Diskussion über die Lage in der Ukraine: Eine echte Revolution

Ukrainische Künstler diskutieren mit EU-Abgeordneten in der Berliner Akademie der Künste. Es geht um die Zukunft, die Krim, und den „Menschenfreund“ Putin.

„Am Ende wird Putin seine Truppen aus dem Osten abziehen“, sagt der ukrainische Schriftsteller Jurko Prochasko Bild: reuters

BERLIN taz | „Ich habe das Gefühl nicht um vier Monate, sondern um vier Jahre gealtert zu sein“, sagte der ukrainische Schriftsteller und Übersetzer Jurko Prochasko. Obwohl der Alltag der Menschen sich kaum verändert habe, seien Bedrohung und Gefahr des Zerfalls des Landes allgegenwärtig.

Am Montagabend diskutierten der Lemberger und sein Schriftstellerkollege und Rockmusiker Serhij Zhadan aus der ostukrainischen Stadt Charkiw mit den beiden EU-Abgeordneten Jo Leinen (SPD) und Elmar Brok (CDU) in der Berliner Akademie der Künste vor vollem Haus über die aktuelle Lage in der Ukraine.

„Das größte Kompliment, das uns Russlands Präsident Wladimir Putin machen konnte, war die Annexion der Krim. Damit hat er bestätigt, dass die Ukraine gerade eine echte Revolution erlebt“, sagte Prochasko. Die jüngsten Ereignisse hätten den desolaten Zustand in den Köpfen der Menschen offenbart, nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Westen. Dort sei immer von der Ukraine-Krise die Rede. Das verkenne jedoch die wahre Bedeutung der Revolution.

Serhij Zhadan, Schriftsteller und Rockmusiker aus Charkiw im Osten der Ukraine, sprach von einer Phase der Selbstidentifikation, in der sich die Ukrainer befänden. Er beschrieb eindrücklich, dass die russischsprachigen Menschen im Osten der Ukraine Angehörige der ukrainischen Armee mit Kleidung und Lebensmitteln versorgten. Die Revolution habe aber noch keine neuen Gesichter hervorgebracht. Dass der neue Regierungchef Arseni Jazenjuk keinen Privatflieger, sondern ein normales Flugzeug benutze, reiche als Symbolik nicht.

Das stinkt zum Himmel

Der EU-Abegordnete Jo Leinen kritisierte den russischen Außenminister Sergei Lawrow für dessen Äußerung zu eine Föderalisierung der Ukraine. Regionen, die auch außenpolitisch autonom agieren könnten, das stinke doch zum Himmel und berge die Gefahr einer neuen Provokation, sagte er.

Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, sagte, dass die Ukraine durch Faschismus und Stalinismus unendlich viel Leid erfahren habe. Russland betone aber aber immer nur die rechten Kräfte in der Ukraine – ein Diskurs, den sich auch viele Menschen im Westen zu eigen machten. Jetzt gehe es vor allem darum, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen und die Gewaltenteilung durchzusetzen.

Die Maidan-Bewegung müsse sich überlegen, ob sie sich in eine politische Kraft umwandeln wolle, um dann an den Wahlen teilzunehmen. Die Frage, welche Programme Brüssel habe, um den Wandel in der Ukraine zu unterstützen, ließen die beiden EU-Politiker allerdings unbeantwortet.

Weder Prochasko noch Zhadan wollten eine Prognose für die weitere Entwicklung abgeben. „Alles ist möglich. Die Revolution kann gelingen, eine Hure werden oder zum Zerfall des Landes führen“, sagte Prochasko. Putin werde die Situation im Osten der Ukraine nicht eskalieren lassen, sie aber weiter versuchen zu destabilisieren. „Am Ende wird er seine Truppen aus dem Osten abziehen, damit der Rest der Welt sagen kann: „Was für ein Menschenfreund! Er hat sich mit der Krim begnügt!“.

„Die Orangene Revolution 2004 soll von den USA finanziert worden sein. Wer hat Sie denn jetzt bezahlt?“, fragte eine Dame, gewandt an Zhadan, am Ende der Veranstaltung. Die Moderatorin Claudia Dathe antwortete selbst. Zhadan, sagte sie, sei vor Kurzem von prorussischen Aktivisten zusammengeschlagen worden und habe mit schweren Kopfverletzungen vier Wochen im Krankenhaus gelegen.

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