Die Wahrheit: Sitz, Para, sitz!

Biologie und Komik: Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (19). Wie Viren und Bakterien sich ihr Überleben sichern.

Eine Mikroskopaufnahme eines Parasiten

Trichomonaden für die Damen: Vaginalparasit unterm Mikroskop Foto: ap

Mitte des 19. Jahrhunderts nannte ein Zoologe des Britischen Museums einen „glashell durchsichtigen Falter“ aus dem Amazonasgebiet „Hetaera“, weil er dabei an die „durchsichtig gewandeten Kurtisanen des alten Griechenlands“ dachte. Als Artname fügte er „Esmeralda“ hinzu – in Anspielung an die „liebliche Zigeunerin in Victor Hugos ,Notre Dame des Paris' “. 1936 wurde Hetaera esmeralda in das Bilderbuch „Falterschönheit“ über exotische Schmetterlinge aufgenommen, dem Hermann Hesse ein Vorwort beigab.

Das Büchlein las Thomas Mann in seinem kalifornischen Exil. Bei der Abfassung seines „Doktor Faustus“ geriet ihm dieser Schmetterling („in durchsichtiger Nacktheit den dämmernden Laubschatten liebend“) zum Leitmotiv seines Romans, dessen tragischer Held der hochbegabte „Tonsetzer“ Adrian Leverkühn ist. Er fühlte sich an die „Falterfreuden“ seines Schmetterlinge sammelnden Vaters erinnert und besonders an dessen Hetaera esmeralda, „als er im Freudenhaus die wartenden Mädchen erblickte“, schreibt der Basler Biologe Adolf Portmann in der Weltwoche. „Esmeralda – das ist der Anfang des unheilbaren Leidens, das ihn früh verzehrt, und das zum Pakt mit dem Teufel führt, der sich ausdrücklich als Freund des Mädchens einführt.“ Zuletzt bezeichnet das „Hetaera-Motiv“ den „Augenblick des Zusammenbruchs, den Sieg des lähmenden schleichenden Leidens.“

Adrian Leverkühn hatte sich im Bordell mit dem Bakterium Treponema pallidum (Syphilis) infiziert. Portmann nennt den Roman eine „Spirochäten-Philosophie“ – und „die Infektion (mit diesem schraubenförmigen Bakterium) geht den Biologen natürlich im höchsten Grade an“. Sie stellt uns vor die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der „schöpferischen Höchstleistung“ und dem „Wirken von Mikroorganismen, die das Zentralnervensystem befallen“. Mikrobiologen begreifen den Parasiten nicht nur als „wuchernden Zerstörer“, sie richten ihre Aufmerksamkeit auch auf eine „subtile Auswahl“, die das Bakterium „leistet“ sowie auf die „Hilfe“, die der Erkrankte für seine Verbreitung „zu leisten gezwungen wird.“

Gesteigerter Wunsch nach körperlicher Nähe

Tripper und Tuberkulose werden ebenfalls durch Bakterien verursacht, die sich durch Kontakt übertragen. Den drei Bakterienarten gelingt es, bei ihrem Wirt einen gesteigerten Wunsch nach körperlicher Nähe und sexuellem Kontakt hervorzurufen. Mikrobiologen gehen davon aus, dass die drei „Erreger“ diesen Wunsch verstärken – um sich auszubreiten, das heißt: weitere Wirte zu finden, denn die bereits besetzten machen es nicht mehr lange.

In harmloser Form „steuern“ uns wahrscheinlich auch unsere Darmbakterien, Escherichia coli zum Beispiel. Das „Kolibakterium“ sorgt sich um meine Nahrung, die es aufbereitet – und drängt mich unter Umständen auf eine Weise, dass ich es selbst bin, der plötzlich Heißhunger auf Schokolade oder Gurken etwa bekommt. Umgekehrt weiß ich von meiner inneren Bakterienkultur so viel, dass sie es beispielsweise nicht mag, wenn ich ihr auf nüchternem Magen mit Rotwein komme, obwohl genug Nährstoffe darin enthalten sind.

Mit einem nachträglichen Kontrollblick in die Kloschüssel kann man die jeweilige momentane Befindlichkeit seiner Kolibakterien „entschlüsseln“. Sofern man noch einen der von den Nazis favorisierten „Flachspüler“ benutzt – und keinen Tiefspüler, wie die anderen Völker. Mit Antibiotika kann ich E.coli beikommen, andersherum kann er mich unter Umständen und im Verbund mit anderen Darmmikroorganismen buchstäblich auffressen. Aus einem Symbionten ist dann ein Parasit geworden.

