Die Wahrheit: Auf Du und Du mit jedem Marabu

Nach der Bundestagswahl 2017: Das neue Traum- und Kanzlerpaar Natalia Wörner und Heiko Maas betört die ganze Welt.

Foto: Stephan Rürup

Die hellen Strahlen der Herbstsonne perlten durch die Vorhänge wie Champagner im Glas. Natalia Wörner öffnete ihre müden Augen und lächelte. Goldener Oktober. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Wenn ihr vor ein, zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass sie sich jetzt hier räkeln würde, sie hätte den Hellseher für verrückt erklärt. Glücklich breitete sie ihre Arme aus und ließ sie mit einem lauten Platsch in die Kissen fallen.

Heikos Seite war bereits leer. Diese ewige Frühaufsteherei würde sie nie verstehen. Vor allem am Sonntag. Wahrscheinlich telefonierte er schon wieder mit Hillary. Die Präsidentin hatte sie letztens sogar grüßen lassen: „Your dear wife Nataly.“ Na ja, nicht ganz ihr Name. Aber beim Antrittsbesuch nächsten Monat in Washington würde sie der konfusen Tante dann schon beibringen, wer sie war.

Immer noch besser als vor zwei Wochen der „Tagesschau“-Sprecher, dessen Zunge über seine Gedanken gestolpert war. Erst stockte er, dann versprach er sich und stammelte etwas von „Bundeskanzler Wörner“. Ganz Deutschland lachte über den armen Heiko, der auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen musste und sich öffentlich souverän gab. Hinter den Kulissen ließ er dann selbstverständlich seine Kontakte zur ARD spielen, und der idiotische Nachrichtensprecher wurde in die Frühschiene versetzt. Jetzt durfte er die nächsten Jahre um vier Uhr morgens aufstehen und im Frühstücksfernsehen mit kleinen Augen den Teleprompter ablesen. Selbst schuld.

Natalia Wörner hielt sich an den Kissen fest. Manchmal wurde ihr morgens ganz schwindlig. Es war aber auch einfach zu viel passiert in den zurückliegenden Monaten. Seit dem Mai 2016 hatte sie auf der Achterbahn ihres Lebens keine ruhige Minute mehr gehabt. Erst hatte sie die Affäre mit Heiko Maas nicht ganz ernst genommen. Er war ja auch eine Spur zu schmächtig für sie und ein bisschen klein. Ständig musste sie flache Schuhe tragen. Und erst der Name! Heiko! Das klang wie ein ostdeutscher Melker.

Clinton, die konfuse Tante

Doch aus dem schüchternen Kerlchen hatte man etwas machen können. Sein neues Image – das war sie: hippe Frisur, stylishe Brille, coole Anzüge – und vor allem musste das blonde Muttchen weg. Das dauerte zwar, dann aber sah Heiko es ein und verließ seine Frau. „Wonder why, wonder why, wonder why / Why must we pretend / Why can’t we be more than friends? / Let’s be more than friends“, trällerte Natalia Wörner ihren Lieblingssong von Estelle. Ihr Lied! Damit hatte sie ihn rumgekriegt …

Und dann ging’s ab! Privat wie politisch. Die Boulevardmeute stürzte sich auf sie wie ein Rudel Jagdhunde auf einen Fuchs. Zum „Glamourpaar der Nation“ erklärte sie Bild. Und die trutschige Chefredakteurin der Bunten mit ihrem beschränkten Horizont ernannte sie zur „deutschen Carla Bruni“. Als sie auch noch auf die Schnelle heirateten, war kein Halten mehr. Bei ihrer „heimlichen Hochzeit“ (Spiegel online) kreisten zwei Hubschrauber von Fernsehsendern über dem Standesamt. Von da an konnte Heiko Maas einfach nicht mehr länger Justizminister bleiben.

Kurzentschlossen wurde der ungeliebte SPD-Chef Gabriel weggeputscht. Der Dicke entblödete sich nicht, das zu tun, was er am besten konnte: unter die Gürtellinie schlagen. Von Gabriel stammte das genüsslich in den Medien kolportierte Wortspiel, Heiko sei nur ein „Mister Mittel-Maas“ und wäre kein würdiger Erbe eines Friedrich Ebert oder Willy Brandt. Als ob der fettige Intrigant auch nur einen Hauch Würde versprühte.

