Die Wochenvorschau für Berlin: Durch die Welt in einer Nussschale

Beim Festival „Offenes Neukölln“ am kommenen Wochenende kann man die großen Themen der Zeit wie in einem Brennglas betrachten.

Nur ein Ort von vielen im Bezirk: das Rathaus Neukölln Foto: dpa

Das Interessante am Lokaljournalismus ist ja, dass sich dort, wo man lebt, die „große“ nationale und internationale Politik in konkreter Lebenswirklichkeit niederschlägt. Abstrakta wie „die Flüchtlinge“ oder „die Klimakrise“ bekommen ein Gesicht, werden erfahrbar. In Großstädten wie Berlin kann freilich auch das Lokale – je nach Standort – weit weg sein. Hier greifen JournalistInnen daher gelegentlich zur Vokabel des „Hyperlokalen“, um Kiezgeschichten zu bezeichnen, die gewissermaßen stellvertretend für etwas Größeres stehen.

In diesem Sinne ist das Festival „Offenes Neukölln“, das von Freitag bis Sonntag nun schon zum dritten Mal stattfindet, ein vielschichtiges hyperlokales Ereignis, das viele wichtige Fragen der Zeit widerspiegelt. Organisiert vom Bündnis Neukölln, einem Zusammenschluss von Organisationen, Initiativen und engagierten Einzelpersonen, ist es zum einen als Kontrapunkt gedacht zu der Serie rechtsradikaler Anschläge im Bezirk. Zum anderen wollen die Veranstalter der Verschiebung gesellschaftlicher Debatten in Richtung Ausgrenzung, Abschottung und Abbau von Grundrechten etwas entgegensetzen und fragen: Was ist eine gerechte Gesellschaft? Wie wollen wir zusammenleben?

Schon ein kurzer Blick ins Programm zeigt die Vielfalt der behandelten Themen. Zum Auftakt am Donnerstagabend kann man sich informieren über „Rechten Terror in Neukölln“ und hören, warum betroffene NeuköllnerInnen inzwischen einen Untersuchungsausschuss fordern (19 Uhr, Gemeinschaftshaus Gropiusstadt, Bat-Yam-Platz 1). Wer mehr zu dem Thema wissen will, sollte am Freitag die Gelegenheit nutzen für einen Abstecher ins Rathaus Neukölln (Karl-Marx-Str. 83): Dort zeigt die Galerie Olga Benario, die selbst mehrfach Opfer rechtsradikaler Anschläge wurde, den ganzen Tag über die Ausstellung „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“.

„Vielfalt als Glücksfall“

Wer sich dagegen positiv mit den Vorteilen einer sich als divers verstehenden Gesellschaft beschäftigen möchte, kann zum Beispiel am Freitag von 10 bis 12 Uhr etwas lernen über „demokratisches Führen nach dem Mischpult-Prinzip“ – ein Methode, die laut Veranstalter geeignet ist für Menschen, die künstlerisch mit Kindern und Jugendlichen arbeiten „und/oder sich dafür interessieren, wie man es schaffen kann, Vielfalt als Glücksfall in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen“ (Anmeldung unter workshop@act-berlin.de).

Auch an Umweltschutz Interessierte kommen zum Zug, etwa bei der „Offenen Diskussion zu einem Bürgerprojekt zum Klimaschutz“ am Samstag (15–18 Uhr, Büro für Menschenrechte, Manege, Rütlistraße 1–3). Als Stichworte nennt der Veranstalter: „zum Beispiel eine autofreie fußgänger-fahrradfreundliche Grünachse, die das Tempelhofer Feld mit Hasenheide und dem Treptower Park verbindet, als Pilotprojekt für Berlin.“

Wenn man Zeit hätte, könnte man so vieles: für Europa singen beim Flashmob mit SPD und Jusos (Samstag, 14 Uhr, Hermannplatz), mit Kindern über Glück philosophieren (Samstag, 11 –12.30 Uhr, Helene-Nathan-Bibliothek, Karl-Marx-Str. 66), das Grundgesetz sticken (Samstag, 17–19 Uhr, vor St. Christophorus, Nansenstr. 4–7), Swing tanzen (Sonntag, 14 Uhr, vor dem Rathaus Neukölln) – oder den Pyramidengarten und seine Gärtner kennenlernen (Sonntag, 14–18 Uhr, Columbiadamm 120).

Zitat

Zusammengefasst „in einer Nussschale“ (wie der Engländer so schön sagt): Wer über seinen Tellerrand gucken will, macht vielleicht einfach mal einen Ausflug nach Neukölln.

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