im Hinterland auftürmende Gebirge anzuschmiegen scheinen.

Stipe liebt Deutschland, irgendwann habe ich ich keine Lust mehr, auf Deutschland anzustoßen

Ich genieße den Ausblick, trinke einen Café, und dann setzen sich ein Mann und eine Frau neben mich, die ich zu kennen scheine. Sie sprechen Deutsch, und ich erinnere mich, dass die Frau die „Kommissarin Branka Maric“ von gestern Nacht ist. Ich lausche.

Die Frau, die Kommissarin, sagt: „Das ist einfach ein grandios schöner Drehort“, und der Mann, vielleicht der Regisseur oder Produzent, antwortet: „Ja, eine wirklich schöne Stadt.“ Und dann sagt die Frau: „Du, der Miroslav Nemec ist ja ein ganz wunderbarer Kollege. Der ist überhaupt nicht eitel und hat super gespielt.“

Gute Stimmung im Stadion

Gut zu hören, denke ich, dass der Münchner „Tatort“-Kommissar Batic alias Nemec nicht eitel ist, und dann denke ich, dass mich das eigentlich gar nicht interessiert, bezahle meinen Café und schlendere wieder in die Stadt hinab.

Am Abend laufe ich Richtung Stadion. Hajduk Split spielt gegen Lokomotive Zagreb. Ich mag Fußball, will mir das Spiel anschauen. Vor einer Kneipe sehe ich ein paar Fans in Hajduk-Trikots und frage sie nach dem Weg. Stipe, ein Bulle von einem Mann, mindestens 1,90 groß, tätowiert und Matrose, spricht sofort deutsch mit mir. Er hat, wie so viele andere Kroaten, ein paar Jahre in Deutschland gearbeitet. Stipe lädt mich zu einem Schnaps, den Rakija, ein und noch einen und noch einen.

Stipe sagt: „Split ist wunderschön, die Sonne scheint fast immer, du hast das Meer, die Palmen und diese lockere Lebensart. Leider kannst du es nicht genießen, weil es in diesem Scheißland keine Arbeit gibt und alle korrupt sind. Verstehst du, ohne Geld und ohne Zukunft ist es scheiße hier. Deswegen gehen wir alle nach Deutschland.“ Ich verstehe, trinke noch einen Schnaps und laufe alleine weiter zum Stadion.

In einem Supermarkt hole ich mir noch ein Bier. Ich werde immer betrunkener, kaufe mir ein Ticket für das Spiel. Das Stadion ist schön, sieht futuristisch aus, hat die Form einer geöffneten Muschel. 20 000 Zuschauer sind gekommen. Ich sitze auf der Gegengerade. Rechts von mir befindet sich die Fankurve der Torcidas. Die Stimmung ist großartig: Tausendfache Gesänge, farbenfrohe Choreografien, flammende Bengalos und fanatische Anfeuerungsrufe. Im Gegensatz zu den Fans ist das Spiel eher drittklassig. Mir gefällt nur der Rechtsaußen, der hat Talent, aus dem könnte mal was werden. Am Ende sind trotzdem alle glücklich: Hajduk hat 2:1 gewonnen.

Schwimmen in der Adria

Beim Verlassen des Stadions treffe ich zufällig wieder auf Stipe, den tätowierten Matrosen. Er nimmt mich mit in eine Bar. Es läuft kroatische Rockmusik, wir trinken Rakija, sehr viel Rakija. Stipe spricht vom Krieg, von den Ustascha-Faschisten und von fernen Ländern, die er bereist hat. Ständig müssen wir auf Deutschland anstoßen. Stipe liebt Deutschland, und irgendwann habe ich keine Lust mehr, auf Deutschland anzustoßen und verlasse vollkommen betrunken die Bar.

Ich verlaufe mich und stoße hinter einer dieser verwinkelten Altstadtgassen wieder auf das deutsche Filmteam. Ich setze mich hin und beobachte, wie der Schauspieler Ralph Herforth eine steile Steintreppe hinaufhetzt und in ein Haus flüchtet. Die Szene wird fünfmal wiederholt: Fünfmal sehe ich, wie Ralph Herforth diese blöde Steintreppe hinaufrennt. Dann sagt der Regisseur: „Fantastisch, das war es. Das war die letzte Szene von Ralph.“

Die ganze Crew applaudiert und Ralph Herforth verneigt sich und sagt: „Wie immer zu wenig Gage. Aber es war mir eine Freude, mit diesem tollen Team zu arbeiten. Danke.“ Das mit der schlechten Bezahlung, denke ich, kenne ich zur Genüge als taz-Autor. Dann laufe ich weiter, lande auf der menschenleeren Uferpromenade mit ihren Palmen, torkle über den verlassenen Obst-und Gemüsemarkt, erkenne eine kleine Straße und finde unerklärlicherweise nach Hause.

Am nächsten Morgen wieder herrlichster Sonnenschein. Ich packe mir ein Handtuch, laufe zum Stadtstrand Bač­vice hinunter, schwimme ein paar Runden in der tiefblauen Adria und denke, dass ich definitiv weniger trinken sollte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.