EU-Beratungen über Griechenland: Schäuble will den „Teilzeit-Grexit“

Die Euro-Finanzminister einigen sich zunächst nicht auf einen Kurs für Griechenland. Schäuble sorgt mit dem Vorstoß für einen zeitweisen „Grexit“ für Aufsehen.

Kann sich eine fünfjährige „Auszeit“ für Griechenland vorstellen: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Foto: reuters

BRÜSSEL dpa | Die Euro-Finanzminister setzen am Sonntagvormittag in Brüssel ihre Beratungen über die griechischen Spar- und Reformpläne fort. Ein schwerer Streit in der Eurogruppe hatte eine Einigung am Samstag verhindert und die Minister rund neun Stunden kontrovers debattieren lassen.

Die Ressortchefs bereiteten einen Krisengipfel ihrer Staats- und Regierungschefs in Brüssel vor, der am Nachmittag um 16.00 Uhr beginnen soll. Ursprünglich war geplant, dass ab 18 Uhr alle 28 EU-Staaten an dem Sondertreffen teilnehmen sollten. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte dies jedoch am Sonntagmorgen abgesagt. Stattdessen werde es am Nachmittag nur das Gipfeltreffen der 19 Staats- und Regierungschefs der Euroländer geben, teilte Tusk am auf Twitter mit.

Eine geplante gemeinsame Erklärung der Finanzminister blieb zunächst unveröffentlicht. „Es ist immer noch sehr schwierig“, sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Bei der Arbeit gebe es aber Fortschritte.

Athen hatte ein Spar- und Reformpaket vorlegt, um ein neues Hilfspaket mit drei Jahren Laufzeit und einem Umfang von 74 Milliarden Euro von den Geldgebern zu erhalten. Da viele Länder, darunter auch Deutschland, Einwände haben, werden von Athen zusätzliche Reformschritte verlangt. Es gehe auch um die rasche Verabschiedung von Reformen schon von der kommenden Woche an, um Vertrauen zu schaffen, berichteten Diplomaten.

Enormer Zeitdruck

Die Beratungen stehen unter enormen Zeitdruck, denn das akut pleitebedrohte Land muss im laufenden Monat an Gläubiger 4,2 Milliarden Euro zurückzahlen, die es nicht hat.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verlangt einem Zeitungsbericht zufolge entweder rasche Nachbesserungen oder eine mindestens fünfjährige „Auszeit“ Griechenlands aus der Eurozone.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) zitierte aus einem ihr vorliegenden Papier Schäubles für die anderen Finanzminister. Die Vorschläge Athens könnten „nicht die Grundlage für ein komplett neues, auf drei Jahre angelegtes ESM-Programm bilden“, heiße es dort. Es fehlten „zentral wichtige Reformbereiche, um das Land zu modernisieren und um über lange Sicht Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung voranzubringen“. Der ESM ist der Eurorettungsschirm.

Stattdessen blieben nach Ansicht Schäubles zwei Wege. So solle Griechenland seine Vorschläge entweder rasch und umfassend mit voller Unterstützung des Parlaments verbessern. Griechenland solle Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Euro an einen Treuhandfonds übertragen, der sie verkaufe und damit Schulden abtrage.

Austritt für mindestens fünf Jahre

Als zweiter Weg würden Verhandlungen mit Athen über eine „Auszeit“ genannt. Das Land solle nach dieser Variante die Eurozone für mindestens fünf Jahre verlassen und seine Schulden restrukturieren. Es bleibe EU-Mitglied und erhalte weiter „wachstumsstärkende, humanitäre und technische Unterstützung“. Das Bundesfinanzministerium wollte sich zu dem Bericht nicht äußern. In griechischen Regierungskreisen hieß es, ein Vorschlag über einen zeitlich begrenzten Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei Athen offiziell nicht unterbreitet worden.

Die Überlegungen für eine mögliche fünfjährige Euro-Auszeit Griechenlands sind mit Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel abgestimmt. „Die SPD verfolgt nach wie vor das Ziel, Griechenland in der Eurozone zu halten, wenn die dafür notwendigen Bedingungen geschaffen werden können. Das ist auch das gemeinsame Ziel der Bundesregierung“, sagte Gabriel am späten Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Der Vizekanzler fügte an, der Vorschlag Schäubles „für ein zeitlich befristetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone ist der SPD natürlich bekannt“.

Gabriel betonte, die SPD lege besonderen Wert auf ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen mit Frankreich. Mit Blick auf den Vorstoß für eine begrenzte Euro-Auszeit für Athen ergänzte er: „In einer derart schwierigen Situation muss auch jeder denkbare Vorschlag unvoreingenommen geprüft werden.“ Dieser „wäre aber nur realisierbar, wenn die griechische Regierung ihn selbst für die bessere Alternative halten würde“.

Dijsselbloem berichtete in der Nacht: „Wir hatten eine vertiefte Debatte über die griechischen Vorschläge.“ Er fügte an: „Das Thema von Glaubwürdigkeit und Vertrauen wurde diskutiert.“

Vielen Staaten fehlt laut Dijsselbloem das Vertrauen, dass die Regierung des griechischen Premiers Alexis Tsipras die versprochenen Reformen wirklich umsetzen wird. Man frage sich, „ob der griechischen Regierung vertraut werden (kann), dass sie das tun, was sie versprechen“, sagte er.

82 Milliarden Euro nötig

Das griechische Parlament hatte Tsipras zuvor ein Mandat für Verhandlungen über seine Reformpläne erteilt. Sollten die Finanzminister diesen Maßnahmen zustimmen, könnten sie den Weg frei machen für Verhandlungen über ein neues Hilfspaket. Lehnen sie ab, wäre ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum ("Grexit“) nicht ausgeschlossen.

Griechenland brauche in den nächsten drei Jahren etwa 82 Milliarden Euro, hieß es aus Brüsseler Kreisen. „Wir haben es jetzt mit Finanzierungslücken zu tun, die jenseits all dessen sind, mit dem wir uns in der Vergangenheit beschäftigt haben“, sagte Schäuble. Griechenland hat in den vergangenen fünf Jahren internationale Hilfe von insgesamt 240 Milliarden Euro erhalten.

Die Geldgeber hatten die Vorschläge Athens zunächst als „eine Basis für ein neues ESM-Programm“ bewertet, wie EU-Währungskommissar Pierre Moscovici sagte. Die Geldgeber-Institutionen bestehen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF).

Das nach monatelanger Hängepartie vorgelegte Spar- und Reformpaket umfasst auch eine Mehrwertsteuerreform. Bis 2022 soll das Rentenalter auf 67 Jahre steigen.

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