EU und Katalonien: Juncker stellt sich hinter Rajoy

Die EU-Kommission will sich in die Krise nicht vermittelnd einschalten. Im Gegenteil: Sie ergreift Partei für die Zentralregierung in Madrid.

Polizeieinsatz in Barcelona am Tag des Unabhängigkeitsreferendums

Polizeieinsatz in Barcelona am Sonntag: Über die die Verantwortung der Regierung in Madrid schweigt sich die EU-Kommission aus Foto: ap

BRÜSSEL taz | Erst stellte sich Jean-Claude Juncker taub, als er zu Hilfe gerufen wurde. Der Chef der „politischen“ EU-Kommission in Brüssel hielt es vor dem umstrittenen Referendum in Katalonien nicht einmal für nötig, auf Appelle des katalanischen Außenministers zu einer europäischen Schlichtung zu antworten. An dieser Haltung hat sich auch nach dem blutigen Sonntag nichts geändert.

Im Gegenteil: Nun ergreifen Juncker und seine Kommission sogar offen Partei für den spanischen Regierungschef. „Wir haben volles Vertrauen in die Führungsstärke von Premierminister Mariano Rajoy und seine Fähigkeit, diesen schwierigen Prozess zu managen“, heißt es in einem am Montag in Brüssel veröffentlichten Statement.

Die spanische Verfassung müsse respektiert werden, beide Seiten müssten nun in einen Dialog eintreten.

Doch diesen Dialog vermitteln oder sogar schlichtend eingreifen möchte Juncker nicht. Man wolle sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ einmischen, heißt es zur Begründung in Brüssel. Nicht einmal eine klare Verurteilung der Polizeigewalt kommt den EU-Kommissaren über die Lippen. „Gewalt kann niemals ein Mittel der Politik sein“, teilt die Brüsseler Behörde mit.

Illegales Referendum

Auf Nachfrage weigerte sich Junckers Sprecher Margaritis Schinas jedoch, Ross und Reiter zu nennen und Madrid für den brutalen Polizeieinsatz verantwortlich zu machen. Ins Unrecht werden allein die katalanischen Separatisten gerückt, nicht die Zentralregierung in Madrid.

Zur Begründung verweist die EU-Kommission auf die Einschätzung, dass das Referendum laut spanischer Verfassung illegal sei. Sollte sich Katalonien dennoch für unabhängig erklären, so würde es damit automatisch aus der EU ausscheiden, warnt die EU-Behörde. Offenbar bereitet sich Juncker bereits auf diesen Ernstfall vor. Jedenfalls wolle er noch am Montagnachmittag mit Rajoy telefonieren, erklärte sein Sprecher.

Verbunden war diese Ankündigung mit dem Appell an die Katalanen, nicht auf Spaltung und Segmentierung zu setzen. „Jetzt ist die Zeit für Einheit und Stabilität“, rief Junckers Sprecher aus. Der Frage, wieso sich die EU-Kommission in anderen Fällen, etwa in Schottland oder im Kosovo, anders verhalten habe, wich der Sprecher aus. Die Loslösung des Kosovo von Serbien sei in einem anderen historischen und geopolitischen Kontext erfolgt.

Fakt ist, dass sich Spanien schon gegen die Unabhängigkeit des Kosovo gestellt hat – aus Sorge, diese könnte einen Präzedenzfall für Katalonien darstellen. Fakt ist auch, dass die EU trotz aller Beteuerungen, neutral zu sein, mit zweierlei Maß misst. Und zwar nicht nur im Kosovo, sondern auch in Schottland. Juncker hat sogar schottische Regierungsmitglieder in Brüssel empfangen, nachdem diese den Wunsch geäußert hatten, nach dem Brexit in der EU bleiben zu wollen.

Eherne Doktrin

Dennoch versucht die EU-Kommission, den Eindruck zu erwecken, sie folge einer ehernen Doktrin. Diese so genannte Prodi-Doktrin war bereits 2004 vom ehemaligen Kommissionschef Romano Prodi formuliert worden. Ein Gebiet, das sich von einem Mitgliedsland abspalte und unabhängig werde, sei aus Sicht der Union fortan „ein Drittstaat“, erklärte der Italiener damals.

Die EU-Verträge würden „vom Tag der Unabhängigkeit an auf dem jeweiligen Gebiet keine Anwendung mehr finden“. Diese Doktrin war 2012 von Prodis Nachfolger José Manuel Barroso wiederholt worden. Auch Juncker beruft sich nun wieder darauf. Überzeugend klingt es allerdings nicht. Denn in Brüssel kann ja wohl kaum jemand ernsthaft wollen, dass Katalonien über Nacht zur „EU-freien Zone“ wird.

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