Evangelikale Christen in Bremen: „Frauen sind schwache Gefäße“

Katholische Zustände in evangelischen Kirchen: In Bremen dürfen Pastoren gegen Homosexualität wettern und Frauen den Talar verweigern. Möglich macht das die bundesweit liberalste Kirchenverfassung.

Auf der Suche nach verlorenen Seelen: Evangelikale beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg im vergangenen Jahr. Bild: dpa

BREMEN taz | „Okay? Ich hoffe, ihr habt mich verstanden. Lasst uns beten.“ Johannes Müller ist am Ende seiner Predigt angelangt. In lockerem Ton, um Entertainment bemüht, hat er der Bremer Matthäus-Gemeinde das richtige „Miteinander von Mann und Frau“ vermittelt. Nun also noch die gemeinsame Bitte an Gott: „Lehre uns, unsere Frauen dienend zu leiten.“

Dienend? Der Mann müsse die Frau „jesusmäßig führen und leiten“, hat Müller in seiner Predigt erklärt, seiner „Hauptverantwortung“ gerecht werden. Denn: „Adam war zuerst da.“

Was man andernorts nur von Katholiken und Freikirchlern kennt, darf in Bremen innerhalb der Amtskirche stattfinden: Frauenbashing. Wobei sich Müller, Jugendreferent der Gemeinde, noch um Nettigkeit bemüht: Frauen seien nun mal „die schwächeren Gefäße“, der Mann müsse entsprechend rücksichtsvoll sein. Und Machos, die sich auch noch auf die Bibel berufen, findet Müller „zum Kotzen“, wie er der Gemeinde im Gottesdienst mitteilt. Evangelikale Prediger lieben die unverblümte Ausdrucksweise. Sie sprechen emotional und bringen ihr zahlreiches Gegenüber – als kollektives „Du“ angesprochen – gern zum Lachen.

Allerdings auch zum Weinen. Zum „Heulen und Zähneklappern“, wie es in der Bibel heißt. Und dass die wörtlich zu nehmen ist, da ist sich Pastor Olaf Latzel, der auf der anderen Weser-Seite arbeitet, absolut sicher. „Der Teufel will uns ganz!“, hat er am Sonntag wieder in Martini gedonnert – von einer Kanzel herab, die für Frauen tabu ist. „Die Hölle hat eine große Kleiderkammer“, setzt Latzel nach, und als was sich „der Satan“ alles verkleidet, mit welchen Irrwegen er die Menschen vom allein gültigen christlichen Pfad abbringt, zählt er dann auch noch auf.

Es ist eine lange Liste: Faschisten, Humanisten, Moslems, Ufo-Gläubige, Hindus, Sozialisten oder auch Buddhisten stehen auf ihr. Homosexuelle diesmal nicht. Aber die hat Latzel auch schon oft genug als einen der Gründe gerannt, warum das göttliche Strafgericht ein strenges sein wird. Die mildeste Definition von Homosexualität heißt bei ihm „heilungsbedürftig“.

Plötzlich ist auf dem Podcast von Latzels Predigt, die stets zuverlässig im Netz steht, Stimmgewirr zu hören. Eine Frau, womöglich durch die Höllenpredigt aufgewühlt, ruft etwas, immer wieder, bis Latzel laut zu beten beginnt: „Lieber Herr Jesus, wir bitten für unsere Mitschwester.“ Auch durch mehrmalige Gebete, in denen Jesu „bitte seine Macht zeigen“ soll, beruhigt sich die Situation nicht. Der Pfarrer lässt daraufhin ein brausendes Lied anstimmen, das alles übertönt.

Latzel wird von der Bremer Evangelischen Kirche (BEK) bezahlt. Ausgewählt hat sie ihn nicht, das dürfen in Bremen die Gemeinden selbst. Für alle gilt die „Glaubens- und Gewissens- und Lehrfreiheit“. Entsprechend bunt ist das Bild der 61 BEK-Gemeinden. Einen Bischof gibt es nicht, nur einen „Schriftführer“ als geistlichen Leiter – ohne Visitations- oder Durchgriffsrecht.

