Dynamitfischen in Tansania: Gefahr für Umwelt und Sicherheit

Mit Sprengstoff zerstören Fischer die Unterwasserwelt, doch ein Problem sind auch die mafiösen Strukturen. Der Staat geht jetzt dagegen vor.

Kontrolle eines Fischerbootes

Mitglieder der staatlichen Task Force kontrollieren ein Fischerboot. Foto: Mike Markovina

DARESSALAM taz | Schwarzer Qualm zieht über den Fischmarkt im Zentrum von Daressalam, eine Ansammlung von niedrigen Holztischen und Pavillons, umzingelt von Buden. Links vom Eingang schlagen Männer mit einer Axt auf Eisblöcke ein, bis sie zerbersten. Rechts beugen sich Frauen über einen Tisch, ziehen Fischen die Innereien aus dem Bauch.

Misstrauisch mustern die Verkäufer jeden, der ankommt. Einer drückt sein Handy ans Ohr, spricht etwas ins Telefon. Plötzlich schiebt ein Verkäufer nebenan die Fische auf dem Tisch vor ihm in eine Plastiktüte, schnell hin zu diesem Mann. Welchen Fisch kann er heute empfehlen? „Oh, heute ist kein guter Tag, das Wetter ist schlecht zum Fischen“, sagt er und winkt ab.

Zwei Barsche sind noch nicht in der Tüte verschwunden. Ihre Augen sind rot, Blut quillt aus ihren Kiemen hervor. Eindeutig: Diese Fische wurden nicht mit Netz oder Angel gefangen. Sie wurden durch Dynamit getötet.

Tansania ist nicht nur eines der beliebtesten Reiseziele in Afrika. Es ist auch dabei, Afrikas Nummer eins im Bergbau zu werden. Immer mehr Dynamit kursiert auf dem Markt – es wird zum Sprengen gebraucht. Über Kriminelle gelangt es in die Hände von Fischern. Ein Wissenschaftler zählte mehr als 300 Bombenexplosionen in 30 Tagen. Vor der Metropole Daressalam waren bis zu zehn pro Stunde. Das Fischen mit Dynamit zerstört nicht nur die Unterwasserwelt. Es treibt die Menschen an der Küste auch in die Kriminalität – weil ihre Nahrungsgrundlage, der Fisch, knapp wird.

Unterschätzte Gefahr

Zwar explodieren auch in den Nachbarländern hin und wieder Bomben im Meer. Doch dort wird der illegale Handel mit Sprengstoff mit bis zu 30 Jahren Gefängnisstrafe geahndet, um Terroristen mögliche Versorgungswege zu kappen. In Tansania hat man das Ausmaß des Bedarfs von Sprengstoff in illegalen Minen und in der illegalen Fischerei lange unterschätzt und kaum verfolgt. Deshalb ist es das einzige Land in Afrika, in dem immer noch kommerziell mit Dynamit gefischt wird – auch wenn das verboten ist.

Was die tansanische Regierung erst jetzt bemerkt: Längst sind die Dynamitfischer in mafiöse Strukturen verwickelt, die das Land durchdringen und seine Sicherheit bedrohen. Deshalb hat sie im Juni die Task Force Matt gegründet – ein Multi-Agency-Task-Team gegen Umweltkriminelle.

Es kursiert immer mehr Dynamit. Über Kriminelle gelangt es zu den Fischern

An einem Vormittag gleitet das Tuckerboot der Marine hinaus aufs Meer – so ruhig und glatt liegt es vor einem, wie eine Plastikplane. Kilulu, ein kräftiger Polizist mit Schnauzbart, der zuvor Terroristen im Libanon gejagt hat, lehnt an der Reling und sieht einem Soldaten im Overall zu. Der hievt gerade ein Maschinengewehr in die Truhe unter dem Fahrersitz. „Wenn wir Fischer erwischen, versuchen sie, ihre Bomben in unser Boot zu schleudern“, sagt er. „Dann müssen wir uns wehren.“

