Ein Jahr danach in Kanada: „Occupy ist nicht tot“

Mit seinem Magazin „Adbusters“ schob Kalle Lasn die Proteste einst an. Er und seine Mitstreiter riefen zur Wall Street-Besetzung auf. Er glaubt noch an einen Erfolg.

17. September 2011: Der „Tag Eins“ der Wall-Street-Besetzung. Bild: dapd

VANCOUVER taz | Gut ein Jahr ist es her, dass Kalle Lasn und seine Mitstreiter vom kanadischen Magazin Adbusters ihre Leser zur Besetzung der Wall Street aufriefen. Was sich die zehn Redakteure in einem kleinen Kellerbüro in Vancouver ausgedacht hatten, entwickelte sich schon bald zu einer der größten Protestwellen der letzten Jahre.

Am 17. September 2011 versammelten sich erstmals rund 1.000 Aktivisten in New York. Fortan demonstrierten Tausende mit ihren Occupy-Camps gegen die Macht der Banken und das kapitalistische Wirtschaftsystem – in New York, aber auch in vielen anderen Städten der Welt.

Heute sind die meisten Camps geräumt und Lasn hört allerorten, die von ihm mit ins Leben gerufene Bewegung sei tot. Das bringt den Herausgeber des linkgerichteten Magazins hörbar auf.

„Occupy ist nicht tot. Wir sind viel weiter als noch vor einem Jahr“, beharrt Lasn.

Und dann zählt er auf, wo sich junge Menschen in den letzten Monaten überall aufgelehnt haben: In Russland trotzten die Sängerinnen von „Pussy Riot“ samt Fans Präsident Putin. In Kanada gingen Zehntausende gegen höhere Studiengebühren auf die Straße. In Griechenland wehrten sich die Massen gegen das Spardiktat aus Brüssel.

„Die Unzufriedenheit nimmt weiter zu. All diese Krisenherde werden sich irgendwann zu einer globalen Revolution hochschaukeln“, ist Lasn fest überzeugt. Die Occupy-Camps seien nur der erste Schritt gewesen.

Eine neue Phase

„Die Besetzungen hatten etwas Inspirierendes. Sie haben vielen jungen Menschen Zuversicht gegeben und das Gefühl, die Welt verändern zu können. Insofern waren die Camps ein großer Erfolg.“

Mittlerweile aber haben sich die Occupy-Camps auch nach Wahrnehmung ihrer Erfinder überholt. Die Protestbewegung befinde sich in einer neuen Phase. Lasn beschreibt sie so: „Wir gehen von der Wall Street auf die Main Street.“

Zukünftig werde es weniger spektakuläre Großaktionen geben wie jene im Zuccotti-Park in New York. Dafür viele kleine, überraschende Nadelstiche gegen das System. Manchmal nur mit einer Handvoll Leute. „Es reicht, wenn drei Leute vor einer Bankfiliale protestieren“, glaubt er.

Den Kapitalismus wegputzen

Wirklich? Lassn packt einen Taschenrechner aus: „Die zehn größten Banken der Welt haben rund um den Globus etwa 35.000 Filialen.“ Macht also 35.000 Demonstrationen oder mehr als 100.000 Demonstranten.

Lasn hofft: „Mit solchen Aktionen können wir den Kapitalismus Stück für Stück wegputzen. Die Polizei kann wie in New York geschehen in einer Nacht-und-Nebelaktion einen Park räumen, nicht aber eine Handvoll Leute vor einer Bankfiliale.“

Die Macher von Adbusters wollen zukünftig auch die Universitäten stärker ins Visier nehmen. „Das neoliberale Monopol auf die ökonomische Lehre ist eines unserer Grundübel“, ist Lasn überzeugt.

Marsch durch die Fakultäten

„Die Studenten sollten ihre Professoren fragen: Wenn ihr alle so gut seid, wie ihr vorgebt – warum eigentlich habt ihr die Lehman-Krise nicht vorhergesagt?“ Also will Lasn die Aktivisten ermutigen, die Fakultäten zu erobern und von innen zu erneuern.

Wie genau das funktionieren soll, ist schon bald in gebundener Form nachzulesen. Im November veröffentlicht Lasn mit weiteren linken Autoren sein Buch „Meme Wars“, in etwa übersetzt „Krieg der Ideen“. Für die Occupy-Bewegung soll es zu einer Art Bibel werden und zu einer Handreichung für künftige Aktionen.

„Wir werden weiter den Finger in die Wunde legen“, verspricht Lasn. Für Adbusters selbst haben sich die Proteste übrigens gelohnt. Seit dem berühmten Besetzt-die-Wall-Street-Aufruf vom Juli 2011 ist die Auflage des anzeigenfreien Magazins laut Lasn um 30 bis 40 Prozent gestiegen.

So schön kann eine Revolution sein.

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