Erinnern an den Heidedichter: Heimatgefühle

Zum 150. Geburtstag feiert Walsrode Hermann Löns. Jenen Dichter, der sich für Weichtiere und die Natur interessierte, und den die Nazis zur Pflichtlektüre erklärten

1935 bestatteten die Nazis mit großem Tamtam die Löns zugeordnete Gebeine, die vorher auf einem französischen Militärfriedhof lagen. Foto: dpa

WALSRODE taz | Monika Seidel hat Angst um Hermanns Ruf. Sie steht im Büro des Heidemuseums Walsrode. Oben, im ersten Stock, dreht der NDR mit dem Hermann-Löns-Kritiker Heinrich Thies. Und Seidel kann nicht aufhören, zur Decke zu schauen: „Wenn der mir den Hermann jetzt mal nicht kaputtmacht.“

Mm 29. August wäre der Heidedichter Hermann Löns 150 Jahre alt geworden. Seit Wochen klingelt deshalb Seidels Telefon, RTL drehte schon letzte Woche. „Jetzt kriechen sie wieder aus ihren Löchern“, sagt Seidel. Sie ist immer da. Seidel, eine 76-Jährige, die viel jünger mit ihrem dunklen Kurzhaarschnitt und der wachen Stimme wirkt, ist Präsidentin des Verbandes der Hermann-Löns-Kreise in Deutschland und Österreich und Vorsitzende des Vereins, der das Heidemuseum betreibt.

Seidel sagt: „Heidi wird krank, wenn sie ihre Berge nicht mehr sieht. Mir geht es so, wenn ich länger als eine Woche weg bin von Zuhause. Und wenn ich am Moor sitze und die Libellen beobachte, fällt mir immer etwas ein, das Löns geschrieben hat.“

Ab 1893 begann Löns, der damals in Hannover als Journalist arbeitete, Ausflüge in die Lüneburger Heide zu machen – und auch immer wieder in die 20.000-Einwohner-Stadt Wals­rode, die er bei seinem ersten Eintreffen als sehr sauber beschrieb. Für Seidel ist er ein fantastischer Dichter, vielseitig und genial. Einer, der auch Kinderbücher über einen Hasen namens Mümmelmann schrieb, der die Schönheit der Heide wie kaum ein anderer in Worte fasste. Einer, dessen Naturbeschreibungen noch heute in Fachkreisen gelesen werden. Der sich zudem für Weichtierkunde interessierte und mal eine Nacktschnecke entdeckte, die er nach Annette von Droste-Hülshoff benannte.

Der Publizist Heinrich Thies, wegen dem Seidel dauernd zur Decke gucken muss, beschreibt in einer neuen Romanbiografie das schwierige Verhältnis zwischen Löns und seiner zweiten Ehefrau Lisa, einer Frauenrechtlerin. Nach dem NDR-Dreh kommt er kurz runter ins Büro zum Hallo sagen: „Ich habe ihr gesagt, man kann auch unterschiedlicher Meinung sein.“ Seidel sagt später: „Wenn er auch dieser große Weiberheld war, dann weiß ich nicht, wie er noch die Zeit hatte, Romane zu schreiben.“

Blut und Boden

Löns’ Leben liest sich verkracht: Er galt als Trinker, schimpfte auf Juden, schrieb, stramm völkisch gesinnt: „Ich bin Teutone hoch vier. Wir haben genug mit Humanistik, National-Altruismus und Internationalismus uns kaputt gemacht.“ 1910 veröffentlichte Löns seinen Roman „Der Wehrwolf“ , darin erzählt er, wie ein Heidebauer im Dreißigjährigen Krieg erbarmungslos alle Fremden umbringt.

