Disney verfilmt Mary Poppins’ Rückkehr: Fantasie gehört zum guten Leben

„Mary Poppins’ Rückkehr“ von Rob Marshall setzt auf die Wiederholung des Ähnlichen. Emily Blunt glänzt in der Titelrolle des Kindermädchens.

Vor einer Pferdekutsche stehen Menschen

Mit Mary Poppins einen Ausflug in die Porzellanvase machen Foto: WDS

Ihr Name ist Maus. Micky Maus. Und das Kino ist ihre Welt, während wir, der Rest, darin nur zahlende Zuschauer sind. Von den „Star Wars“-Filmen über Marvels Superhelden bis zu den konzerneigenen Animations- und Familienklassikern plus deren Neuauflagen in Form von Remakes und „Live Action“-Adaptionen: die Produktionen des Disney-Konzerns beherrschen den Kinomarkt in einer Weise, die fast schon hilflos macht. Oder soll man den Geschäftseifer bewundern, mit dem es der Maus und ihrer Firma gelungen ist, sich derartig flächendeckend auszubreiten?

„Mary Poppins’ Rückkehr“ ist der zehnte Film, den Disney in diesem Jahr ins Kino bringt; vier davon liegen in den Top Ten des weltweiten Box Office, zwei („Avengers: Infinity War“ und „Black Panther“) gar an der Spitze. Mit über 7 Mil­liarden Dollar Einnahmen war 2018 das zweitbeste Jahr für das Studio – nach 2016. An alldem wird „Mary Poppins’ Rückkehr“ nicht mehr viel ändern; als filmisches Produkt, dem man in jeder Einstellung seine „Intellectual Property“-Herkunft ablesen kann, ist Rob Marshalls Remake jedoch vielleicht das „Disney-typischste“ dieser Zeit.

Auch wer 1964, als das Original „Mary Poppins“ herauskam, noch nicht auf der Welt war, wird in der Zwischenzeit kaum Wege gefunden haben, völlig unwissend zu bleiben. Sehr wahrscheinlich können mehr Menschen die Herkunft des Wortes „superkalifragilistischexpialigetisch“ richtig angeben als erklären, was „diskursiv“ bedeutet.

Dass man ein Produkt, das sich so tief ins populärkulturelle Gedächtnis eingegraben hat, nicht völlig neu erfindet, sondern als Remake lediglich sanft variiert, hat sich im Fall von „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ so gut bewährt, dass man in den Disney-Studios offenbar beschlossen hat, bei „Mary Poppins’ Rückkehr“ noch konservativer vorzugehen.

Ehrbare Nachahmung

Zwar stehen, ähnlich wie im „Erwachen der Macht“ auch in der „Rückkehr“ die auf die vormaligen Helden folgende Generation und damit neue Figuren im Zentrum. Das London von Mitte der 1930er Jahre, in das das exzentrische Kindermädchen erneut einfliegt, sieht dem aus dem Originalfilm jedoch täuschend ähnlich. Was offenbar das Motto der ganzen Remake-Unternehmung gewesen zu sein scheint: täuschend ähnlich.

Man kann „Mary Poppins’ Rückkehr“ ganz einfach entlang jener Ähnlichkeiten und Variationen erzählen: Aus dem Kaminfeger ist ein Laternenanzünder (Lin-Manuel Miranda) geworden. Statt der Aufräumszene, in der Mary Poppins (Emily Blunt) sich den Kindern mit dem „Ein Löffel Zucker“-Lied vorstellt, verabreicht sie ihnen diesmal ein Bad mit allerhand zauberhaften Abenteuern; statt zu einem exzentrischen Onkel nimmt sie die Kinder später mit zu einer nicht weniger exzentrischen Tante (Meryl Streep), bei der „jeden zweiten Mittwoch im Monat alles drunter und drüber“ geht.

Emily Blunt ist als Mary Poppins eine wohltuende Spur forscher und „kälter“ als das Original

Statt mit den Figuren eines Pastellgemäldes geht es diesmal mit denen auf einer bemalten Pozellanschüssel hinein in jene Dimension, die gewissermaßen die wahre Heimstatt von Disney ist: eine Welt, in der „Live Action“- und Zeichentrickfiguren fröhlich mit- und gegeneinander intrigieren. Statt dass sie sich wie ihre Mutter für Frauenrechte einsetzt, geht Tochter Jane (Emily Mortimer) für bessere Löhne auf die Straße. Statt eines missmutigen Banker-Vaters muss diesmal sein melancholischer Sohn (Ben Whishaw) die Lektion lernen, dass zum guten Leben auch Zeit für Fantasie und Spiel gehören.

„Mary Poppins’ Rückkehr“. Regie: Rob Marshall. Mit Emily Blunt, Lin-Manuel Miranda u. a. USA 2018, 131 Min.

Die Ausstattung eifert derweil dem Original an Üppigkeit und auffällig gemusterten Stoffen nach, während die Musik das Kunststück fertigbringt, genauso zu klingen wie der Ursprungs-Score, ohne jedoch auch nur einen Hauch von dessen Ohrwurmeinprägsamkeit zu erreichen. (Beleg: „Tschim­tschimini tschimtschimini tschim tschim tscheri“). Was für das Filmerlebnis als Ganzes gelten könnte: Vielleicht sollte man es einfach als ehrbare Nachahmung genießen.

Wehleidige Darstellung

In einem solchen Setting der Wiederholung des Ähnlichen fällt andererseits ungeheuer auf, was tatsächlich anders ist. Es sind die Darsteller. Ben Whi­shaw ragt heraus, als wäre er im vollkommen falschen Film gelandet. Er gibt den erwachsen gewordenen Michael Banks, einen verhinderten Künstler, der in der Bank arbeiten muss, um nach dem Tod seiner Frau seine drei kleinen Kinder zu versorgen.

Was offenbar eine fortschrittliche Figur sein soll – alleinerziehender Vater! –, verzerrt Whishaws wehleidige Kind-Mann-Darstellung ins glatte Gegenteil. Emily Mortimer als Michaels Schwester Jane bekommt erst gar nicht genug zu tun, um negativ aufzufallen.

Broadway-Star Lin-Manuel Miranda als Laternenanzünder Jack wirkt wie eingesperrt in einem Konzept, das das konservative Gegenteil dessen will, was Miranda mit seinem selbst komponierten, revolutionären Hit-Musical „Hamilton“ vollbrachte, in dem komplexe US-Geschichte in expressiven Rap-Battles erzählt wurde.

Einzig Emily Blunt in der Titelrolle kann beim Vergleich mit Julie Andrews bestens mithalten. Sie ist eine wohltuende Spur forscher und „kälter“ als das Original, und man hätte ihr von Herzen gewünscht, statt in einem Abziehbild des alten Films in einem tatsächlich neuen auftreten zu dürfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.