EU Flüchtlingspolitik: Alternative für Deutschland

Ein Video zeigt ein Deutschland, in dem das Innenministerium Geflüchtete per Flugzeug holt. Dahinter steckt die blanke Wut.

Horst Seehofer ist eigentlich ganz anders. Jedenfalls in der Realität, in der diese Webseite zu Hause ist Foto: Screenshot taz

Das alles ist Deutschland: Roboter, die was zusammensetzen, klinisch saubere Büros, goldene Kreuze auf Berggipfeln, ein blondes Kind, das sehr lange in einen sehr gesunden Apfel beißt. Und dann der Schriftzug: „Bis zu einer Europäischen Einigung nimmt Deutschland alle Menschen auf, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet werden.“

Was?

Nochmal an den Anfang des Videos gespult: Ja, da steht tatsächlich „Eine Information des Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat.“

Nochmal auf Sekunde 0:35 des Videos geklickt, ja da fliegt ein Lufhansa-Airbus und eine sonore „Ich bin der seriöse Mann aus dem Off“-Stimme sagt: „Mit der Initiative Seebrücke des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat teilen wir diese Freundschaft und Verantwortung.“ Der Sprecher bezieht sich auf die Szene vorher in dem Film, die zeigt, wie die Allierten dem von der Sowjetunion blockierten West-Berlin 1948 und 1949 geholfen haben.

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Seehofer? Ein Cremetörtchen?

Ist Horst Seehofer eigentlich ganz anders? Außen hart wie Kruppstahl, aber innendrin mit einem Herzen so zart wie Cremetörtchen. Hat er sein Ministerium heimlich auf einen Kurs des Mitgefühls getrimmt? Hat er einen sanften Doppelgänger?

Am Ende des Films erscheint dann eine Internetadresse: seebruecke.org. Und spätestens, wenn man dann auf diese Adresse klickt, wird klar: Ja, der Film ist ein Hoax, eine Satire, es zeigt ein Deutschland, wie es in einer alternativen Realität möglich wäre.

Conny Runner, Peng! Kollektiv

„Humor ist eine Kraft, die hegemoniale Systeme ins Wanken bringen kann“

Denn die Adresse führt zu einer Seite, auf der Menschen dazu aufgerufen werden, selbst für Gerflüchtete aktiv zu werden: „Überzeuge deine Stadt, Gemeinde, oder dein Viertel, Menschen in Seenot aufzunehmen.“

Die Kampagne besteht bisher aus zwei Bereichen. Zum einen dem Hoax mit Video und der Webseite seebruecke-des-bundes.de/. „Der Unterschied zwischen einer Aufklärungsbroschüre und so einem Hoax ist einfach, dass sich die Menschen dazu anders positionieren müssen“, sagt Conny Runner vom Peng! Kollektiv, einer Gruppe aus Künstlern, Hackern und Aktivist*innen, die laut ihrer Webseite den „Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“ führen möchte. „Außerdem ist Humor eine Kraft, die hegemoniale Systeme ins Wanken bringen kann.“ Und: In einer Zeit voller schlechter Nachrichten gebe Humor Kraft zum atmen.

Der Wut ein Ventil geben

Zum anderen gibt es die Webseite seebruecke.org, mit dem Aufruf, selbst tätig zu werden und mit ersten Aktionen. So wollen die Aktivist*innen am Sonnabend am Berliner Flughafen in Tegel sein. „Um 18.45 Uhr gibt es einen Flug, bei dem es ziemlich plausibel ist, dass da Geflüchtete aus Malta hier ankommen“, sagt Mareike Geiling von Mensch Mensch Mensch e.V., einer Organisation, die sich schon länger für Geflüchtete einsetzt. „Wir werden jedenfalls da sein.“

Sie sagt, die Wut und die Ohnmacht angesichts der immer repressiveren Flüchtlingspolitik in Europa sei der Antrieb für ihre Aktion gewesen. „Es wurde ja von Tag zu Tag schlimmer. Am Mittwoch sagte Seehofer noch, die Lebensretter vom Schiff Lifeline sollten strafrechtlich verfolgt werden“, sagt Geiling, „am Donnerstag dann der Oberhammer mit den EU-Beschlüssen zu Sammellagern.“

Am 7. Juni planen die Aktivist*innen eine Großdemonstration. „Wir merken doch in der Bevölkerung, dass es vielen so geht, wie uns“, sagt Mareike Geiling, „die Leute fühlen Wut und Entsetzen angesichts dieser Poltik und wir müssen dem ein Ventil geben.“

Der Hoax mit dem Video, das suggeriert Deutschland würde jetzt eine andere Rolle in der Flüchtlingspolitik spielen, soll vor allem Aufmerksamkeit schaffen. „So könnte sie ja aussehen, die Rolle Deutschlands“, sagt Runner vom Peng! Kollektiv am Telefon.

Es dauerte nur 26 Stunden

Das Kollektiv will zusammen mit anderen Gruppen und Einzelpersonen auf die „permanenten Rechtsstaatsverletzungen und die offensichtliche Teilung der Menschenrechte“ durch Bundesinnenminister Horst Seehofer und die CSU aufmerksam machen. „Außerdem auf die Diffamierung der Solidarischen, seien es Asylrechtsanwältinnen oder Seenotretterinnen.“ So schreibt es Runner später per Telegram.

Wie er und Geiling erzählen, sind das Video und die dazugehörige Webseiten in den vergangenen 36 Stunden entstanden. Erst habe ihn ein Unbekannter angerufen und gesagt, jetzt müsse doch mal was passieren angsichts der Situation des Schiffes Lifeline vor Malta, sagt Runner. Wenige Stunden später hätten sich bis zu 60 Personen in einem Telegram-Chat darüber ausgetauscht, was sie nun tun könnten. „Solche Situationen wie die der Aquarius oder der Lifeline wird es wieder geben“, sagt Runner. „Wir konnten das nicht einfach so weiterlaufen lassen.“

Die Macher*innen wollen sich international mit anderen europäischen Organisationen und Städten vernetzen. International inspiriert ist auch die Idee, jeder und jede, die für eine liberale Flüchtlingspolitik ist, solle ein oranges Tuch tragen. In Argentinien hatten die Befürworter*innen eines Rechtes auf Abreibungen grüne Tücher getragen.

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