„Über die Heide“ von Hermann Löns

Alle Fuhrenzweige blühten,Und die Heidelerche sangAus der wolkenlosen HöheSüß zu unserm Heidegang

Jedes Wort ist schwer von Blut und Boden, berauscht sich an der Größe der Heimat. Die Nazis machten es zur Pflichtlektüre, als Löns, der im Ersten Weltkrieg starb, lange tot war. Noch 2011 organisierte die NPD Lüneburg eine Heidewanderung; dabei ging es auch um Löns: „Gerade Hermann Löns ist ein gutes Beispiel dafür, dass Naturschutz und Heimatschutz oft einander die Hände greifen“, heißt es auf der Homepage. Mit der Presse sprechen will der Verband nicht über seine Beziehung zu Löns.

Dieter Heidmann, grauer Bart und wache Augen, wiegt den Kopf hin und her. „Ich schätze Hermann schon, weil er schreiben konnte. Aber man kann ja geteilter Meinung sein. Wohlwollen kann man doch nicht verordnen.“ Er organisiert für Seidel heute die Termine im Heidemuseum. Seit kein Geld mehr da ist für den Historiker mit der halben Stelle, bildet er gemeinsam mit Seidel den Teil des Vereins, der das Löns-Erbe in Walsrode am Leben hält. „Im Alter muss man ja irgendwelche Interessen haben“, sagt er. „Und das hat sich halt so angeboten.“

Seidel und er saßen zehn Jahre gemeinsam im Stadtrat, er für die SPD, sie für die CDU. Sie sagt: „Löns war ja auch mal Sozi.“ Er sagt: „Naja.“ Heute hat sie die Ideen, er, der ehemalige Beamte in Berlin, macht die Finanzen. Zusammen trinken sie Kaffee. Heidmann sitzt jeden Sonntag vier Stunden in dem kleinen Büro für die Besucher.Im Erdgeschoss können die sich angucken, wie die Heidebauern früher lebten, tiefe Holzbetten, eine Feuerstelle, Spinnräder.

Im ersten Stock, wo die Luft weniger erdig riecht, steht im Hermann-Löns-Zimmer ein weinrotes Biedermeier-Sofa aus dem Besitz des Dichters, hinter staubfreiem Glas eine Löns-Bücherwand und konturenweiche Fotos des Dichters in Lodenjacke: ein hagerer Mann mit hoher Stirn und Ernst im Blick.

Valleri, vallera, und jucheirassa

Dieter Heidmann guckt ins Buch, wo sie die Besucherzahlen handschriftlich festhalten und sagt dann: „Zwischen sechs und 34 Leute kommen täglich. Wir werden nicht totgelaufen. Ist aber trotzdem schön.“ Manchmal, wenn viele Touristen kommen, bringt Seidel ihr Akkordeon mit. Den Text zum Volkslied „Auf der Lüneburger Heide“, der von Löns stammt, kennen noch alle, sagt sie, valleri, vallera, und jucheirassa, und jucheirassa. „In Bayern, in Franken, in Holland.“

Die Touristen, die an diesem Nachmittag kommen, ein Kölner Elternpaar in den Vierzigern mit Kind, haben noch nie von Hermann Löns gehört. Sie sind hier, weil sie gestern im Vogelpark waren, einem Freizeitpark vor Wals­rode, wo man auch in der Lüneburger Heide Pinguine und Papageien anschauen kann, und heute noch einen Nachmittag übrig haben. „Früher“, sagt Heidmann, habe er manchmal Liebesverse von Hermann als die eigenen ausgegeben: „‚Rose weiß, Rose rot, wie süß ist doch dein Mund, Rose rot, Rose weiß, dein denk ich aller Stund.‘ Damit hatte ich damals richtig Erfolg.“ Aber junge Menschen würden da anders denken. „Die wollen Rapper. Nicht weiße Rosen.“

Die Buchhandlung in der Walsroder Hauptstraße hat das Schaufenster zum 150. Geburtstag dekoriert mit einer Schaufensterpuppe in Loden-Anzug und Büchern von und über Löns, aber die Verkäuferin sagt, dass sich jetzt auch nicht mehr Kunden für Löns interessieren als sonst. Die Löns-Apothekerin weiß nicht, wie lange die Apotheke schon so heißt, sie vermutet aber, dass der Teeladen an der Hauptstraße Hermann-Löns-Tee verkauft. Er bietet dann aber nur Heidelbeertee an, der passe auch gut zur Heide, sagt der Verkäufer, und besteht aus Schwarztee, Himberblättern und Aroma. Zwei Schülerinnen, die an diesem knallheißen Augusttag in der Eisdiele abhängen, kennen den Namen Löns nicht mehr. Sie sind ein bisschen verschreckt, weil man Wissen abfragt.

