Einsatz gegen Antiziganismus in Berlin: Senat will Vertrag mit Sinti und Roma

Mit einem Rahmenvertrag will Rot-Rot-Grün die Integration von Sinti und Roma voranbringen. Vorbild ist Baden-Württemberg.

Denkmal für Sinti und Roma

Denkmal für Sinti und Roma in Berlin Foto: dpa

Das Wort „Roma“ war durchgestrichen auf dem Zettel im Stil eines Verkehrsverbotsschilds, darüber stand in Handschrift: „Auf Grund der täglichen Diebstähle … durch eine auf Raub und Betrug spezialisierte Bevölkerungsgruppe hat diese absolutes Ladenverbot.“ Der Aushang in einem Neuköllner Geschäft, der im vorigen Sommer für Diskussionen sorgte, mag besonders drastisch sein – und ist doch nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass Sinti und Roma nach wie vor mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert sind.

Dass sich das ändern könnte, bleibt die Hoffnung der Vertreter verschiedener Sinti-und-Roma-Selbstorganisationen. Ihr Optimismus gründet sich auf den geplanten Rahmenvertrag, den der neue Senat jetzt abschließen will – wie schon im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Antiziganismus aktiv entgegentreten“ festgehalten.

Vertragspartner soll der 2016 neu gegründete „Landesrat der Roma und Sinti, RomnoKher Berlin-Brandenburg e. V.“ sein. Es sei an der Zeit, „dass Sinti und Roma, egal welcher Nationalität, in Entscheidungen, die sie betreffen, miteinbezogen werden“, erklärte Dotschy Reinhardt, Gründerin und Vorsitzende, der taz.

Vorbild für das „große Vorhaben“, wie es Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) vor Kurzem bei einer Veranstaltung im Roten Rathaus nannte, ist der Staatsvertrag, den Grün-Schwarz in Baden-Württemberg Ende 2013 mit dem dortigen Landesverband Deutscher Sinti und Roma geschlossen hat.

Demnach soll ein „Minderheitenrat“ als ständige Einrichtung alle Sinti und Roma betreffenden Angelegenheiten erörtern und Empfehlungen an Landesregierung und -parlament richten. Er ist laut Vertrag paritätisch mit je sechs VertreterInnen der Minderheit sowie der Landesregierung beziehungsweise des Parlaments besetzt.

Die Mitglieder werden auf Vorschlag des Landesverbands von der Regierung für drei Jahre ernannt. Zudem wurde festgeschrieben, wie viel Geld der Baden-Württemberger Landesverband für seinen eigenen Betrieb, für soziale und Bildungsberatung sowie für die Integration nichtdeutscher Roma bekommt.

Romeo Franz ist Geschäftsführer der Hildegard-La­grenne-Stiftung für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland und selbst Mitglied des Baden-Württemberger Minderheitenrates. Nach seiner Einschätzung hat sich das Selbstbewusstsein vieler Sinti und Roma im Ländle seit dem Vertrag positiv verändert. „Man ist gleichberechtigt und kann mitreden“, sagte Franz auf der Veranstaltung in Berlin. So werde der Rat beispielsweise regelmäßig von der Polizei konsultiert, wenn es um Fragen von Antiziganismus gehe.

Im Ländle seien Sinti und Roma inzwischen viel selbstbewusster

Für Berlin erhofft sich Dot­schy Reinhardt dasselbe. Ein solcher Vertrag „würde das Ansehen der Sinti und Roma in der Stadt deutlich heben und wäre ein wichtiges Signal nach außen“. Eines ihrer Ziele sei etwa, dass Geschichte und Gegenwart der Minderheit sowie das Problem des Antiziganismus Teil des Schullehrplans werden – so wie es auch in Baden-Württemberg der Fall ist. Die Aufgabe eines Minderheitenrates solle auch die Verteilung der Gelder, etwa aus dem Roma-Aktionsplan, sein. „Bislang kommt nämlich nur ein Bruchteil der Senatsgelder tatsächlich den Selbstorganisationen zugute“, erklärte Reinhardt der taz.

Doch es gibt Unmut. So bekundeten bei der Diskussion im Roten Rathaus mehrere ZuhörerInnen ihr Unverständnis darüber, dass nicht der alteingesessene Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg mit seiner langjährigen Vorsitzenden Petra Rosenberg den Rahmenvertrag abschließen soll.

Auch Rosenberg selbst zeigte sich „äußerst befremdet“, dass ihr Verband, der seit über 30 Jahren mit dem Land Berlin zusammenarbeitet, „über das Vorhaben zum Abschluss eines geplanten Rahmenvertrages nicht im Vorfeld informiert wurde“, wie sie in einer Mail an Reinhardt schrieb, die der taz vorliegt. Daraus geht auch hervor, dass sie befürchtet, mit dem geplanten Minderheitenrat werde nur ein weiteres „Gremium der Diskussion“ geschaffen.

Reinhardt erwiderte bei besagter Veranstaltung, ihr Landesrat sei bundesweit mit 36 Sinti-Roma-Organisationen vernetzt und daher „die erste Selbstorganisation, die sich um alle Sinti und Roma, Autochthone (Einheimische, Anm. d. Red.) und Zugewanderte, kümmert“. Bei Rosenbergs Landesverband stünden dagegen die deutschen Sinti und Roma im Vordergrund. Sie habe Rosenberg aber wiederholt eingeladen, beim Landesrat mitzumachen und den Vertrag mit dem Senat mit auszuhandeln.

Unterstützung kam von Romeo Franz: Der Landesrat „macht keinen Unterschied, welchen nationalen Status die Sinti und Roma haben. Hier teilt die nationale Minderheit ihre Rechte mit Zugewanderten.“ Wenn der Senat mit dieser Organisation einen Rahmenvertrag abschließe, sei dies ein „absolutes Novum. Das wird durch die Republik gehen“, prophezeite er.

Wie geht es nun weiter? Senatorin Breitenbach erklärte, man habe zwar im Koalitionsvertrag den neuen Landesrat als Partner erkoren, weil man so viele Selbst­organisationen zugleich mit ins Boot hole, „aber im Nachgang sehe ich das auch etwas selbstkritisch. Wir wollten Frau Rosenberg nicht ausgrenzen.“ Man werde jetzt das Gespräch mit ihr suchen, um die Probleme auszuräumen.

Hamze Bytici von der Organisation RomaTrial, der als Mitglied der Linken, die den Koalitionsvertrag an dieser Stelle mit ausgehandelt hat, betonte: Man könne „das, was Rosenberg und ihr Vater für Deutschland getan haben“ – Otto Rosenberg war als Auschwitz-Überlebender Begründer des Berliner Landesverbands – gar nicht noch genug anerkennen.

Als Kompromiss schlug Bytici vor, einen der sechs Plätze im künftigen Minderheitenrat für sie zu reservieren. „Frau Rosenberg hat schon immer eine besondere Position bei den Sinti und Roma gehabt.“

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