Die Wahrheit: Reflux im Flixbus

Das neue Fortbewegungsmittel Fernbus verheißt aufregendes Reisen. Tatsächlich bringt es geballte menschliche Schick- und Scheusale.

Danke, Claus Weselsky, danke für alles, was ein jeder von uns vergangene Woche erleben durfte, zu Wasser, in der Luft, auf Schiene oder Straße. Danke.

Zum ersten Mal also Fernbus fahren. Fazit: lohnenswert, weil volkstümlich. Doch der Reihe nach. Von München nach Berlin geht es, und der Aufregung ist viel, denn nie war man zuvor mehr als 25 Minuten per Bus in Deutschland unterwegs. Hilfe tut not, eine fernbuserfahrene Freundin begleitet zum ZOB. ZOB steht für Zentraler Omnibusbahnhof. Omnibus sagt auch niemand mehr. Schade. Am Münchner ZOB steht ein Klo mit einem strickenden Klomann, und als die Bustür nach Berlin sich öffnet, wird der Flixbus gestürmt, als wenn nicht nur eine Poolposition auf Mallorca verteidigt werden müsste.

Platzierte man sich unten im Doppeldeckerbus, Gevatter Tod holte einen flugs, so niedrig kann doch gar keine Decke sein. Auf also ans Oberdeck, und siehe da, ein Platz erscheint prächtig, weit vorne, direkt an der Treppe zum Hades, nein zum Busfahrer. Der Sitzherr neben einem ist bereits, wie die folgenden sieben Stunden und sieben Minuten, angenehm schweigsam mit seinem digitalen Heimkino verbandelt. Auf dem Programm: ein apokalyptischer Surffilm, eine lahme Doku über Rochen und ein braver Pistolenfilm. Einzig beunruhigend am Nachbarn: Er sieht dem toten Germanwings-Piloten täuschend ähnlich.

Hinter einem fläzt sich die wohl beste Freundin einer gewissen Sabeth: „Ich muss jetzt hier seven hours hocken, Sabeth, wollen wir nicht seven hours telefonieren? Wie geil wär das denn?“ Ja, wie geil wär das denn und für solch geile Sätze und langweilige Filmchen muss man nicht Bus fahren, die kriegt man auch in jedem handelsüblichen ICE mit.

Was also ist das Besondere am Fortbewegungsmittel Fernbus? Es ist die Geballtheit menschlicher Schick- und Scheusale auf engstem Raum. Da passt kein Deut Distanz dazwischen, wenn der Gangnachbar des Öfteren rülpst, und gerade als man sich daran gewöhnt hat, fällt einem ein, dass der vermeintliche Chinese eventuell an einer Reflux-Erkrankung leidet. Sofortiges Googeln bestätigt die Annahme.

Mitleidig geht man in die vom Busfahrer gewährte 21-Minuten-Pause am Brummiparkplatz Himmelkron nahe der A 9. Vertritt sich die Beine, passiert einen himmelblau gestrichenen Anhänger mit der Aufschrift „Jesus hat viele Anhänger“, bestaunt das Schild vom „Eroticmarkt mit C“ und erinnert sich daran, wie laut der Fahrer („Ich bin der Clemens“) auf der Höhe von Titting gehupt hatte.

Beim Wiedereinstieg verkündet ein Neuzugang in Megafonlautstärke, dass sie „die schwarze Mamba, die Bahncard 100“, besäße und an einem Trauma aufgrund jahrelangen Schulbusfahrens leide, das jetzt durch den Bahnstreik wieder aufbräche. „Arme Sau“, denkt man sich und ahnt, dass man dabei ist, Fernbus-Fan zu werden. Vollends um einen geschehen ist es auf der Brücke der Deutschen Einheit bei Rudolphstein, als eine Frau in der ersten Reihe ihren Sohn abkanzelt. „Böses Kind!“, keift sie und dann sagt sie nur „Sitz!“.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.