Dietmar Bartsch über die Linkspartei: "Ich kann das nicht mit ansehen"

Dietmar Bartsch will Parteivorsitzender werden. Ein Gespräch über Reichensteuer und Löhne, die eigene Unbeliebtheit und das Talent der Linken, sich selbst zu zerlegen.

"Mir geht es nicht vor allem darum, recht zu haben", sagt Dietmar Bartsch. Lieber will er Parteivorsitzender werden. Bild: imago/Seeliger

taz: Herr Bartsch, Sie wollen 2012 als Parteivorsitzender der Linkspartei kandidieren. Warum?

Dietmar Bartsch: Weil die Linke hinter den politischen Erfordernissen und ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Weil wir im zurückliegenden Wahljahr viele unserer Ziele nicht erreichten. Weil die Mitgliederzahlen rückläufig sind und wir in den politischen Debatten zu wenig vorkommen. Und weil ich glaube, gemeinsam mit anderen die Linke wieder auf die Erfolgsspur führen zu können.

Was können Sie besser als Gesine Lötzsch und Klaus Ernst?

Bei der Erklärung meiner Kandidatur habe ich gesagt, was ich machen will, und auch gesagt, dass ich einiges anders machen will.

Anders gefragt: Was haben Lötzsch und Ernst falsch gemacht?

Dietmar Bartsch, 53, Wirtschaftswissenschafter, 1977 Mitglied der SED, ab 1989 PDS. 1997 bis 2002 PDS-Bundesgeschäftsführer, 2005 bis 2010 Bundesgeschäftsführer der Linkspartei.PDS, 1998 bis 2002 und seit 2005 Mitglied des Bundestags. Seit Januar 2010 ist Bartsch stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, er wird dem Reformflügel zugerechnet.

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Die Linkspartei: stand schon deutlich besser da. Neun Prozent der Deutschen würden der Partei laut aktueller Forsa-Umfrage ihre Stimme geben, vor anderthalb Jahren waren das noch elf Prozent. 2010 zog sich der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine wegen einer Krebserkrankung aus der Bundespolitik zurück, seine Nachfolger wurden im Mai 2010 Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Die aus PDS und WASG fusionierte Partei, die bei der Bundestagswahl 2009 noch 11,9 Prozent der Zweitstimmen und im Osten 16 Direktmandate gewonnen hatte, geriet wegen ihrer Flügelkämpfe zusehends in eine Abwärtsspirale. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verfehlte sie die Fünfprozenthürde.

Im Juni 2012 will die Linke eine neue Parteispitze wählen. Der dem Reformerflügel zugerechnete Bartsch will dafür kandidieren und sich per Mitgliederentscheid wählen lassen. Ende Oktober hatte bereits Lötzsch angekündigt, erneut antreten zu wollen. Die Parteilinke Sahra Wagenknecht, der Ambitionen auf das Amt nachgesagt werden, hat nach Bartschs Ankündigung mehrfach geäußert, nicht kandidieren zu wollen. (AM)

Im Mai 2010 lagen wir bei den Umfragen zwischen elf und zwölf Prozent, jetzt zwischen sechs und neun. Das ist eine Tatsache. Das ist jedoch keine Entwicklung, die man Gesine Lötzsch und Klaus Ernst allein aufladen kann, ich bin für diese Situation auch mitverantwortlich. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren schlicht nicht die Themen und unsere Antworten in die Öffentlichkeit gebracht.

Welche Themen wären das?

Mindestlohn, Millionärssteuer, Kampf gegen Hartz IV, armutsfeste Renten und keine Rente erst ab 67, raus aus Afghanistan, solidarische Gesundheits- und Pflegepolitik waren und sind Erfolgsthemen. Zukünftig sollte eine zentrale Forderung der Linken die Rückgewinnung des Öffentlichen sein. Das heißt: Energie, Wasser, Infrastruktur, Kultur, Gesundheit müssen für alle erschwinglich sein und dürfen nicht dem Profitstreben unterliegen. Auch die Banken gehören unter öffentlich-rechtliche Kontrolle.

Wir brauchen mehr kommunales Eigentum, genossenschaftliches Eigentum, öffentliches Eigentum. Wir wollen ein Bankensystem, das auf drei Säulen ruht: Sparkassen, Genossenschaftsbanken und staatliche Großbanken. Ich denke, dass wir damit wirklich punkten können. Das müsste man natürlich konkret untersetzen, und dann haben wir bei der Bundestagswahl 2013 wieder gute Chancen.

In Ihrem Blog sprechen Sie von "Gegenwehr" gegen Ihre Person. Welche gibt es?

Es gibt Funktionsträger aus einigen Landesverbänden, die gleich nach meiner Kandidatur erklärt haben, mit dem nicht. Wenn man so lange wie ich in Positionen war, in denen permanent Entscheidungen zu treffen sind - zum Beispiel als Bundesgeschäftsführer und Wahlleiter -, dann hat man immer auch Gegenwind. Solange das fair bleibt, habe ich damit kein Problem. Ich rate aber zur Gelassenheit.

Im Juni haben wir unseren Parteitag, da werden wir Entscheidungen treffen, mit denen wir in die Bundestagswahl gehen. Ich bin ganz sicher, dass nicht jede Entscheidung jedem gefallen wird. Die Linke muss die eigenen Vorschläge und Ziele eindeutig formulieren und im Übrigen die Auseinandersetzung nicht in den eigenen Reihen, sondern mit der politischen Konkurrenz führen.