Auf dem Stadtschild von Walsrode steht noch der Zusatz „Hermann-Löns-Stadt“; ein früherer Bürgermeister wollte den Hinweis zwar entfernen lassen wegen der Nazigeschichte, aber Monika Seidel verhinderte das. Ist sonst noch etwas übrig von Löns?

Henning von der Brelje wurde 1969 geboren, alt genug, um in der Grundschule Löns-Gedichte zu lernen. „Heidekind eben“, sagt der Mann mit der hohen Stirn im Bistro neben dem roten Backsteinrathaus. Für die Bundeswehr war er fünf Mal im Ausland, Bosnien, Kosovo, Afghanistan. Auch deshalb, sagt er, schätze er die Heimat umso mehr. Den Spätherbst in der Heide, wenn die Sonne durch den Wald strahle, den leichten Nebel, den weichen Moosgrund. „Es ist alles andere als selbstverständlich, in so einer Idylle zu leben. Du kannst durch den Wald gehen und musst keine Angst haben, auf eine Mine zu treten.“

Die Partei, für die wvon der Brelje bei den Kommunalwahlen am 11. September antreten will, wirbt auf ihren blauen Plakaten, die auch in Walsrode immer mal wieder heruntergerissen werden, nicht mit Löns. Aber mit dem Heimatgefühl. „Er war ja sehr naturnah. Und das schätzen wir ja auch in der AfD, sich zu entschleunigen, zu besinnen; auch auf alte Wertemechanismen, die eine Form der Sicherheit geben, mit denen man das eine oder andere wieder besser einordnen kann, abseits von Emotionen aus der Distanz betrachten kann. Natürlich auch die Flüchtlingsdiskussion.“

Heimat in Gefahr

In Bad Fallingbostel, acht Kilometer von Walsrode entfernt, hätten die Gaststätten Einbußen wegen der Flüchtlinge. „Das ist ein Faktum“, sagt von der Brelje. „Es fühlen sich viele unsicher. Und ein Gefühl kommt ja nicht von irgendwo her.“ Warum fühlt er, dass durch die Flüchtlinge seine Heimat in Gefahr ist, seine Idylle im Spätherbst? Nein, nein, sagt er schnell. Das fühle er nicht. „Das muss man trennen. Meine Heimat hat nichts damit zu tun, dass Deutschland die große Zahl von Flüchtlingen nicht verkraftet.“ Nach den Wahlen will er sich für eine Verstärkung der Polizeipräsenz im Heidekreis einsetzen.

Zum Lönsgrab läuft man aus Walsrode knapp zwei Stunden, an einem Golfplatz vorbei und an Heidschnucken auf eine kleine Anhöhe, auf der ein Findling liegt. 1935 bestatteten die Nazis mit großem Tamtam hier Löns zugeordnete Gebeine, die vorher auf einem französischen Militärfriedhof lagen. Ob es aber tatsächlich Löns war, der begraben wurde, ist bis heute unklar.

Bald werden hier trotzdem die Feierstunden zum 150. Geburtstag abgehalten. Heute sind nur zwei Touristen aus Franken da, die Löns nur kennen, weil es in Würzburg einen Hermann-Löns-Weg gibt, eigentlich aber gestern im Vogelpark waren und nur noch einen Nachmittag Wandern gehen wollten. Es riecht nach Nadelbäumen. Die Heide beginnt gerade zu blühen, wie ein lilagrünes Meer legt sie sich unter dem blauen Himmel ruhig vor einem hin. Unter den Füßen nur der sandige Boden, im Ohr nur der Gesang von Vögeln. Der Blick wird nicht satt.

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