EU untersagt Pestizide auf dem Acker: Super Tag für Biene Maja

Aus Sorge um die Bestäuber von Blüten verbietet die EU drei Wirkstoffe von Pestiziden im Freiland. Die wichtigsten Fragen über Bienensterben und „Neonics“.

Eine Biene unter einem Baum im Licht

Süß und unverzichtbar für die Natur: Bienen Foto: dpa

Es ist Frühling, aber ich habe das Gefühl, ich sehe viel weniger Bienen als vor einigen Jahren. Wird sich das jetzt ändern?

Wahr ist: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am Freitag beschlossen, dass drei Wirkstoffe von Pestiziden ab Ende des Jahres grundsätzlich überhaupt nicht mehr im Freiland benutzt werden dürfen. Bislang waren diese synthetischen Gifte aus der Gruppe der Neonicotinoide (Neonics) noch erlaubt, zum Beispiel bei Zuckerrüben. Die Mittel namens Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam sollen jetzt nur noch in fest installierten Gewächshäusern verwendet werden dürfen. Denn dort kommen nicht so viele Bienen mit dem Gift in Kontakt. Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit hatte anhand mehrerer Studien festgestellt, dass die in der Praxis vorkommenden Mengen der drei Pestizide die Insekten vergiften können. Bayer, einer der Hersteller, argumentiert dagegen, dass die Behörde „nur geringe Risiken“ ermittelt habe.

Sind diese Neonicotinoide also verantwortlich für das sogenannte Bienensterben, von dem man immer in den Medien hört?

Der Behörde zufolge schädigen sie Bienen. Trotz dieser Belastung leben in Deutschland aber seit ungefähr zehn Jahren immer mehr Honigbienen, weil es mehr Imker gibt – sagt zumindest der Deutsche Imkerbund. Auch die Winterverluste – also die Zahl der Bienen, die im Winter sterben – nehmen im langjährigen Mittel nicht zu. Das hat das Fachzentrum Bienen und Imkerei in Rheinland-Pfalz bei seinen bundesweiten Umfragen unter Imkern seit 1997/98 ermittelt. Sie sind die größte Datensammlung zum Thema, die vorhanden ist. Es könnte sein, dass das große Bienensterben schon vor Beginn der Erhebung stattgefunden hat. Aber damals waren laut Fachzentrum noch viel giftigere Pestizide auf dem Markt.

Also gibt es gar kein Bienensterben?

Doch, es gibt ja auch rund 560 Wildbienenarten, zum Beispiel Hummeln, in Deutschland. Laut Bundesamt für Naturschutz stehen mehr als die Hälfte auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Sie sind eben Insekten, deren Zahl insgesamt tatsächlich zurückgeht. Nach einer umfangreichen Studie sank die Gesamtmasse aller Fluginsekten in 63 Naturschutzgebieten um 76 Prozent.

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Woran liegt das?

Die Autoren der Insektenstudie vermuteten, dass die intensivierte Landwirtschaft samt dem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln eine Rolle spielte. 94 Prozent der Untersuchungsstandorte waren von Agrarflächen umgeben. Zudem wird die Hälfte Deutschlands landwirtschaftlich genutzt. Der Bauernverband erklärt es aber für unklar, wie groß die Verantwortung seiner Klientel ist. Ziemlich sicher ist, dass auch die zunehmende Lichtverschmutzung einen Anteil hat. Dauerlicht etwa zieht Insekten an, die dann dort leichter gefressen werden können.

Warum ist das Insektensterben so schlimm?

Wenn es den Insekten schlecht geht, geht es der Natur allgemein schlecht. Sie bestäuben 80 Prozent der Wildpflanzen. 60 Prozent der Vögel benötigen sie als Futter. Zudem verwerten sie Nährstoffe aus Pflanzenresten und Tierkadavern. Auch viele Kulturpflanzen wie Obstbäume sind auf den Besuch durch Honig- oder Wildbienen, aber auch andere Insekten wie Fliegen, Käfer und Schmetterlinge angewiesen. Oft sorgen die Bestäuber auch dafür, dass die Ernte größer ausfällt.