Das ist gut gesagt. Die Partei zerreibt sich seit Monaten in Führungsdebatten. Ihre Kandidatur ist zwar demokratisch, sie polarisiert aber erneut.

Jetzt zu diskutieren, da kandidiert einer und das bringt Probleme - das sehe ich überhaupt nicht so. Die Alternative wäre, wir machen weiter wie bisher. Wenn über den Parteivorsitz via Mitgliederentscheid bestimmt werden soll, was ich möchte, muss das jetzt auf den Weg gebracht werden.

Mit wie vielen Mitbewerbern rechnen Sie noch?

Ich habe gesagt, dass ich mir welche wünsche.

Ist es ein nicht Zeichen von Führungsschwäche, die Parteichefs durch die Basis bestimmen zu lassen?

Nein. Gerade in der Linken gibt es zu Recht die Forderung nach mehr direkter Demokratie. Das steht uns gut an. Ich möchte nicht, dass wieder ein kleiner Kreis über Personalfragen entscheidet und dann sagt, wenn ihr die nicht wählt, dann bricht die Partei zusammen. Das finde ich nur begrenzt demokratisch.

Als Parteichef würden Sie mit Oskar Lafontaine zusammenarbeiten. Können Sie sich das gut mit ihm vorstellen?

Wir haben 2009 erfolgreich zusammengearbeitet, Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat und Parteivorsitzender, ich als Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter. Wieso sollte es bei erfahrenen Leuten und gleichen politischen Zielen ein Problem in der Zusammenarbeit geben?

Haben Sie über Ihre Kandidatur vorher mit ihm gesprochen?

Ja.

Und was hat er gesagt?

Das geht nur uns beide etwas an. Wir hatten ein langes Gespräch, bei dem es vor allem um Politik ging und wir konstruktiv miteinander geredet haben.

Meinen Sie, dass Sahra Wagenknecht trotz Dementis als Parteichefin kandidiert?

Das ist ihre Entscheidung. Ich würde mir wünschen, dass es zügig eine Frist gibt, bis zu der Kandidatinnen und Kandidaten sagen, dass sie kandidieren, damit man ein ordentliches Verfahren hinkriegt. Ich gehe davon aus, dass diese Entscheidung im Januar getroffen wird.

Können Sie sich eine enge Zusammenarbeit mit Sahra Wagenknecht vorstellen?

Sahra Wagenknecht und ich sind beide stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Wir arbeiten seit vielen Jahren zusammen und hatten immer ein solidarisches Verhältnis, bei allen politischen Differenzen. Auch im letzten Wahlkampf, den ich verantwortet habe, war Sahra Wagenknecht Kandidatin und sie hat die erforderliche Unterstützung erfahren.

Wäre ein Linkspartei-Vorsitzender Bartsch das Signal an die SPD, bereit zu sein für eine Regierungsbeteiligung?

Dieses ganze Koalitionsgerede hilft im Moment überhaupt nicht. Es geht mir darum, die Linke zu stärken, die Bundestagswahl vorzubereiten und in der Öffentlichkeit und außerparlamentarisch aktiv zu sein. Und zwar mit und über unsere Mitglieder. Die sind unser Kapitän. Die Linke ist nun mal nicht geliebt bei der Konkurrenz, schließlich wollen wir eine andere Gesellschaft, eine demokratisch-sozialistische. Linksbündnisse erreicht man nur über Inhalte und Bewegungen.

Sie haben mal gesagt, Sie hätten ein "emotionales Verhältnis" zu Ihrer Partei. Wie stehts denn darum gerade?

Das ist immer noch da, auch wenn ich in den letzten zwei Jahren durchaus Momente hatte, die diese emotionale Verbindung nicht befördert haben. Ich habe mir die Entscheidung, zu kandidieren, nicht leicht gemacht. Aber ich kann den Stillstand der Partei nicht mitansehen - und das ist dann wohl auch Ausdruck meiner Emotionalität, nach der Sie fragten. Ich will nicht, dass wir Richtung fünf Prozent oder gar darunter rutschen und weitere Mitglieder verlieren.

Im Westen gelten sie nach wie vor als unbeliebt. Wie wollen Sie das ändern?

Das kann ich so nicht bestätigen, ich habe dort sehr viele freundliche Begegnungen und habe viel Zustimmung von dort in den letzten Tagen erfahren. Dass es Einzelne in meiner Partei gibt, die mich nicht mögen, weiß ich schon und schlage dennoch den Mitgliederentscheid vor.

Wie will sich diese zerstrittene Partei aus Ost/West, Mann/Frau, Realo/Fundi einigen?

Von diesem ganzen Flügelgeflattere ist doch nur ein Bruchteil wahr. Die Masse der Mitglieder will davon nichts wissen, im Osten wie im Westen. Es gibt die linke Volkspartei im Osten, die politische Verantwortung, auch Regierungsverantwortung übernehmen will. Und in den alten Ländern sind wir mehr eine Interessenpartei, die teilweise in den Parlamenten noch nicht vertreten ist. Es gibt in der Linken einige, die immer Bescheid wissen, und die, die noch Fragen haben. Ich war schon mal in einer Partei, die immer recht hatte. Mir geht es nicht vor allem darum, recht zu haben, sondern die Gesellschaft zu verändern.

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