Die Wahrheit: Jede Schnecke Schwedenschnecke

Obwohl die ausländerfeindlichen Schwedendemokraten in Umfragen zulegen, zeigt sich manch Wikinger multikulti-kompetent.

Könnte mir mal jemand die Festplatte löschen? Da fahre ich in den Urlaub nach Schweden, zum ersten Mal seit dreißig Jahren, und wie damals denke ich bei jeder Gelegenheit: „schweden schweden jeden / schweden schweden jeden berg / schweden nennen jeden berg schwedenberg / schweden nennen jedes messer schwedenmesser / schweden essen messer“. Und da soll mal einer sagen, Literatur habe keine Macht.

In diesem Fall hat sie komplett von mir Besitz ergriffen. Oder zumindest von meinem Kopf. Ich befinde mich in einem Ernst-Jandl-Loop. Und ich dichte weiter. Plappernd, albern, zwanghaft. Kaufe ich eine Zimtschnecke, denke ich: schweden nennen jede schnecke schwedenschnecke. Esse ich eine Wurst: schwedenwurst! Sehe ich einen Hund: schwedenhund …Ich bin besessen. Noch ein paar Tage, und ich muss mich von der Konkreten Poesie exorzieren lassen. Gott sei Dank sprechen die Schweden mit mir Englisch. Da schaltet mein Gehirn kurzzeitig um. Auf Englisch funktioniert Jandl nicht.

Die Schweden nennen übrigens jeden Demokraten Schwedendemokraten. Auch wenn diese gar keine Demokraten sind. „Sverigedemokraterna“ heißt hier nämlich eine erschütternd erfolgreiche „rechtspopulistische“ Partei. „Rechtspopulistisch“ ist in der Regel die feige Umschreibung mancher Medien für die politische Ausrichtung von rassistischen Klemmfaschos. So wie der Nazi-Mob vor den Asylbewerberheimen zunächst auch „asylkritisch“ genannt wurde. Oder Hitler und Goebbels „judenkritisch“. Ach, die beiden hat gar keiner so genannt? Na, dann …

Wären an diesem „söndag“ Reichstagswahlen, würden die Schwedendemokraten 25 Prozent der Stimmen erreichen. Ein Viertel der Bevölkerung im einst so liberalen, ursozialdemokratischen Volksheim Schweden ist also rassistisch. Das überrascht. Wobei wir Deutschen uns da nicht aus dem Fenster hängen sollten. Nicht nur wegen Pegida, Freital und Heidenau. Schon Ende der Siebziger, lange vor der Wiedervereinigung, berichtete die Shell-Studie, dass circa 25 Prozent der Deutschen sich wieder einen Führer wünschten, der mit den Ausländern aufräumt und den Einfluss der Juden zurückdrängt.

In Schweden sah ich allerdings auch Folgendes, auf dem „Malmö Festivalen“, nachts um eins beim Konzert der schwedischen Reggaeband „Helt off“: Während mehrere tausend Menschen der Musik lauschten, durchpflügten zwei Handvoll Roma die Menge und sammelten leere Flaschen ein. Plötzlich nahm ein trunkener Wikinger eine der Roma-Frauen bei der Hand und forderte sie pantomimisch zum Tanzen auf. Negativ, wie ich inzwischen gepolt bin, rechnete ich mit allem: dass der Schwede aufdringlich wird und die Romni ihm eine ballert. Oder dass ihr Bruder ihm eine ballert. Aber nichts. Die beiden tanzten nur miteinander und die daneben stehende Romni lachte und freute sich. Ein Bild wie aus dem Multikulti-Kitsch-Album. Und trotzdem wahr. Mitten in Schweden, dem Land, wo die Arschlöcher bald die stärkste Partei sind.

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Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)

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kari

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