Die Wahrheit: Stadtschnepfen-Blues

Großstadtpflanze besucht das Land, heißt ein Genre im Journalismus. Für solche Sinn suchenden Reporter sollte man Themenparks errichten.

Ich weiß nicht, ob es schon jemand mitbekommen hat, aber ich wohne auf dem Lande. Und solange niemand mit einem Ruck das Maisfeld hinter meinem Haus wegzieht und dazu „April, April!“ ruft, glaube ich auch weiterhin, dass ich hier einfach so lebe und nicht etwa Teil eines ausgeklügelten Lifestyle-Experiments bin, bei dem neugierige Städter herausfinden wollen, wie lange es dauert, bis die Versuchsperson in Gummistiefeln schlafen geht und sich mit Autoreifen zudeckt.

Neuerdings schwärmen ja schon die Ronja von Rönnes dieser Welt in die Provinz auf der Suche nach … tja, das wissen sie wahrscheinlich auch nur selbst. Immerhin spielte Rönne bei ihrem Reportage-Ausflug für das Großstadtblatt, bei dem sie arbeitet, nett mit allen denkbaren Stadtschnepfen-Klischees, verfährt sich, stellt sich dumm mit dem Auto an, muss sich retten lassen, grüßt niemanden auf der Straße und kann danach auch kein vernünftiges Gespräch mehr anknüpfen. Respekt.

Was der Städter ja immer gar nicht fassen kann, ist, dass sich auf dem Dorf niemand für ihn und sein fabelhaft geführtes, rasant tolles Leben interessiert. Und dass wir nicht alle hier sitzen und darauf warten, ob in Berlin endlich eine Wohnung für uns frei wird. Falls noch mehr Autorinnen auf Sinnsuche sich bis hinter die Hauptstadt-Bebauungsgrenze trauen, werde ich demnächst eigens für sie einen Provinz-Themenpark eröffnen, damit sie es nicht ganz so schwer haben.

Die Hauptattraktionen dort werden sein: der geschlossene Dorfgasthof (zum Umrunden und dabei Gruseln) und die Tankstelle mit echtem Benzin und Brötchenaufbackautomat als letzter Anker der Zivilisation. Gleich daneben der freundliche Lebensmittelhändler. Was man braucht, wird bestellt, und wer sein Geld vergessen hat, darf anschreiben lassen. Spätestens hier fällt die Städterin in Ohnmacht und verpasst das freundliche Gespräch an der Kasse.

Die kaputte Telefonzelle als Topos der Isolation – wird man je nach Berlin durchkommen? Oder muss man für immer hierblieben? – hat ja leider ausgedient. Sie wurde neulich durch ein Funkloch ersetzt und in meinen anderen Themenpark für ausgestorbene Topoi verlegt. Stattdessen biete ich aber eine einsame Bushaltestelle mit Wartehäuschen, in dem sich die verzweifelte Dorfjugend trifft. Mit Schnapsflasche, Kippen und vergilbtem Fahrplan vom vergangenen Jahr.

Noch spektakulärer ist meine Geisterbahn: einfach eine Überdosis Natur, mit weitem Blick und Wolkenspiel. Kein Haus zu sehen! Dafür mit echten Wölfen und Wildschweinen. Und Kampfrehen, die am frühen Morgen einrücken, um die Gartenbepflanzung aufzumischen. Zeit zusammenzubrechen, aber vorher bitte noch die Zecken entfernen, die ich heimlich im dekorativ hohen Gras verteilt habe.

Aus meinem persönlichen Landleben könnte ich außerdem noch einbringen: die hilfreiche Autowerkstatt, bei der man jederzeit vorbeikommen kann und … – nein, das erzähle ich lieber doch nicht. Am Ende werden wir hier noch überrannt.

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kari

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