Die Wahrheit: Der Kandidat mit dem Kot

Bei der Oberbürgermeisterwahl in Wernigerode gilt der Pavian Benito als Favorit. Das Volk ist begeistert von seiner modernen Erscheinung.

Die Augen eines Affens

Das Wahlkampfplakat zeigt Benito sehr entschlossen Foto: reuters

Rodrigo Duterte, Donald Trump, Jair Bolsonaro – es gibt inzwischen eine globale Riege rechtspopulistischer Alphamännchen, die sich nicht an die Macht geputscht haben, sondern von der Bevölkerung gewählt wurden. Viele Vernunftmenschen fragen sich besorgt: Wie nur können diese gruseligen Gestalten, deren Verbrechen aktenkundig sind, dennoch die Liebe der Massen gewinnen? Viele Bürger zeigen sich von ihnen nicht abgeschreckt, sondern angezogen!

Ein neuer Extremfall in Sachsen-Anhalt wirft derzeit Licht auf das Phänomen des weltweiten Rechtsrucks. Bei der anstehenden Wahl des Oberbürgermeisters von Wernigerode muss der langjährige Amtsinhaber Bernd Mustermann von der SPD um seine Wiederwahl bangen. In allen Umfragen vorn liegt überraschend ein Außenseiter ohne politische Erfahrung: der Blutbrustpavian Benito, der von der Wählervereinigung „Harzer in Wut“ ins Rennen geschickt wird.

Der Versuch der SPD, die Kandidatur des Primaten vor Gericht zu verhindern, scheiterte an einem Satz aus der immer noch gültigen Gemeindeordnung von 1283, die ausdrücklich auch „engeln und wol geratnem viechzeuge“ den Zugang zu allen Ämtern gewährt. Im 16. Jahrhundert soll in Wernigerode sogar schon einmal ein Esel als Stadtkämmerer fungiert haben.

Berühmter Influencer

Der Pavian Benito ist jedoch eine außerordentlich moderne Erscheinung. Berühmt bis weit hinein ins Harzvorland wurde der Affe ursprünglich als YouTube-Star. Die Videos mit den Aktionen des Influencers werden im Netz tausendfach begeistert geteilt, kritische Stimmen finden sich nur wenige. In einem Film ist zu sehen, wie Benito einer jungen Irakerin auf dem Marktplatz von Wernigerode unversehens das Kopftuch entreißt und ihr in den Schritt greift. Während die Frau sich verzweifelt empört, brechen umstehende Biertrinker in Lachen aus und feuern den Pavian lautstark an.

In einem anderen Film stiehlt er arabischen Flüchtlingen deren Mobiltelefone, um sie an junge Deutsche zu verteilen. Sogar für überregionales Aufsehen sorgte sein Auftritt im historischen Rathaus bei der Wahlkampfdebatte mit dem amtierenden Stadtchef. Nicht nur widersetzte sich Benito allen Anweisungen, das Rauchen zu unterlassen. Er zwang zur Freude seiner Fans den sozialdemokratischen Kontrahenten sogar zur Flucht, indem er ihn rücksichtslos niederbrüllte und wiederholt mit frischem Kot bewarf.

Fragt man die Einwohner von Wernigerode auf der Straße nach ihrer Meinung, unterstützt mehr als die Hälfte der Bürger den unkonventionellen Kandidaten. „Ich find ihn absolut geil!“, äußert etwa der Friseur Ronny R. und öffnet seine Jacke, unter der ein T-Shirt mit dem Porträt seines Helden zum Vorschein kommt. „Das ist endlich mal ein Politiker, der unsere Sprache spricht! Der lässt sich von keinem den Mund verbieten! Ob ich manches zu krass finde? Nein, der könnte ruhig noch viel derber sein!“

Bodenständige Ausdrucksweise

Der emeritierte Historiker Prof. Wilhelm Fritz, der in Wernigerode seinen Altersruhesitz bezogen hat, drückt sich anders aus: „Dem Blutbrustpavian Benito gelingt es durch seine bodenständige Ausdrucksweise, die Verkrustungen der politischen Korrektheit aufzubrechen und das Kartell der Altparteien in Furcht und Schrecken zu versetzen. Als deutscher Bürger bin ich froh über jeden, die unserer liberalen Hypermoral den Krieg erklärt. Was heißt hier niedrige Instinkte? Das ist Notwehr!“

Wer aber steckt hinter dem politischen Shootingstar? Benito selbst weigert sich beharrlich, mit Vertretern der Mainstream-Medien zu sprechen. Dass er kein Mann großer Reden ist, nehmen ihm auch seine Anhänger nicht übel. Er kommuniziert mit seinen Fans ausschließlich über die sozialen Netzwerke. Als jüngst Gerüchte über Großspenden aus der Schweiz aufkamen, dementierte stellvertretend ein Sprecher der Wahlinitiative energisch. Auch alle anderen Vorwürfe wies er im Namen seines Kandidaten zurück: „Man behauptet, wir wären Rechtspopulisten. Lächerlich! Benito ist doch selbst ein Einwanderer! Er kam vor fünfzehn Jahren aus Äthiopien nach Deutschland, allerdings völlig legal als Vertragskünstler des Zirkus Sarrasani. Man behauptet, es handle sich um eine dressierte Kreatur ohne eigenen Willen. Lüge! Benito ist ein einfacher, aber ehrlicher Kerl. Wer sich über ihn lustig macht, der hat keinen Respekt für die kleinen Leute – ja, der ist selbst ein Rassist!“

Wie wird die Schicksalswahl von Wernigerode ausgehen? Die Chancen des Newcomers scheinen gut. Klug hat der Pavian seine eigene Kampagne auch noch mit der ostdeutschen Tradition der Friedlichen Revolution von 1989 verknüpft: Im Falle seines Wahlsiegs soll jeder Bürger kostenlos eine Banane erhalten. Die Südfrüchte, so hört man vom örtlichen Großhändler, sind schon bestellt und bezahlt.

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