Die Wahrheit: Jeder Satz ein Schatz

Große Werke des Schwachsinns neu entdeckt: In seinem Buch „Ich denke deutsch“ aus dem Jahr 1989 lässt Jürgen Todenhöfer Metaphernlawinen rollen.

Porträt Jürgen Todenhöfer

Jürgen Todenhöfer im Jahr 1996 – damals wurde er Manager beim Burda-Verlag Foto: dpa

Jürgen Todenhöfer wurde kürzlich zum neuen Herausgeber der Wochenzeitung Freitag berufen. Wenig später erzählte Jörg Sundermeier, Herz und Hirn des charmanten Kreuzberger Verbrecher Verlags, dass er sich zu Schulzeiten vor knapp dreißig Jahren immer mit einem Freund Bonmots Todenhöfers aus einem Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Ich denke deutsch“ vorgelesen habe – erschienen im Sommer 1989, als der CDU-Mann Todenhöfer noch Abgeordneter im Bonner Bundestag war. Also flugs das Buch antiquarisch bestellt und eingetaucht in das Frühwerk eines der großen, nun ja, Geschichtenerzähler unserer Zeit.

Bereits im Vorwort begegnet uns die für Todenhöfer bis heute typische Bescheidenheit: „Dieses Buch will Orientierung geben, Wegweiser aufstellen. Der Bürger will wissen, wo es lang geht. Ich sage, wo es lang geht.“ Die folgenden „Leitgedanken“ beginnt er poetisch: „Ich schlafe bei offenem Fenster. Die Sonne geht auf. Das Gezwitscher der Vögel weckt mich. Ich schalte den Südwestfunk ein. Mir wird schon beim ersten schlaftrunkenen Hinhören klar: Das konnten gar keine Vögel gewesen sein, die mich weckten. Vögel fallen tot von sauren Bäumen.“

Befehlsausgabe vor dem Kiosk

Sogleich ist Todenhöfer bei einem Leitmotiv seines Buchs – den Medien: „Unsere Gedankenwelt wird systematisch durch die veröffentlichte Meinung verdrängt. Ganze Redakteurs-Brigaden treten jeden Montagmorgen zur Befehlsausgabe vor den Kiosken des Spiegel an: Hier – und nicht in Bonn – wird Order gegeben, was wir diese Woche denken dürfen, was Sache ist, sofern die radioaktive Molke etwas von uns übriggelassen hat.“

Zu einer Zeit also, als Björn Höcke noch Hakenkreuze in Neuwieder Schulbänke ritzt, entwirft Todenhöfer bereits das Schauermärchen von Lügenpresse und Mainstream-Medien: „Der Grips wird an der Garderobe dieser Kioske abgegeben. Eigene Gedanken sind out. Kampagnen sind in. Das Geschäft der Meinungsmache mit vorgegebenen Strategie-Themen, Denk-Mustern, Agitations- und Propagandakampagnen blüht.“

Schon auf den ersten Seiten dieses poetisch-politischen Zitatenschatzes wird klar: Hier kann einer mit Worten umgehen – wenn auch nicht gut. Denn Todenhöfer ist nicht nur ein Meister der missratenen Formulierung, sondern auch der Metaphernlawine: „Die Sozialdemokratie entmannt sich politisch im spät-marxistischen Dogmenwahn, streicht dem Volk rosaroten Hoffnungsquark auf die Pausenstulle und kokettiert, längst impotent, mit jenen selbsternannten Giftpropheten und ökomanischen Hiobskündern, die wenig von Ökologie, aber viel von Ideologie verstehen.“

Dabei ist es manchmal gar nicht so leicht auszumachen, wie stulle die Aussagen tatsächlich sind. Hinter dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ befürchtet Hodentöter, wie ihn Herbert Wehner zu nennen pflegte, ein „beliebig übertragbares Dutzendrecht, das der frischfröhlichen Querfeldein-Hurerei Tür und Tor öffnet“.

Früh entwirft Todenhöfer das Schauermärchen von der Lügenpresse

Doch Todenhöfer ist nicht nur ein Meister der Metapher, sondern auch der Tautologie: „So grob über den Daumen ins Blaue hineinphilosophiert, teilen wir uns im Grunde in zwei Gruppen auf“, teilt er mit. Gespannt harrt man der Auflösung, welche zwei Gruppen dies wohl sein könnten: Die, die mit Worten umzugehen wissen, und die, die es nicht können? Jene, die deutsch, und die, die undeutsch denken? Jürgen Todenhöfer und alle anderen? Nun: „Die eine Gruppe findet alles mies. Die andere, zu der auch ich gehöre, vieles schön. Für die Verdrossenen ist das Glas halbleer. Für uns halbvoll. Die einen lieben es negativ. Wir positiv. Kurz: Dort Trauer-Power. Bei uns Ja zum Leben!“ Eine Selbsteinschätzung, die verblüfft: Ist Todenhöfers Werk doch ein einziges Lamento über die Verlogenheit der Presse, den Niedergang der Moral und die Verkommenheit unserer Zeit schlechthin.

Beeindruckende analytische Fähigkeiten

Über 224 Seiten schwadroniert es so aus dem deutsch Denkenden heraus, unter Überschriften wie „Rotfunk – nein, danke“, „Doppelfinanzierung und die TV-Neger“ oder „Medienzirkus Glasnost“. Wobei Todenhöfer im letztgenannten Kapitel seine schon damals beeindruckenden analytischen Fähigkeiten beweist, indem er vor der Sowjetunion Gorbatschows warnt – nur Momente vor dem Mauerfall: „Deswegen bleibt die UdSSR trotz Glasnost-Public-Relations unberechenbar.“

Und hier zeigt sich dann doch ein entscheidender Unterschied zum Todenhöfer von heute: Während dieser noch bei jedem islamistischen Terroranschlag auf die Schuld des Westens verweist, war der alte Todenhöfer ein treuer Freund von USA, Nato und sogar Israel: „Die wirkliche Freundschaft zwischen Deutschen und Juden zeigt sich heute an der Klarheit des Bekenntnisses zum Staate Israel. Das ist der Maßstab, der zählt. Ich sage uneingeschränkt Ja zu Israel.“

Man hätte es kaum für möglich gehalten – und das ist das eigentlich Tragische bei der Lektüre dieses Frühwerks von Jürgen Todenhöfer: Der Autor ist tatsächlich noch dümmer geworden, als er es beim Schreiben dieses Buches schon war.

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