Die Wahrheit: Die Nahetige

Journalisten und Texter sollen komplexe Sachverhalte verständlich darstellen. Bisweilen erreichen sie im Ringen mit der Sprache aber das Gegenteil.

Macken im Blätterwald: Wer viel schreibt, kann auch viele Fehler machen. Bild: Frank Rumpenhorst/dpa

„Ein Lichtbild als Eindruck der Wahlplakatiererei fast überall.“ „Handschriftliche und private Einträge treffen auf den nüchternen Blick auf ein Machtsystem.“ „Klassen werden durch Staffagen erzählt.“ Sowie: „Comics als Parodien der Vorstellung eines Originals.“

Wenn Sie bei diesen Zitaten aus der taz, ihrer Nordausgabe und einer Rezension im Göttinger Stadtmagazin pony bloß Bahnhof verstehen, so ist mit Ihrem Verstand alles in Ordnung. Was die ersten drei Zitate bedeuten, weiß niemand. Das letzte meint: Der Glaube, es gebe Originale, wird in den anschließend rezensierten Comics aufs Korn genommen.

Im Gespräch muss man’s nicht krumm nehmen, wenn einer sich vergaloppiert. Anders bei Geschriebenem, das sich korrigieren ließe, bevor fremde Augen es zu sehen bekommen. Freilich hilft das nicht immer.

Bei Wikipedia zum Beispiel gibt es Leute, die die Lexikonartikel gegenlesen. Irgendjemand ließ also den Beitrag passieren, in dem es über Guttenbergs Doktorarbeit heißt, sie sei dreimal rezensiert worden, die dritte Rezension „verfasste Alexander Camann für die FAZ vom 18. März 2009. Er beschränkte seine Kritik auf einen ironischen Kommentar zum Vorwort der Dissertation, welche Guttenberg dort ein Produkt beklagenswerter Eitelkeit genannt hatte“. Die Dissertation nannte Guttenberg selbst ein Produkt seiner Eitelkeit? Dolle Sache!

Wer viele Sprachen spricht, kann in vielen Sprachen Unsinn reden

Die andere Möglichkeit, dass der Rezensent in seiner Kritik das Vorwort ein Produkt von Guttenbergs Eitelkeit nannte, kann ausgeschlossen werden, sonst hätte der Wikipedia-Autor diesen einfachen Gedanken sicherlich ausgedrückt. Indes: Einfache Sachverhalte einfach auszudrücken ist mitunter eine schwere Kunst, gerade in der taz.

Dort buht bei einem Konzert nicht ein Teil der Zuschauer, sondern „eine hörbare Menge an Publikum unter den 12.000 Zuschauern buhte“; oder es wird in der Vorschau auf eine Wahl in Hinsicht auf zwei Parteien gewünscht, dass „beide Listen gegenseitig voneinander Wähler klauen“, weil sie gegenseitig voneinander, quatsch: weil sie einander so ähnlich sind. Schön, wenn eine große Menge an Publikum unter den Lesern das auch so sieht!

Wer viele Sprachen spricht, kann in vielen Sprachen Unsinn reden, sagte Karl Kraus. Wer täglich viel schreibt, kann täglich viele Fehler produzieren. Über Fehler, die das Verständnis nicht erschweren oder unmöglich machen, lässt sich hinwegsehen; in der Regel liest man sowieso über sie hinweg. „Renault-Nissan verfehlt sein Absatzziel deutlich. Schuld sei die mangelnde Infrastruktur, heißt es. Zum Beispiel fehlen Ladesäulen. Aber wichtige Probleme der E-Mobilität sind noch lange nicht gelöst“, heißt es in der taz. Über den Fehler hier haben Sie aber nicht hinweggesehen? Er besteht darin, dass die taz wunderlicherweise zwischen fehlenden Ladesäulen und den Problemen der E-Mobilität einen Gegensatz erblickt.

Verrutschte Sätze

Leicht verrutscht ist auch der folgende Satz: „Sein bedeutendstes Werk ist eine Sammlung von 6.000 Seiten persönlicher Aufzeichnungen“, schreibt das Arte-Magazin in einem Leonardo-da-Vinci-Porträt, obwohl es sich statt um ein Werk um eine Hinterlassenschaft, einen Nachlass handelt. Hier könnte ein Formulierungsproblem vorliegen, doch hat sich der Verfasser die Frage gar nicht gestellt, was man statt „Werk“ sagen kann oder ob der Gedanke anders ausgedrückt werden sollte (etwa: „Am bedeutendsten ist eine Sammlung von 6.000 Seiten persönlicher Aufzeichnungen“), denn der Text knödelt weiter: „Dank der einmaligen Gelegenheit, in den Codex Atlanticus, das größte Werk seiner Aufzeichnungen, Einsicht nehmen zu können, werden Leonardos Ambitionen deutlich“ – sowie die Fähigkeit des Autors, den „Codex Atlanticus“, die größte Sammlung von Leonardos Skizzen, Zeichnungen und Studien, treffend zu benennen.

Es ist schwer, keine Satire zu schreiben, schrieb Juvenal. Es ist schwer, keine Fehler zu machen, kann man über die Sprache sagen. Leichter ist es, sich über die Fehler zu mokieren: Eingestandenermaßen schweben Sprachkritiker immer in der Gefahr, es zu übertreiben, und können deshalb froh sein, wenn sie einen derart grotesken Fehlgriff entdecken, dass kein Anwalt der Welt den Täter raushauen könnte.

In einem Roman, für den Buch aktuell einst warb, ging es um eine Frau, die dem Hungertod nah war. Was schreibt man in den Klappentext? „Sie, die dem Hungertod nah war“ wäre einfach und richtig. „Die einst dem Hungertod Nahe“ wäre auch möglich, klänge aber gekünstelt. Was fällt folglich dem Werbetexter ein? „Die einst dem Verhungern Nahetige“. Voilà, Tableau und aus!

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kari

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