Ermittlungen nach Film „Elternschule“: Verhalten wäre bei Eltern rechtswidrig

Manche Kinder schreien 14 Stunden am Tag, manche essen nur Chicken Nuggets. Eine Klinik bietet Hilfe an. Nach einer Kino-Doku ermittelt die Staatsanwaltschaft.

ein kleines Mädchen vor schwarzem Hintergrund hält sich beide Hände vors Gesicht

Kinder bitte nicht seelisch brechen, auch, wenn sie „schwierig“ sind Foto: Unsplash/ Caleb Woods

ESSEN/GELSENKIRCHEN dpa | Die umstrittene Filmdokumentation „Elternschule“ über Therapien in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen hat jetzt die Justiz auf den Plan gerufen. Nach der Anzeige eines Arztes leitete die Staatsanwaltschaft Essen Ermittlungen gegen die Einrichtung ein. Es gehe um den Verdacht der Misshandlung Schutzbefohlener, sagte ein Behördensprecher am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Es geht um die Handlungen, die in dem Film gezeigt werden“, erläuterte er. Die Klinik bezeichnete die Vorwürfe in einer Stellungnahme als „haltlos“. „Die Anzeige verstehen wir als Chance, die unberechtigten Vorwürfe gegen die Klinik juristisch zu entkräften“, teilte die Geschäftsführung mit.

Der erst vor knapp drei Wochen in den Kinos gestartete zweistündige Film handelt von der mehrwöchigen Behandlung von psychosomatisch erkrankten Klein- und Vorschulkindern etwa mit massiven Ess- und Schlafstörungen oder von Kindern, die 14 Stunden am Tag schreien. In die stationären Therapien in der Abteilung Pädiatrische Psychosomatik sind auch die Eltern stark eingebunden. Jährlich behandelt die Abteilung rund 150 Kinder und ihre Eltern.

Seit seinem Erscheinen im Oktober sorgt „Elternschule“ für kontroverse Debatten über die angewandten Therapiemethoden. Gezeigt wird etwa, wie Kinder mit Schlafstörungen allein in einem dunklen Schlafzimmer die Nacht verbringen – und irgendwann durchschlafen können. Ein Mädchen, das bislang nur Pommes und Chicken Nuggets aß, lernt mühsam, auch andere Speisen zu essen. Zu sehen sind auch verzweifelte Eltern mit großen Schwierigkeiten, ihr Kind allein zu lassen. Kritiker wie etwa der Kinderarzt und Buchautor Herbert Renz-Polster bemängeln, dass in der Einrichtung Kindern gewaltsam ein bestimmtes Verhalten aufgezwungen werde, sie etwa zum Essen gezwungen würden. Die Anzeige gegen die Klinik bezeichnete er am Dienstag als „mutig und richtig“.

Auch nach Ansicht des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) enthält der Film zahlreiche Szenen, in denen Kinder psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. „Die in den Film gezeigten Behandlungsmethoden können keinesfalls Vorbild für die Erziehung von Kindern in Deutschland sein“, sagte Kindheits- und Familienforscherin sowie DKSB-Vizepräsidentin Sabine Andresen laut einer Mitteilung. „Diese Praktiken führen zu einer Verunsicherung von Eltern im Umgang mit ihren Kindern.“ Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers stellte fest: „Verhalten sich Eltern gegenüber ihren Kindern so wie das Klinikpersonal in dem Film, dann ist das rechtswidrig.“

Viel Zuspruch vom Publikum

Die Klinik hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. „Unsere Arbeit ist absolut gewaltfrei. Die klinischen Methoden entsprechen dem aktuellen Forschungsstand und den Standards der medizinischen Wissenschaft“, schrieb Kurt-André Lion, ärztlicher Leiter der Abteilung, in einer vergangene Woche veröffentlichten Stellungnahme. Das verhaltenstherapeutische Programm basiere auf den Empfehlungen und Vorgaben von anerkannten Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. „Wir arbeiten wie auch andere psychosomatische Kliniken in Deutschland.“ Eine Kliniksprecherin betonte, dass der Film auch sehr viel Zuspruch vom Publikum erfahren habe.

Der Film von Jörg Adolph und Ralf Büchel soll auch im Fernsehen gezeigt werden. Wann und in welchem Programm, stehe noch nicht fest, sagte eine Sprecherin des Filmverleihers Zorro Film. An der Produktion war auch der Südwestrundfunk beteiligt.

Zahlreiche Kritiker haben sich im Internet zu Wort gemeldet. Darunter ist auch die Initiatorin einer Unterschriftensammlung gegen den Film. Bis Dienstag hatten rund 22 000 Menschen einen Aufruf unterzeichnet, in dem gefordert wird, den Film nicht mehr zu zeigen – weder im Kino, noch im Fernsehen noch im Internet.

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