Etwa sechs Kilometer vor der Küste stellt der Steuermann den Motor ab. Der Zeiger des Messgeräts deutet auf minus 44 Meter. „Die Dynamitfischer kommen hierher, weil es hier viele Thunfische gibt“, erklärt Kilulu. Vorne schaukelt ein Holzboot, direkt vor einem dreißigmal so langen Containerschiff. Zehn Personen, darunter auch Kinder, ziehen ein Netz an Bord. Vermutlich eine Fischerfamilie. Dynamitfischer sind das jedenfalls nicht: „Die tragen immer Taucheranzüge und Schwimmflossen“, erklärt Kilulu. „Die Druckwelle der Bombe lässt die Luftblase der Fische platzen, deshalb müssen sie tauchen und ihre Beute aufsammeln.“

Ein Mann auf dem Meer entpuppt sich aus der Nähe als Surfer. In der Hand hält er eine Plastikflasche, an der ein Faden mit Haken baumelt. Er winkt und zieht zwei Makrelenhechte aus einer Plastiktüte: schlanke Fische, die hier in Schwärmen an der Meeresoberfläche jagen. Das ist seine ganze Beute.

Bomben hat die Crew heute keine entdeckt. „Dafür haben wir zumindest Präsenz gezeigt“, sagt Kilulu. Fischer, die Bomben ins Meer werfen und die Korallenriffs in Unterwasserwüsten verwandeln, kommen gegen eine Strafe von umgerechnet 2,50 Euro frei. Deshalb versuchen auch Undercover-Agenten in der Dealerszene die Chefs der Dynamit-Mafia aufzuspüren.

Vom Dynamitfischer zum Ehrenamtlichen

In Kigamboye, 40 Kilometer südlich von Daressalam, passt Omari Mussa darauf auf, dass niemand in seinem Ort mit Dynamit fischt. Die Siedlung besteht aus etwa 50 einfachen Steinhäusern. Mussa ist in einem von ihnen aufgewachsen. Seine Haut ist von der Sonne gegerbt, an der linken Hand hat er nur noch einen Finger – die anderen hat er verloren, weil er eine Bombe zu spät losgelassen hat. „Das Fischen mit Dynamit ist gefährlich“, sagt er. „Trotzdem haben das alle hier gemacht. Das Fischen mit den normalen Methoden lohnt sich kaum noch.“

Als seine Eltern nicht mehr genug Geld hatten, brach er die Schule ab und wurde Dynamitfischer. Wer eine Bombe auf einen dicht besiedelten Korallenriff abwirft, kann auf einen Schlag bis zu hundert Fische töten – und eine Menge Geld verdienen. Doch woher bekam er den Sprengstoff? „In Daressalam gab es einen Typen, der hat Dynamit aus den Minen in den Bergen bekommen. Das hat er an uns verkauft.“

Flink läuft er einen Pfad voraus, vorbei an mannshohen Büschen und Palmen, zu einem weißen Strand. Der Himmel ist wolkenlos blau. Ein Fischer schaufelt Wasser aus dem Boot. Stolz präsentiert er seinen Fang: etwa 20 handgroße Fische, die in der Sonne silbern glänzen. Mussa lächelt. „Als wir aufgehört haben, hier mit Bomben zu fischen, gab es lange keine Fische mehr“, sagt er. „Erst jetzt werden es wieder mehr.“

Jeden Tag kontrolliert er im Auftrag des WWF, wie viele Fische und vor allem wie die Fischer sie gefangen haben. Sein Geld verdient er aber als Koch. Wie hat ihn die Umweltorganisation überzeugt? „Ich bin hier aufgewachsen mit den bunten Korallenriffen. Ich will nicht, dass sie zerstört werden“, sagt er. „Außerdem habe ich erfahren, dass Fische, die mit Dynamit gefangen werden, impotent machen.“

Wenn es um die Zukunft des Meeres geht, tischt die Umweltorganisation den Fischern wohl auch Lügen auf. Aber kann man mit Freiwilligen tatsächlich kriminelle Verbindungen zerschlagen? Umweltverbrechen wie das Dynamitfischen werden unterschätzt: Sie stehen nicht auf den Sanktionslisten der Vereinten Nationen. Doch gerade das macht sie interessant für Kriminelle, die sich nicht mit Drogen und Waffen die Hände schmutzig machen wollen.

