Dokumentation über Geburtsklinik: Nüchternheit der Apparate

"In die Welt" ist ein Film über eine Geburtsklinik. Doch statt sich an menschlichen Schicksalen entlangzuhangeln, gerät der Apparat ins Zentrum der Beobachtung.

Für den Apparat ist es nur ein veränderter Ausschlag - in der echten Welt geht es um Leben und Tod. Bild: ap

Krisen gilt es im Krankenhaus mit routinierten Abläufen kontrollierbar zu machen. Am Anfang des Dokumentarfilms "In die Welt" steht ein prekärer Moment, in dem eine Beobachtung sofort ein Bündel an Haltungen anschaulich werden lässt.

Da ist der Arzt, der in knappen Bemerkungen die Situation des Säuglings im Brutkasten umreißt; daneben eine Krankenschwester - bereit, mit praktischen Handgriffen zu Diensten zu stehen; und schließlich der Vater, angespannt ob des Zustands seines Kindes, aufmerksam gegenüber der Autorität, der er sich anvertraut hat.

Die Szene eröffnet das Spektrum, in dem sich der Film in der Folge bewegt: Zwischen der Praxis medizinischer Abläufe und der Verwaltung einer Institution gerät immer wieder das Ereignis des menschlichen Lebens in den Blick, das trotz der Kontrolle etwas Unwägbares behält.

Der österreichisch-schweizerische Regisseur Constantin Wulff zeichnet in "In die Welt" Innenansichten der Wiener Semmelweis-Klinik auf, einer reinen Frauenklinik, die auf die Vorbereitung und Durchführung von Geburten spezialisiert ist.

Aber weniger das Spezifische des Krankenhauses steht hier im Zentrum als vielmehr das Universelle daran: ein Arbeitsplatz, an dem viele Stellen an unterschiedlichen Etappen eines Prozesses mitwirken. Die werdenden Mütter (und manch ein Vater) fügen sich in diese Struktur ein.

An ihnen wird das Projekt in den verschiedenen Etappen anschaubar: von den frühen Beratungsgesprächen über mehrere Ultraschalluntersuchungen bis hin zu den ersten Wehen und der Geburt.

Das dokumentarische Verfahren ist der beobachtenden Teilnahme der Direct-Cinema-Schule verpflichtet und verweist formal auf Arbeiten der Dokumentaristen Frederick Wiseman ("Hospital") oder Raymond Depardon ("Urgences"): Das Filmteam schmiegt sich an Situationen an, welche die Klinik vorgibt, ohne sich aufzudrängen oder gar Grenzen zu missachten; auf Interviews, Off-Kommentar oder inszenierte Settings wird gänzlich verzichtet.

Dieser Purismus mag einer Vorliebe des Regisseurs geschuldet sein; bedeutsamer aber ist, dass er gegenüber dem Mainstream sensationslüsterner TV-Formate an analytischer Schärfe gewinnt. Wo sich jene am menschlichen Schicksal delektieren, gerät in "In die Welt" der Apparat ins Bild, mit all seiner Ambiguität: Die Diagnose eines Herzfehlers beim Ultraschall wird etwa mit derselben nüchternen Alltäglichkeit behandelt wie der Regelfall, gewinnt jedoch genau darum an Gewicht.

Wulff folgt keinem geradlinigen Weg, begleitet somit keine Eltern über Monate hinweg bis zur Geburt. Die differenzierte Montage von Dieter Pichler vermittelt das serielle Prinzip des Krankenhauses, in dem sich die immergleichen Situationen immer ein wenig anders wiederholen.

Erst dadurch wird die eigentliche Verwaltung des menschlichen Lebens an diesem Ort deutlich: Die Summe aller Besonderheiten innerhalb standardisierter Abläufe verleiht dem Bild der Klinik die Konturen.

Streng genommen ist "In die Welt" aber weniger das Porträt einer Institution - trotz der Szenen, in denen es allein um interne Abläufe geht - als ein Film über jene Schnittstellen, an denen ein Regelwerk Augenblicke von hoher Intensität bewältigen muss. Die aufmerksame Kamera von Johannes Hammel richtet sich so auch beständig auf Interaktionen, meistens natürlich jene zwischen Arzt und Patient.

In den zentralen Geburtsszenen - ein Kaiserschnitt weicht von dieser Logik etwas ab - erreicht dieses Spannungsverhältnis den dramatischsten Ausdruck: Da reibt sich die Routine an einem ungemein physischen Akt, der einen bei aller Diskretion des Blicks nicht unberührt lässt.

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