Ein Wort zum Panter Preis von Elke Schmitter: „Handeln wir!“

Es gibt keine Lösung für das ganze Unheil in der Welt, aber Ideen und Gegenstrategien.

Elke Schmitter ist Journalistin, Autorin und Kuratorin der taz Panter Stiftung Bild: Hein-Godehart Petschulat

Liebe Freunde der taz, liebe Unterstützer der taz Panter Stiftung, verehrte Gäste und vor allem liebe Kandidaten für den taz Panter Preis,

wir sind heute zusammengekommen, um einem Rätsel nachzugehen. Das machen wir jedes Jahr. Es ist ein Rätsel, das sich nicht lösen lässt, aber man kann es genau beschreiben.

    Am schönsten, am kürzesten, am prägnantesten hat es wohl Bertolt Brecht gesagt, in seinem Gedicht „Menschen getroffen“, an dessen Schluss: „Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt, weiß es auch heute nicht und muß nun gehen.“ Es wurde in der Geschichte der Philosophie und der Psychologie viel über das Böse geforscht. Die Frage aber, warum Menschen Gutes tun, ist erst seit kürzerer Zeit ein Thema. Vielleicht ist es untergründig mit Scham besetzt. Die abendländische und namentlich die christliche Kultur hat, was das Mitgefühl betrifft, hohe Normen aufgestellt. Was für viele Nachkommen dieser Kultur bedeutet: Wir meinen, wir müssten gute Menschen sein, aber wir versagen bei dieser Erwartung häufiger, als wir sie erfüllen. Die Gründe sind oft trivial: Es fehlt an Zeit, die Gelegenheit ist gerade verpasst, es gibt dringende andere Sachen zu tun.

    Ungenügen und Schuld

    Nicht trivial ist die moralische Unruhe, die daraus entsteht, ein nagendes Gefühl von Ungenügen und von Schuld. Die nächstliegende und die komfortabelste Art, diesem moralischen Schamgefühl zu begegnen, ist der Hinweis darauf, dass es immer mehr Elend und Ungerechtigkeit gibt, als man allein wegschaffen kann. Und dass es überhaupt, gerade jetzt und bei dem Menschen, der man gerade ist, an Kompetenz fehlt.

    Die Kandidaten für den taz Panter Preis zeigen seit vielen Jahren, wie man mit dieser inneren Spannung umgehen kann. Weil es Initiativen sind, die ihre eigenen Strukturen schaffen, ihren eigenen Protest entwickeln und ihre eigene Politik von Teilhabe. Ausgehend von der Unzulänglichkeit der Welt – und von der eigenen. Sie bejahend und nicht verurteilend. Tun, was man kann, als der, der man ist, an dem Platz, an dem man steht.

    Phantasie und Mitgefühl

    Dieser Platz ist allerdings immer auch die ganze Welt. Deshalb haben wir hier immer Menschen vorgestellt, die in ihrer Nachbarschaft etwas Vernünftiges tun, und solche, die Initiativen in Afrika begründet haben. Menschen, die etwas von Technik verstehen oder von Medizin, von Bürokratie oder von der Natur oder von der Angst, kein guter Vater zu sein. Oder davon, was es heißt, als Zwangsprostituierte an der deutschtschechischen Grenze zu leben oder als Flüchtling in Griechenland – oder als Jugendlicher in Sachsen ... Für die Einfühlung in manche dieser Situationen brauchen wir Phantasie oder eben Mitgefühl.

    Im politischen Wörterbuch kommt dieses Wort nicht vor. Politik ist die Sphäre, in der wir tätig werden, weil wir fühlen. Man nennt das Handeln aus politischem Mitgefühl: Engagement. Oder Solidarität. Solidarität mit Menschen, denen etwas fehlt, das wir haben: Freiheit, Selbstbestimmung, das Recht auf Unversehrtheit, demokratische Strukturen, Information. Und mit ihnen tätig zu werden, nicht nur für sie. Für die politische Philosophin Hannah Arendt ist das Tätigwerden die eigentliche Definition der Freiheit: Nur im Handeln ist der Mensch frei, sagt sie in ihrer Theorie der Revolution, „weil Handeln und Freisein dasselbe ist“.

    Mutig oder schüchtern, hungrig oder satt

    Eigentlich widerspricht das unserem normalen Sprachgebrauch und damit auch unserem Denken. Wir unterscheiden das Sein vom Handeln. Ich bin eine Frau oder ein Mann, eine deutsche Staatsbürgerin, eine Tochter oder ein Sohn; ich bin mutig oder schüchtern, hungrig oder satt. Aber genau besehen sind alle diese Eigenschaften, die wir als Zustände beschreiben, Handlungsmöglichkeiten. Oder auch Handlungseinschränkungen. Denn durch die Weise, wie wir uns verhalten, legen wir unser Sein – als Frau oder Mann, als Staatsbürgerin, als Mensch mit bestimmten Eigenschaften – immer wieder neu aus; wir definieren seine Grenzen oder erweitern sie. Wir sind das alles, indem wir uns verhalten.

    Jede Frau, jeder Nachbar, jeder Bürger bestimmt durch sein Verhalten, was es heißt, Frau, Nachbar oder Bürger zu sein. Und deshalb sind wir eben auch nur mitfühlend, engagiert und solidarisch, wenn wir nicht nur so empfinden, sondern auch so handeln. Das passive Mitgefühl – die reine Empfindung –, das Mitgefühl, das sich nicht in Handlung übersetzt, zehrt nicht nur an unserer Energie, an unserem moralischen Bild von uns selbst. Es schränkt auch unsere innere und unsere politische Freiheit ein. Mein Lieblingssatz zur Freiheit stammt von Rosa Luxemburg. Er heißt: „Freiheit ist nichts, was gewährt werden kann. Freiheit wird genommen und gelebt.“

    Also nehmen wir uns die Freiheit. Handeln wir. Und unterstützen wir die Kandidaten für den taz Panter Preis. Denn das scheint, um den für mich schönsten Satz des Abends von der Gruppe Peperoncini aufzunehmen, unter all den sinnlosen Dingen, die man so tun kann, noch das Beste.

    Elke Schmitter, ehemalige Chefredakteurin und Kuratoriumsmitglied der taz Panter Stiftung