Eklat in Brüssel: EU-Ratspräsident Tusk wiedergewählt

Tusk wird als EU-Ratspräsident wiedergewählt, Polens Ministerpräsidentin ist zutiefst verärgert. Jetzt will sie alle Beschlüsse des Gipfeltreffens blockieren.

Beata Szydlo. im dunkelblauen Anzug, schreitet, gefolgt von vier Männern, wütend voran

Unterwegs, den EU-Gipfel zu boykottieren: Polens Regierungschefin Beata Szydlo Foto: ap

BRÜSSEL taz | Das hat es noch nie gegeben: Die Europäische Union wählt einen Präsidenten, der von seinem eigenen Heimatland vehement abgelehnt wird. Und dieses Land – Polen – droht dann auch noch damit, einen EU-Gipfel platzen zu lassen und alle Beschlüsse zu blockieren.

Genau das war die Lage am Donnerstagnachmittag in Brüssel. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die meisten anderen Staats- und Regierungschefs wollten Ratspräsident Donald Tusk für weitere zweieinhalb Jahre in seinem Amt bestätigen. Doch Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło stellte sich quer.

Szydło forderte, die Wahl zu vertagen. Andernfalls werde sie die Gipfelbeschlüsse nicht mittragen – und damit de facto verhindern. Doch weder Merkel und Tusk noch der maltesische EU-Vorsitz waren bereit, auf das ungewöhnliche Ultimatum aus Warschau einzugehen: Sie verlängerten seine Amtszeit bis Ende 2019.

Nicht einmal die Staaten der Visegrád-Gruppe, der neben Polen auch Tschechien, die Slowakei und Ungarn angehören, wollten die Blockade mittragen. Szydło hatte – offenbar getrieben durch Parteichef Jarosław Kaczyński – ihr Land ins europäische Abseits manövriert.

Ausgerechnet Orbán versuchte noch zu vermitteln

Ein Ausweg war zunächst nicht zu erkennen. Zwar wollte sich Merkel in einem Vier-Augen-Gespräch vor dem eigentlichen Gipfeltreffen mit Szydło um eine Lösung bemühen. Doch die schaltete auf stur.

Es sei eine „Frage des Prinzips“, dass die Europäische Union keinen Ratspräsidenten benenne, der nicht die Unterstützung der Regierung seines Heimatlands habe, sagte Szydło. Polen werde „diese Prinzipien bis zum Schluss verteidigen“.

Beata Szydło droht, die Gipfel-Beschlüsse nicht mitzutragen

Die Länder, die dies nicht verstünden, trügen zur „Destabilisierung“ bei, warnte Szydło. Demgegenüber sehen Merkel und die Mehrheit der 28 EU-Staaten in Tusk einen Garanten der Stabilität in Zeiten der Krise. Für seine Wiederwahl reichte eine qualifizierte Mehrheit. Das heißt: Nötig waren die Stimmen von mindestens 15 Ländern, zudem mussten sie mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Polen allein konnte Tusk also nicht verhindern.

Die Regierung in Warschau wirft ihm vor, sich mit kritischen Anmerkungen zu Rechtsstaat und Demokratie in die polnische Innenpolitik eingemischt zu haben. Sie hatte mit dem konservativen Europa-Abgeordneten Jacek Saryusz-Wolski einen Gegenkandidaten aufgestellt.

Tusks ganze Amtszeit könnte überschattet sein

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sagte, es gebe „keinen neuen Kandidaten“. Sa­ryusz-­Wol­ski sei „zurückgetreten“. Or­bán sprach von einer komplizierten Situation: „Ich habe viel Energie investiert, um einen Kompromiss, eine friedliche Lösung für diese Situation zu finden“, sagte er. „Aber wir waren nicht erfolgreich.“

Dass ausgerechnet Orbán als Vermittler auftrat, zeigt, wie verfahren die Lage in der EU ist. Wegen seines rücksichtslosen ­Kurses in der Flüchtlingspolitik gilt Orbán in Brüssel selbst als Quertreiber, nicht als Friedensstifter.

Wenn Polen in der Schmollecke bleibt, könnte dies nicht nur das zweitägige Gipfeltreffen empfindlich stören. Es würde auch die neue Amtszeit von Donald Tusk überschatten. Neben dem Brexit müsste die EU eine neue, selbst verschuldete Krise meistern. Denn über mögliche Alternativen zu Tusk haben die 28 wohl nicht einmal nachgedacht.

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