Die Wahrheit: Im Jahr des Drachen: Geistershopping

Bekanntlich war der ferne Osten schon früher mysteriös und rätselhaft. Eines seiner allergrößten Rätsel aber ist neueren Datums: Ein Kaufhaus in Peking.

Seit einem Jahr nur für Tote geöffnet: Die Guoson Mall in Peking. Bild: Christian Y. Schmidt

Bekanntlich war der ferne Osten schon früher mysteriös und rätselhaft. Eines seiner allergrößten Rätsel aber ist neueren Datums: Die Guoson Shopping Mall in Peking. Sie liegt in meiner Nachbarschaft, direkt über dem angeblich größten Bus- und U-Bahn-Knotenpunkt Asiens. Auf den ersten Blick macht das Kaufhaus einen ganz normalen Eindruck. Auf insgesamt 160.000 Quadratmetern finden sich diverse Läden und Restaurants. Daneben gibt es einen nicht kleinen Mediamarkt und ein Kinocenter mit elf Sälen.

Begleitet von einem Riesentrara und tollen Presserummel wurde der Komplex im Mai vergangenen Jahres eröffnet. Seltsam jedoch ist, dass man ihn danach gleich wieder geschlossen hat. Davon wurde allerdings nirgendwo berichtet, auch auf der Homepage der Betreiberfirma Guocoland nicht. Hier behauptet man weiterhin, die Mall spiele „eine führende Rolle beim Aufstieg des Dongzhimen-Bezirks“. Wenn es einem einmal gelingt, an den Wachleuten vorbei ins Innere zu schlüpfen, hat man tatsächlich den Eindruck, sie würde nicht schlecht laufen. Die Regale des Mediamarkts sind gut gefüllt, und die Gerätschaften des vollständig eingerichteten Burger Kings werden in regelmäßigen Abständen gewartet. Ja, sogar die Hintergrundmusik wechselt je nach Jahreszeit. Nur die Kunden fehlen, denn denen verwehrt man den Eintritt.

Lange konnte ich mir nicht erklären, was eine verrammelte Shoppingmall im Zentrum Pekings soll. Vorige Woche Mittwoch kam mir dann endlich die Erleuchtung. Da war Qingming, der chinesische Totengedenktag. An diesem Datum werden vor den Gräbern der Vorfahren Obst und mit Schnaps gefüllte Gläser aufgestellt, es wird spezielles Totengeld verbrannt und aus Papier gefertigte Ware. Dabei achtet man zusehends darauf, dass die Geister auch die allerneuesten Produkte erhalten. So waren in diesem Jahr besonders papierene iPhones, iPads und die dazugehörige Angry-Birds-App angesagt.

In den Zeitungen stand allerdings auch, dass es viele Menschen wegen des berüchtigten Qingming-Staus auf den Straßen gar nicht mehr schaffen, die Gräber aufzusuchen. Was läge also näher, als die Toten selbst das coole Zeugs beschaffen zu lassen, das sie im Jenseits brauchen? Natürlich, das war die Erklärung für das geschlossene Kaufhaus: Hier können die Gestorbenen shoppen. Und da es nun mal viel mehr Tote als Lebende gibt, stehen inzwischen überall in China solche Geistermalls herum. Ja, es gibt sogar komplett „leere“ Geisterstädte, wie Kangbashi in der Inneren Mongolei oder Zhengzhou East in der Provinz Henan.

In Deutschland deutet man solche Phänomene immer noch als Zeichen des ökonomischen Untergang Chinas. Tatsächlich aber werden mit Geistermalls und -städten ganz neue Kunden- und Mieterschichten erschlossen. Es wäre vielleicht nicht dumm, würde man sich auch in Deutschland mal mehr um seine Gestorbenen kümmern. Doch leider hat man es dort bisher nur zu Geisterbahnen, Geisterfahrern und Geisterdichtern (Günter Grass) gebracht.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.