EMtaz: Vorbericht Schweiz-Albanien: Verschwommene Grenze

Sieben Albaner mit Schweizer Pass auf der einen, sechs Schweizer mit albanischen Wurzeln auf der anderen – und mittendrin: Amir Abrashi.

Zweikampf zweier Spieler

Amir Abrashi (li.) im Zweikampf mit Portugals Fábio Coentrão Foto: dpa

FREIBURG taz | Amir Abrashi erinnert sich nur zu gut an diesen so endgültig formulierten Satz. „Mit Albanien wirst du nie ein großes Turnier spielen.“ Gefallen ist er erstmals vor ziemlich genau drei Jahren. Und Abrashi spricht diesen Satz so aus, wie er ihn gehört hat: sehr, sehr schwizerdütsch.

Er kann nicht anders sprechen. Der im schweizerischen Bischoffszell geborene Abra­shi stand damals vor einer Wahl, an die er, wie er beteuert, nie gedacht hat. Soll er, der mit der Schweizer Juniorennationalmannschaft U21-Vizeeuropameister wurde (2011) und das olympische Turnier 2012 in London bestritt, das Nationaltrikot wechseln und künftig für Albanien spielen?

Paolo Tramezzani, der Assistenztrainer des dortigen Nationalteams, hatte ihn 2013 in der Schweiz aufgesucht, weil er in Erfahrung gebracht hatte, dass seine Eltern einst als Kosovo-Albaner ins Alpenland eingewandert waren.

Nun steht am Samstag in Lens für die albanische Na­tio­nal­mannschaft und Abrashi die große Premiere an: das erste Europameisterschaftsspiel. Und Gegner ist ausgerechnet die Schweiz (ZDF, 15 Uhr).

Besonders wird das Spiel aber nicht nur für Abrashi werden. Die albanische Mannschaft tickt zu großen Teilen sehr schweizerisch, und umgekehrt steckt im Schweizer Team ein gutes Stück Albanien. Die Grenzen verschwimmen. In den 1990er Jahren wurde die Schweiz vor allem für die vom Krieg vertriebenen albanischstämmigen Menschen aus dem Kosovo zu einem beliebten Zufluchtsort. Die Entscheidungen fallen mal so und mal so.

Sieben Profis, die außer einem Schweizer auch einen albanischen Pass besitzen, sind im albanischen EM-Kader. Die Schweiz hat sechs Spieler mit albanischen Wurzeln berufen. Dieses Länderspiel dividiert gar Familien auseinander. Für die Schweiz hat sich Bundesligaprofi Granit Xhaka (Mönchengladbach) entschieden, sein Bruder Taulant (FC Basel) aber für Albanien.

Politisches Bekenntnis?

Derlei wird schnell als politisches Bekenntnis gewertet und löst Bitterkeiten aus. „Viele Fans in der Schweiz verstehen das nicht“, sagt Abrashi. Ihm hielten sie anfangs vor, dass er seine fußballerische Ausbildung in der Schweiz erhalten habe und diese auch für dieses Land einbringen müsse. Loyalität und Dankbarkeit werden eingeklagt. Er entgegnet: „Es ist nicht so, dass ich denen etwas geklaut habe. Die Uefa erlaubt diesen Wechsel, solange man nur im Juniorenbereich gespielt hat. Diese Regelung gibt ja auch denen eine Möglichkeit, die keine Chance haben, für die Schweiz zu spielen.“

Dieses Länderspiel dividiert sogar Familien auseinander

Vielen eidgenössischen Albanern ist es wie Abrashi gegangen. Die bessere sportliche Perspektive gab den Ausschlag für den Nationalteamwechsel. Und die letzte Überzeugungsarbeit leistete das italienische Trainergespann, das, wie Abrashi erzählt, sehr überzeugend seine großen Pläne vorstellen konnte. „Das hat mich sehr gereizt.“

Abrashis Augen leuchten, wenn er von seinem Team spricht. Mit ebenso großer Wärme schwärmt er aber auch von der Schweiz: „Ich habe immer gesagt, dass ich nach meiner Fußballkarriere in der Schweiz leben will. Das ist das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Ich habe meine Ausbildung dort gemacht, ich habe meine Freunde dort, da willst du nicht mehr weg.“ Zu seinem Arbeitgeber, dem SC Freiburg, pendelt er seit einem Jahr täglich von Zürich aus.

Mit seiner Offenherzigkeit steht der defensive Mittelfeldspieler wie viele im albanischen Team dafür, dass Loyalitäten sich nicht ausschließen müssen. Einige seiner Kollegen kommen aus der Schweiz, andere sind aber auch in Italien, Deutschland, Norwegen und Griechenland aufgewachsen. Und engagiert sind die Auswahlkicker ohnehin auf dem ganzen Kontinent – nur der zweite Torwart spielt in Albanien.

Fremdsein verbindet

Bei den Länderspieltreffen wird vornehmlich Albanisch gesprochen, aber auch viel Deutsch und Italienisch, berichtet Abrashi. Mit dem italie­nischen Trainergespann – damit es alle verstehen – Englisch.

„Dass viele aus anderen Ländern kommen“, erklärt Abrashi, „macht es einem einfacher.“ Man könnte auch sagen, das Fremdsein verbindet. Aber es sei noch mehr im Spiel, glaubt Abrashi. „Auch wenn wir in unterschiedlichen Ländern aufgewachsen sind, uns eint die albanische Mentalität: mit großem Herz und Ehrgeiz, alles für dieses Land machen zu wollen.“

Die Leidenschaft wird auch von einem professionellen Plan getragen. Systematisch hat der italienische Nationalcoach Giovanni De Biassi seit seinem Amtsantritt mit einem fünfköpfigen Beobachterteam Europa nach albanischstämmigen Talenten abgesucht und ein Team aufgebaut. Der Auftaktsieg gegen Portugal in der EM-Qualifikation löste eine Euphorie und ein neues Denken aus, welches das Team bis nach Frankreich trug.

„Nach dem 1:0 haben wir realisiert, dass wir Chancen haben“, sagt Abrashi. „Wir sind am Anfang oft zu eingeschüchtert, stehen ein bisschen zu tief. Aber sobald wir uns trauen, mehr aufzurücken, haben die anderen auch Probleme.“ Mit dieser Zurückhaltung habe das Team bis heute zu kämpfen, aber man habe viel dazugelernt. Auf das schweizerische Knowhow kann man sich dabei auch in Zukunft verlassen. „Es sind viele aus der Schweiz im albanischen Team“, sagt Abrashi, „aber es kommen immer mehr. In den Schweizer Juniorenauswahlen sind über ein Dutzend albanischer Herkunft.“

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