Die von Angst vor der Bedeutungslosigkeit getriebenen Sozis merkten schnell, dass Heiko Maas ihre letzte Chance war, und wählten ihn mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger des fortan in seiner knallweißen Trutzburg am Rande Goslars schmollenden Gabriel. Einmal waren sie beide dort gewesen. Das ganze Haus roch nach Käsefüßen und Angstschweiß. Ein schauriger Abend. Natalia Wörner schüttelte sich. Ein Jahr war das jetzt her und schon fast gar nicht mehr wahr.

Im Eilverfahren wurde Heiko Kanzlerkandidat. Mit ihm und natürlich ihr an seiner Seite raste die SPD weit über die 30 Prozent hinaus. Als sie öffentlich in die Partei eintrat und das Formular in der Berliner Stresemannstraße unterschrieb, waren mindestens 100 Kamerateams aus dem In- und Ausland dabei. Ihr allerbester Fernsehauftritt – trotz der großen Rollen, die sie bisher gegeben hatte.

Gabriel, der fettige Intrigant

Sie, die kleine Lehrerstochter Natalia aus Stuttgart, hatte der muffigen SPD den Arsch gerettet. Obwohl die Piefkes in der Berliner Wahlkampf-Baracke keine Dummheit ausließen. Zur „Jackie Kennedy von Berlin“ wollten sie sie ausrufen. Und schlugen ihnen allen Ernstes vor, schnell ein Kind zu machen. In ihrem Alter! Heirat, schwanger, Baby – das wäre die absolute Mehrheit für die SPD! Das fehlte ihr noch! Gerade erst an die Spitze gekommen, und dann als späte Großmuttermutter einem kleinen Prinzen oder – schlimmer noch: einer Prinzessin das Blitzlichtgewitter überlassen. Schönen Dank auch.

Es hat auch so gereicht, lächelte Natalia Wörner erneut und fragte sich, wann Heiko heute wohl aus dem Kanzleramt zurückkäme. Es war schließlich Sonntag. Und ihr einstündiger Spaziergang rund um den Schlachtensee im Grunewald durfte nicht ausfallen. Bevor er seinen Amtseid ablegte, hatte sie ihn gewarnt. Das war ihre Bedingung, die private. Egal ob Krieg oder Frieden – es ging immer rund um den See. Sonst würde sie mit ihrem Bodyguard vom BKA durchbrennen! Der hatte sie gestern, ohne mit der Wimper zu zucken, „Frau Bundeskanzler“ genannt. Sieht gar nicht mal schlecht aus, der Schrank mit seinem Knopf im Ohr.

Die unbeliebte Merkel zu besiegen, war noch die leichteste Übung. Natalia Wörner gähnte. Dass die Bild-Zeitung mitten im Wahlkampf die ollen Playboy-Bilder von Karl Lagerfeld ausgrub und auf sage und schreibe zwölf Seiten als Sonderbeilage druckte, hatte mehr genützt als geschadet. „‚Herr Bundeskanzler‘ – das sehen sonst nur Sie im Schlafzimmer!“, lautete die eklige Schlagzeile. Das war der Preis. Der Ekel der Macht.

Und demnächst würde sie ihr eigenes Büro im Kanzleramt bekommen. Das war die andere Bedingung, die politische. Dreimal hatte sie sich den Film „Evita“ mit Madonna angesehen. Meine Güte, was für eine mittelmäßige Schauspielerin! Die keinen Deut verstand, worauf es wirklich ankam in diesem hochbrisanten Ränkespiel der Mächtigen.

Gauck, der zerstreute Zausel

Da war sie, Natalie Wörner, aus anderem Holz geschnitzt – eine geborene Mitmischerin. Ohne sie hätte Heiko doch nicht mal den Amtseid fehlerfrei hinbekommen. Den musste sie den ganzen Abend zuvor mit dem Hypernervösen üben. Damit er sich nicht verspricht. Sie hatte ja nicht umsonst bei Lee Strasberg in New York das Schauspielen gelernt. Und Gauck, dieser alte Marabu, konnte einen bei der Ernennungszeremonie wahnsinnig machen. Je länger der im Amt war, desto kauziger wurde dieser zerstreute Zausel.

Natalia Wörner gähnte und schlief wieder ein. Sie träumte von einem gewaltigen Schimmel, auf dem sie in ihrer silbernen Rüstung saß. In der Linken hielt sie eine Lanze, die sie senkte, um Seit an Seit mit Hillary Clinton und Evita Perón in den Sonnenuntergang zu reiten, reiten, reiten …

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kari

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