Gefährlicher Einsatz

Hyasint Wariro hat soeben gekochtes Fleisch, Kartoffeln und Gemüse im Garten des „Triniti“ verspeist, einer der angesagten Bars gleich hinter dem Stadtstrand von Daressalam. Er trägt Tunika, dazu Sonnenbrille und unterstreicht seine Sätze mit ausladenden Gesten. Drei Jahre lang hat er die Küste bei Tanga im Norden Tansanias für das Umweltministerium überwacht – bis ihn Dynamitfischer attackierten.

200 Fischer mit Sprengstoff schleppte er zur Polizei, verlor viele Freunde. Doch nur fünf von ihnen wurde der Prozess gemacht. Der Grund: „Die Dynamitfischer sind organisiert wie ein Wohlfahrtsverband“, erklärt er und betont dabei jedes dritte Wort. „Jedes Mitglied zahlt umgerechnet 20 Euro pro Monat – damit kaufen sie ihre Leute frei und bestechen die Beamten.“

Wariro rechnete schon lange mit der Rache. Am 11. April 2011 geschah es. „Mein Motorrad sprang nicht an, also stieg ich auf mein Fahrrad, um zur Arbeit zu fahren. In einer Kurve haben sie auf mich gewartet, zu viert, auf zwei Motorrädern.“ Dann hält er kurz inne. „Es hatte viel geregnet, um nicht durch eine Pfütze zu fahren, musste ich direkt an ihnen vorbei.“ Uuuuuh, macht er und verzerrt sein Gesicht. „Die Flüssigkeit, die sie mir in die Augen gespritzt haben, brannte, ich wollte sie mit meinem Ärmel trocknen. Doch da fing mein Hemd Feuer.“

Die Säure hat seine Haut zerfressen, die Lippen sind zusammengeschmolzen. Innerhalb eines Jahres wurde er zehnmal operiert, doch die vernarbte Haut spannt sich immer noch unsymmetrisch über sein Gesicht. Er schiebt seine Sonnenbrille hoch. Anstatt seines rechten Auges prangt da eine Narbe. Aus einem Loch, das die Ärzte gelassen haben, laufen Tränen heraus.

Wariro hat sich wieder gefasst. „Bald wird man von Terroristen aus Tansania hören“, sagt er. In Tanga, im Norden, hätten die Dynamitfischer bereits eine Bombe vor einer Bank gezündet. „Es gibt effektivere Methoden, um an Geld kommen, als mit Fischen“, sagt er. Zeitungsmeldungen über Explosionen und Sprengstofffunde geben ihm recht.

Wie lange wird Tansania noch der stabile Anker in Ostafrika sein? Wariro beugt sich über den Tisch und spricht leise, aber bestimmt: „Wenn du weißt, wie man eine Bombe baut. Wenn du weißt, wie viel Dynamit sie enthalten muss, um alles im Umkreis von zwei oder von fünfzig Metern zu zerstören.“ Er lehnt sich wieder zurück, hebt die Schultern: „Worauf wartest du dann noch?“ Dann schiebt er seine Sonnenbrille über die Augen und bestellt ein Motorrad-Taxi. Er hat alles gesagt. Morgen wird er wieder Meeresbiologie unterrichten und die heranwachsende Generation vor den Folgen des Dynamitfischens warnen.

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