Europäische Flüchtlingspolitik: SchülerInnen diskutieren mit Frontex

Schwere Vorwürfe haben Berliner SchülerInnen gegen Frontex-Chef Klaus Rösler. Und draußen vor der Tür wartet eine Flüchtlingskundgebung.

Unter Polizeischutz gelangt Klaus Rösler zu seiner Veranstaltung. Bild: imago/christian mang

BERLIN taz | Rund 150 Oberstufen-SchülerInnen mit ihren SozialkundelehrerInnen sitzen dicht gedrängt in der Schwarzkopf-Stiftung in Berlin-Mitte und in dem Raum wird die Luft langsam dick. Doch der Gast kommt und kommt nicht. Es gibt einen Zwischenfall, sagen die Veranstalter zur Entschuldigung und sind sichtlich nervös.

Klaus Rösler, Chef von Frontex, hat inzwischen rote Marmelade und Himbeersaft im Gesicht und auf dem grauen Jackett. Denn während in der Stiftung GymnasiastInnen unter dem Motto „junges Europa“ politisiert werden und an diesem Abend mehr von der Arbeit der EU-Grenzschutzagentur erfahren sollen, demonstrieren draußen vielleicht zwei- oder dreihundert Leute gegen die Abschottungspolitik der EU. „Mörder!“, rufen sie.

Drinnen ist das Publikum reinweiß, draußen finden sich alle Hautfarben und die Reden werden auf deutsch, französisch und englisch gehalten. Dann endlich geht die Veranstaltung los. Klaus Rösler hat sich umgezogen.

Ob ihm so etwas schon mal passiert wäre, fragt die Moderatorin Nicola Roth, zur Einstimmung. „Noch nie!“ Das letzte Mal als es Proteste bei einem öffentlichen Auftritt gab, habe eine vierspurige Straße ihn von den Demonstrierenden getrennt. Es scheint, also ob weder er noch die Berliner Polizei mit einem öffentlichen Wutausbruch gerechnet hatten. „Aber können Sie den Zorn zumindest verstehen?“ Wiederum verneint Rösler.

Kein Rettungsmandat

Er, also Frontex, seien doch vor allem an der Rettung von Flüchtlingen beteiligt. Bereits in diesem Jahr seien 25.000 Menschen an den EU-Außengrenzen gerettet worden. Bei 8.100 „Fällen“ hätte Frontex zu ihrer Rettung „beigetragen“.

Die Formulierung ist bewußt so offen gehalten, denn bislang hat Frontex kein Rettungsmandat. Und ein solches will der Chef der Operative auch gar nicht haben. „Warum immer wir ran sollen, wenn etwas schief läuft, verstehe ich sowieso nicht.“ Seine Aufgabe sei es, die irreguläre Einwanderung und die damit verbundene Grenzkriminalität einzudämmen.

Es folgt eine etwa 40 minütige Ausführung im geübten Beamtendeutsch über das Organigramm der Agentur. Immer wieder ist von Hilfe die Rede und davon, dass Menschen aufgegriffen würden, damit sie dem „Schutzsystem der EU zugeführt“ werden können. Also die, die tatsächlich schutzbedürftig seien.

Rösler nimmt das Wort Wirtschaftsflüchtling nicht in den Mund, er sagt nur knapp „Balkan“ um die rote Linie zwischen denen zu ziehen, denen seine Einsatzgruppen gewähren, einen Asylantrag zu stellen und denen, die abgewehrt werden. Immer wieder erwähnt er auch die Interviewteams, die die aufgegriffenen Flüchtlinge nach Routen und Schlepperorganisatoren befragten, bevor sie diese ins „Schutzsystem einschleusten“. Ja, diese gäben „freiwillig“ Auskunft.

Ausweichende Antworten

Das Publikum wird langsam unruhig, und auch die Moderatorin findet es an der Zeit, über die in der Öffentlichkeit bereits vielfach kritisierten Pushbacks zu sprechen. „2013 hat ihr Chef zugegeben, dass Menschen von Frontex immer wieder in Nicht-EU-Länder zurückgedrängt würden. Sie sind seit 2008 dabei. Haben Sie davon gewusst?“ Rösler weicht aus. „Ich kann nicht ausschließen, dass... inzwischen haben wir ja auch eine Grundrechtsbeauftragte...“.

Die Diskussion wird eröffnet und ein junger Mann platzt heraus: „Sie sind dafür verantwortlich, dass die Menschen nicht auf legalem Weg nach Europa kommen können, dass immer mehr Routen dicht gemacht werden und also ein Markt für Schleuser entsteht!“ Ein anderer, auch er mit roten Flecken am Hals, fragt: „Wegen Ihnen ertrinken Tausende! Können Sie nachts noch schlafen, das würde mich wirklich interessieren.“ Es kommen noch viele Vorwürfe.

Die SchülerInnen sind gut informiert, sie haben die notwendigen Zahlen in Sachen Triton und Mare Nostrum und Seenotrettung parat. Rösler antwortet geduldig und diszipliniert auf jede einzelne Wortmeldung. Er will das Gespräch, aber schließlich wirkt er müde und auch enttäuscht. Schmallippig sagt er: „Ich wollte ein paar Fakten mit Ihnen teilen, aber offenbar wollen Sie das nicht.“

Keine Einmischung in die Politik

Das Publikum beharrt: „Was sollen die Innenminister in der EU Ihrer Meinung nach beschließen? Wie kann das Massensterben verhindert werden?“ Jetzt hat der gebürtige Franke endgültig genug. Nein, er wolle sich nicht in die politische Diskussion einmischen, ja die Schleuser seien das Problem. Aber dass Asylanträge bereits in den Nicht-EU-Staaten angenommen würden, dafür würde er nicht plädieren.

Die von Frontex erstellten Risikoanalysen sind die Grundlage für die Beschlüsse der EU-Mitglieder für die EU-Grenzpolitik. Die Agentur nimmt also routinemäßig und direkt politischen Einfluss – aber eben nicht öffentlich. Diese Regelung ist politisch gewollt. Nur so kann die EU Frontex den schwarzen Peter zuschieben und Frontex mit dem Finger auf die EU zeigen. Dieser Abend führt dieses Spiel wunderbar vor.

Die Veranstaltung ist zu Ende, Rösler wird unter Polizeischutz aus dem Raum geführt, diesmal wird er nicht den Vordereingang benutzen. Die Gäste müssen bleiben. Die Demonstrierenden seien unberechenbar, sagen die Veranstalter auf Geheiß der Polizei, womöglich gefährlich. Man wartet geduldig. Es dauert noch eine halbe Stunde, dann wird die Gefahrenanalyse zurückgezogen. Zurück auf der Straße begrüßen die ausharrenden Demonstranten das Publikum freundlich: „Redet mit uns, wir können euch wirklich informieren.“

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