Historisch hat das gute Gründe. Die verschiedenen evangelischen Konfessionen sind hier nicht immer geschwisterlich miteinander umgegangen. Die Reformierten vernagelten für 77 Jahre die Türen des lutherischen Doms. Das war im 16. und 17. Jahrhundert. Im 21. funktioniert die Ausgrenzung andersherum: Weil die Mehrheitskonfession den anderen keine Vorschriften mehr machen darf und will, dürfen die nach Herzenslust gegen Homosexualität wettern und Frauen diskriminieren.

Die Toleranz ist dabei allerdings zur Einbahnstraße geworden. Als die Friedensgemeinde dem Kresnik-Stück „Die zehn Gebote“ Asyl gewährte, weil es wegen nackter Darsteller aus dem Dom geflogen war, stellten sich Mitglieder unter anderem der Matthäus-Gemeinde als Mahnwache vor die Türen.

Ein Viertel der Bremer Gemeinden segnet gleichgeschlechtliche Paare, in anderen werden Frauen noch nicht einmal auf die Kanzel gelassen. 2008 sollte Sabine Kurth als Gastpastorin die Beerdigung eines US-amerikanischen Reederei-Mitarbeiters in Martini zelebrieren – und musste dafür ihren Talar ablegen und die Kanzel meiden. Zur Begründung verwies Latzel auf Timotheus 2,12: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre.“ Dabei war Martini sogar die erste deutsche Kirche, in der eine Frau predigte. 1904.

„Bis zu diesem Vorfall war mir nicht bewusst, dass es ein Problem sein kann, als Frau Pastorin zu sein“, sagt Kurth. Das sei „eine bis heute vorhandene Kränkung“ – zumal sie mehr Unterstützung von der Gesamtkirche erwartet habe. Offenbar scheue die BEK das Thema.

Fakt ist, dass sich das Kirchenparlament bis heute nicht mit dem Kanzelverbot auseinandergesetzt hat. Eine solche Debatte könnte mit Verweis auf die gemeindliche Glaubensfreiheit zwar blockiert werden – doch sie wurde noch nicht einmal beantragt. „Es gibt da ein gewisses Agreement, hoch strittige Dinge nicht zu thematisieren“, sagt Renke Brahms, der Schriftführer. Stattdessen führt er Hintergrundgespräche. Seit sechs Jahren.

Sieben der 61 Gemeinden der BEK gehören zur „Evangelischen Allianz“, die überwiegend freikirchliche Mitglieder hat und von ihrer Grundausrichtung her evangelikale Positionen vertritt. Doch in ihren jeweiligen Ausprägungen unterscheiden sich die evangelikalen BEK-Gemeinden erheblich. Manche schotten sich als religiöse Wagenburgen von ihrer Umgebung ab. Die Matthäus-Gemeinde hingegen, in einem sozialen Brennpunkt gelegen, hat sich durch ihr breit angelegtes Programm „Zuhause für Kinder“ Anerkennung von allen Seiten erworben. Die Leitung hat Jugendreferent Müller, die Unterstützer reichen vom Fußballverein Werder Bremen über die Deutsche Kammerphilharmonie bis zur grünen Sozialsenatorin.

Die Abwertung von Homosexualität und Frauen tritt angesichts des sozialen Engagements in den Hintergrund. Immerhin dürfen Frauen in Matthäus „ohne Wenn und Aber“ auf die Kanzel, wie Pastor Lothar Bublitz auf Nachfrage versichert – obwohl Adam als erster da war. Bei der gleichgeschlechtlichen Liebe wiederum unterscheidet man in Matthäus fein säuberlich zwischen Homosexualität (die der Römerbrief ablehne) und den Homosexuellen als Menschen, gegen die man nichts habe.

„Okay? Ich hoffe, ihr habt mich verstanden. Lasst uns beten.“

Mehr zum Thema Evangelikale lesen Sie in der taz.am.wochenende

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.