Diskussion um „sexuelle Vielfalt“: „Ich will nicht erduldet werden“

Auf Einladung der taz diskutierten Minister, Kirche und Homosexuelle über den Bildungsplan in Baden-Württemberg, der nun überarbeitet wird.

In ihn scheint die Szene ein bisschen verknallt zu sein: Kultusminister Andreas Stoch (SPD) Bild: dpa

ESSLINGEN taz | „Zur Homosexualität kann man nicht erzogen werden, aber zu Homophobie.“ Annemarie Renftle weiß, wovon sie spricht. Sie ist Lehrerin, offen lesbisch und unterrichtet an einem Gymnasium in Stuttgart. In ihrem Unterricht behandelt sie auch Themen wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Sie merkt dabei, dass die Schüler neugierig sind und Fragen stellen, die beantwortet werden wollen. Nur wenn es darum geht, was Lesben im Bett machen, antwortet Renftle nicht. „Fragt doch euren Mathelehrer und schaut ob der euch ’ne Antwort gibt.“

Renftle saß Ende März bei einer Diskussionsveranstaltung der taz in Stuttgart zum Thema „Bildungsziel sexuelle Vielfalt?“ auf dem Podium. Sexuelle Vielfalt soll künftig auch im neuen Bildungsplan des Landes verankert werden. Dagegen regt sich in Baden-Württemberg heftiger Protest. Von Umerziehung ist die Rede. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Regierung um Winfried Kretschmann den Bildungsplan nun erweitern will.

Christoph Michl, der Organisator des Christopher Street Days in Stuttgart, ist darüber wenig erstaunt. Sobald Homosexualität in der eigenen Lebenswelt eine Rolle spiele, brächen alte Vorurteile auf. Es hieße: Die könnten zusammenleben, aber im Schrank. „Uns geht es aber um Sichtbarkeit.“ Nun gebe es unter Grün-Rot die Chance, daran etwas zu ändern.

In Kultusminister Andreas Stoch (SPD) scheint die Szene ein bisschen verknallt zu sein. Er verfolgt ein ähnliches Ziel wie sie. „Es geht um Anerkennen des Menschseins in jeder Hinsicht“, sagt er. Hätte er die wütende Debatte verhindern können? „Hätten wir eventuell mit der Wortwahl vorsichtiger sein sollen?“, fragt er. Das sei keinesfalls als Zurückweichen zu verstehen. „Ich verspreche, dass dieses Thema im Bildungsplan bei mir eine hohe Priorität hat. Es wird so verankert, dass keiner rechts oder links daran vorbeiwedeln kann.“

„Konstruktiv mit Vielfalt umgehen“

Die Begrifflichkeit ist in der Debatte seit Beginn ein Problem. Die Geister scheiden sich an der Definition von Toleranz und Akzeptanz. Michl sagt: „Toleranz nach Goethe heißt Erdulden. Ich will nicht erduldet werden.“

Stefan Hermann, Direktor des Pädagogisch-Theologischen Zentrums der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, übersetzt Toleranz dagegen mit Pluralitätsfähigkeit. „Toleranz heißt konstruktiv mit Vielfalt umgehen.“ Leichte Irritation sei sogar förderlich, um eine eigene Position zu finden. Wenn jemand sich dagegen vor den Kopf gestoßen fühle, ziehe er sich auf alte Positionen und Feindbilder zurück. Deshalb plädiert Hermann für Sensibilität bei der Einführung des Themas sexuelle Vielfalt. Die Gesellschaft voranzubringen brauche Zeit.

Viele schwule und lesbische Lehrer, die sich in der Diskussion zu Wort melden, wollen aber nicht mehr warten. Vor 17 Jahren habe der Berliner Senat bereits die dortigen schwulen und lesbischen Lehrer aufgefordert, sich zu outen. Das sei geschehen, ohne großes Hallo. Wieso dann die Aufregung in Baden-Württemberg. Stoch verspricht. „Ich arbeite daran, dass es irgendwann heißt: Du kommst aus Baden-Württemberg? Cool!“

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