Wird das Insektensterben jetzt aufhören, weil die EU die drei Pestizidwirkstoffe auf dem Acker verbietet?

Nein. Denn zwei weitere Neonicotinoide und zahlreiche andere Insektenvernichtungsmittel bleiben erlaubt. Und natürlich auch Unkrautvernichter wie Glyphosat, die Nahrungspflanzen von Insekten töten. Es wird auch weiter im Schnitt zu viel gedüngt, was Lebensräume von Insekten schädigt. In der Agrarlandschaft gibt es zudem immer noch zu wenig Rückzugsräume wie Hecken. Lichtverschmutzung bleibt ebenfalls ein Problem.

Werden die Bauern auf andere Pestizide ausweichen, um Schädlinge wie Blattläuse oder Drahtwürmer zu töten?

Zumindest teilweise. Das lässt eine Studie im Auftrag der EU-Kommission erwarten, mit der auch die Hersteller argumentieren. Sie untersuchte, wie die Landwirte darauf reagierten, dass die EU 2013 verbot, die drei Neonicotinoide bei Pflanzen einzusetzen, die von Bienen angeflogen werden. Ergebnis: Viele der befragten Landwirte griffen zu anderen Pestiziden. Andere griffen zu mechanischen Methoden.

Ist das Freilandverbot also überhaupt ein Gewinn für die Umwelt?

„Ja, denn diese drei Neonicotinoide gehören nachweislich zu den für Bienen gefährlichsten Stoffen“, sagt Corinna Hölzel, Pestizidexpertin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Die anderen Neonics seien zwar auch giftig für die Insekten, aber nicht ganz so stark. Für Umweltschützer ist das Verbot vom Freitag aber nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sie fordern, alle Neonics zu untersagen. Außerdem müsse die EU ihre Agrarsubventionen künftig so verteilen, dass Landwirte, die weniger oder gar keine Pestizide benutzen, mehr Geld bekommen. Der Staat könnte es zum Beispiel stärker fördern, durch Wechsel von mehr Fruchtarten auf einem Acker den Druck durch Schädlinge zu verringern.

Gefährdet das Verbot die Versorgung mit Nahrungsmitteln?

Es ist noch nicht einmal sicher, dass die Bauern weniger ernten werden. Denn sie können die meisten Anwendungen der Pestizide durch andere Methoden ersetzen.

Werden Lebensmittel teurer?

Das behauptet noch nicht einmal die Chemielobby. Zwar wird es für die Landwirte teurer, Produkte zu erzeugen, für die sie bislang Neonics benutzt haben. Aber die Kosten haben geringe Auswirkungen auf den Verbraucherpreis. Die Bauern erhalten nur 21 Prozent von jedem Euro des Konsumenten. Auch andere profitieren, etwa der Handel.

Sind Neonics eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen?

Die Chemikalien sind auch für Menschen giftig. Der Wirkstoff Thiacloprid etwa kann laut EU-Chemikalienbehörde die Fruchtbarkeit und ungeborene Kinder schädigen. Er steht auch im Verdacht, Krebs zu verursachen. Spuren der Mittel finden sich immer wieder beispielsweise in Honig und Obst. Jedoch liegen sie meist unter den Grenzwerten, sodass sie den Behörden zufolge ungefährlich sind. Allerdings wurden diese Limits in der Vergangenheit immer wieder angehoben, was Umweltschützer misstrauisch werden lässt.

Was sagt das Verbot über die Qualität des Zulassungsverfahrens von Pestiziden?

Nichts Gutes. Denn diese Mittel wurden einmal zugelassen, weil es hieß, dass sie keine Gefahr für Bienen darstellten. Nun stellt sich laut EU heraus, dass das nicht stimmte. Dennoch waren sie jahrelang im Einsatz. Umweltschützer fordern deshalb eine Reform des Zulassungsverfahrens. Die Studien über die Risiken sollten nicht mehr von den Herstellern, sondern von den Behörden in Auftrag gegeben werden.

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