Der kleine Fisch beißt sich am Penis fest und wandert die Harnröhre nach oben

Parasiten sind wahre Könner im Steuern ihrer Wirte. Die Ärztezeitung erwähnt die Larven des Saugwurms Leucochloridium, die sich als „Fühlermade“ in den Fühlern der nachtaktiven Schnecke festsetzen und diese dazu bringt, am helllichten Tag so lange auf einer Blattoberseite herumzukriechen, bis sie endlich von einem Vogel entdeckt und von ihm gefressen wird. Auf diese Weise gelangen die Larven über einen Zwischenwirt in ihren eigentlichen Wirt. Der Spiegel fügt hinzu: „Eindrucksvoll ist auch, wie sich die von den Parasiten befallenen Fühler verändern: Sie schwellen so sehr an, dass die gespannte Haut durchsichtig wird. Darunter werden farbige, pulsierende Streifen voller Parasitenlarven sichtbar, die für Vögel genauso aussehen wie ihre Lieblingsspeise: Raupen.“

Zweifel an der Existenz Gottes

Auch die hiesigen Grabwespen, von denen es weltweit etwa 10.000 Arten gibt, haben es mit Raupen: Die Weibchen lähmen sie mit einem Stich, schleppen sie in ihre Bruthöhle und legen ihre Eier daneben. Wenn die Larven schlüpfen, ernähren sie sich von der noch lebenden Raupe. Charles Darwin fand diese Lebensweise so verstörend, dass sie seine Zweifel an der Existenz Gottes verstärkte: „Ich kann nicht so einfach wie andere die Beweise für eine gezielte Erschaffung und allseitiges Wohlwollen erkennen, auch wenn ich es mir wünschen sollte. Es erscheint mir zu viel Elend in der Welt. Ich kann mich nicht davon überzeugen, dass ein wohlwollender und allmächtiger Gott die Grabwespen mit der Absicht erschaffen haben sollte, dass sie sich vom Inneren von Raupen ernähren.“

Ähnlich entsetzt wäre Darwin über die Schlupfwespen der Gattung Polysphincta gewesen. Sie sind Meister in der Kunst der Spinnendressur, schreibt der Spiegel. „Die Weibchen legen ihre Eier auf bestimmte Spinnen. Die Larven bohren Löcher in den Leib ihres Wirts und fressen sich an dem Saft satt, den sie daraus saugen. Nach einer Woche beginnen sie, Stoffe zu injizieren, die das Webverhalten der Spinne verändern. Einige Radnetzspinnen beginnen unter der Regie der Wespenlarven komplexe 3-D-Gebilde zu spinnen; andere, die sonst trichterförmige Netze bauen, versehen diese nun mit Türen. Alle diese Umbauten dienen dem Zweck: Verpuppungsplätze für die Wespenlarven zu schaffen.“ Wenn sie damit fertig sind, töten die Larven ihre willige Helferin und saugen sie aus.

Der im Amazonasgebiet lebende Candiru-Fisch parasitiert am Menschen, wenn auch nur an Männern: Der kleine rötliche Fisch beißt sich am Penis fest und wandert die Harnröhre nach oben. „Galileo.tv“ schreibt: „Wenn ihr von diesem Parasiten befallen seid, dann hilft nur noch eine Operation. Der Penisfisch, auch Harnröhrenwels genannt, wird von Urin angelockt. Also dort nicht ins Wasser pinkeln.“ Mag sein, dass Urin ihn anlockt, er ist jedoch an unserem Blut interessiert und lässt normalerweise von seinem Wirt ab, wenn er satt ist. Dass er die Harnröhre aufwärts wandert, wird eigentlich nur von einem amerikanischen Amazonasforscher berichtet.

Andere sind auch nicht ohne

Intelligente Parasiten nehmen es mit allen Tieren und Pflanzen auf, selbst unter den Halblebewesen, den Viren, gibt es wahre Könner. Die Tollwut-Viren veranlassen einen Warmblüter, andere so heftig zu beißen, dass der virushaltige Speichel in die blutende Wunde eindringen kann, dann wandern die Viren die Nervenstränge zum Rückenmark hoch und ins Gehirn sowie in die Speicheldrüsen, wo sie sich vermehren. Nach einigen Wochen bekommt das Opfer selbst eine Beißwut, dazu einen starken Wandertrieb und eine Wasserscheu, ferner Krämpfe im Schlund. Wenig später tritt bereits der Tod ein. Diese seltsame Symptom-Kombination ist vom Tollwut-Virus „gewollt“ – lebenswichtig: Es geht ihm darum, dass immer wieder neue Warmblüter heftig gebissen werden, eine Muskelfleischwunde nützt ihm nichts.

Auch der Wandertrieb des Opfers dient der Virusausbreitung. Die Krämpfe im Schlund verhindern, dass der infizierte Speichel verschluckt wird, und die Wasserscheu dient dazu, dass „der Keimträger von jeder Möglichkeit des Wegschwemmens der Keime bewahrt wird“, wie der Zoologe Adolf Portmann darlegte, der das Verhalten des Tollwut-Virus verfolgte.

Andere Viren sind auch nicht ohne. Werden Raupen des Schwammspinners von einem Virus namens Baculo heimgesucht, zwingt der sie, nach oben zu wandern, und verflüssigt sie dort, so dass sie von den Blättern tropfen, wo weitere Raupen sie aufnehmen. Der Kreis schließt sich. Das ist ziemlich genial. „Wahnsinn!“, wie man 1989 sagte.

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