Die Wahrheit: Steaks mit Carl und seinem Bärentöter

Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (8). Heute: Unterwegs in den weiten Wäldern längs des kanadischen Alaska Highway.

ein weg schlängelt sich durch grüne Wiesen einer schneebedeckten Bergkette entgegen

Außer einem schwulen Jäger befuhr niemand den Alaska Highway Foto: Imago / All Canada Photos

Das Völkchen der Journalisten und Schriftsteller gilt als Weltmeister im Reisen. Dauernd sind Autoren zu Lesungen und Buchmessen unterwegs oder müssen sich auf ihren Expeditionen durch aller Damen und Herren Länder eine Unterkunft suchen. Dabei haben sie einige der abseitigsten Absteigen der Welt gesehen und sind dort untergekommen, wo andere keinen Fuß hineinsetzen würden. In unserer Wahrheit-Sommerserie dokumentieren wir das ganze Ausmaß des unbehausten Schreckens.

In Kanada war ich unterwegs, gut dreißig Jahre ist es her. Alaska Highway, von Vancouver hoch nach Norden, Richtung Yukon River. Ich wollte nach Skagway zum Chilkoot Trail, jenem legendären Pfad, der ab 1896 Zigtausende Goldsucher anlockte. Sie wollten nach sagenhaften Schätzen schürfen in Alaskas Weiten und nahmen dafür vor allem winters unfassbare Strapazen auf sich. Ungezählte arme Seelen ließen beim Klondike Gold Rush ihr Leben im Eis. Diesen Weg wollte ich selbst mal gehen, für eine Reisereportage in der Zeit. Die ist ein renommiertes Blatt, wiewohl nicht eben berühmt für Großzügigkeit ihren freien Mitarbeitern gegenüber. Spesen, Mietwagen? Nein. Also trampte ich.

Der Alaska Highway geht fast immer geradeaus. Daneben nichts als dichte Wälder, alle zwei oder drei Autostunden sogar mal eine Kreuzung. Steht man da am Straßenrand, mitten im Nichts, um das sich endlos viel mehr Nichts ausbreitet, hört man höchstens mal ein Windsäuseln. Oder ein Knacken im Unterholz, womöglich ein Elch oder Braunbär. Von einem Auto hört man eine Art mildes Sirren irgendwoher, dann dauert es ein paar Minuten, bis am Horizont eine rollende Stecknadel auftaucht.

Kerl an einer Kreuzung

An einer Kreuzung hält ein Pick-up. Carl lenkt ihn, ein riesiger, drahtiger Kerl. Klar, brummt er freundlich, bis zur nächsten Junction, 200 Meilen, no pro­blem. In Vancouver lebe er mit seiner Familie, er fahre hoch zum Wohnwagen des Schwiegervaters, der in den Wäldern zwei Dutzend Bienenstöcke habe. Da müsse man ab und an nach dem Rechten sehen, ob nicht Gevatter Grizzly sich am Honig gütlich getan habe.

Es dämmert bald. Kurz vor der Junction Carls Vorschlag: „Hey, komm doch mit, wir checken die Bienen, ich mach uns was zu essen, kannst da auch schlafen, ich fahr dich morgen früh zurück zum Highway. No problem, Bernd.“ Jetzt bekäme ich ohnehin kaum noch einen Lift. Die Alternative wäre Zelt im Wald; alles Hab und Gut, vor allem die Vorräte, gut entfernt in einen Baum hängen, damit Gevatter Grizzly sich nicht statt über Honig über mich hermacht. Okay, sage ich, gern. Eine Stunde geht es über Schotterpisten tiefer ins Nichts.

Ich sage Carl, dass ich da nicht so drauf stünde. Achte genau drauf, wie er reagiert

Carl holt aus dem Wohnwagen ein riesiges Gewehr, bei Karl May hätte es wohl Bärentöter geheißen. Wir fahren die Bienenstöcke ab. Alles komplett friedlich. Er brutzelt im Wohnwagen ein paar Steaks, Dosenbier dazu. Zisch, cheerio. Zum Nachtisch gibt es einen Stapel Magazine. „Wie gefällt dir das, Bernd?“, säuselt er.

Lauter Männerpornos: Ob ich die nicht toll fände!? Ich darf unfassbar riesige Schwänze bestaunen, monströs erigiert, die einen Hengst vor Scham hätten erröten lassen. Oder vor Neid gelb anlaufen. Aber in diesem Moment hatte ich für solche Vergleiche keinen Sinn: Neben mir – „isn’t it great?“ – ein riesiger, offenbar sehr geiler Mann. In the middle of nowhere. „Äh … great, yes … very great.“ Was tun? Abhauen? Ob er mich hindern würde, womöglich bedrohen mit dem Berndtöter? Und wenn, wohin? Draußen eine verschlingende Dunkelheit, keine Menschenseele, keinerlei Orientierung. Um Hilfe rufen? Bären, Bienen und Coyoten würden mich kaum verstehen. Handys warteten noch lange auf ihre Erfindung.

Das heimliche, wahre Leben

Ich sage Carl, dass ich da nicht so drauf stünde. Achte genau drauf, wie er reagiert. Wirklich nicht?, fragt er. Nein, wirklich nicht. Man müsse alles mal probieren im Leben. Nein, Carl, muss ich nicht. Ja, ob ich denn nichts gespürt hätte bei unserem Kennenlernen. Nein, wirklich nicht. Er habe mich sofort ganz süß und knackig gefunden. Wie schön. Äh, Carl, du hast mir doch von deiner Familie erzählt! Ach, sagt er, das sei das eine Leben. Das andere sei das heimliche, das schwule, das er erst vor ein paar Jahren entdeckt habe. Sein wahres Leben.

Meine Fantasien tragen mich fort. Was wird heute Nacht geschehen, quasi als Gefangener dieses Mannes? Er spürt meine Angst. „No worries, Bernd.“ Er werde mir nichts tun. „So schade“, kommt noch hinterher. Morgen früh bringe er mich selbstverständlich zum Highway. Ich solle auf dieser Seite des Wohnwagens schlafen, er dort. Gute Nacht, Bernd. Licht aus.

Schlafen? Wie? Da, er steht auf. Geht nur noch mal pinkeln draußen. Mir bleibt nichts übrig als Abwarten. Ob es wirklich schlimm wäre? Noch eine Dose Bier. Irgendwann muss ich tatsächlich eingeschlafen sein.

Werde morgens wach, offensichtlich unangetastet. Carl ist sehr freundlich. Guter Kaffee. Auf zum Highway. Ciao. Ich bedanke mich. Er seufzt. Weiter nach Norden nimmt mich mittags ein sehr altes US-Ehepaar mit, in ihrem XXL-Motorhome, ein rollender Palast. Keine Einladung am Abend. Schade. Ab ins Zelt.

Die Reportage über den Chilkoot Trail wurde dann ganz nett, wenn auch weniger abenteuerlich als die Vorgeschichte. Dank Carl ahne ich seitdem, wie sich wohl Frauen fühlen könnten, wenn sie in derartige Situationen geraten. Seine Steaks waren übrigens klasse.

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