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Experte für Künstliche Intelligenz „KI ist ein Abbild der Welt“

Ein Gespräch mit Wolfgang Ertel über die Zukunft künstlicher Intelligenz, Klima, Gerechtigkeit und den Osten.

Die Belebung der Künstlichen Intelligenz: auch ein Meister*innenwerk? Foto: Axel Heimken dpa

taz lab | Wolfgang Ertel, Jahrgang 1959, forscht an der Hochschule Ravensburg-Weingarten zu den Themen künstliche Intelligenz und Servicerobotik. Eines seiner aktuellen Themen ist auch der Freizeit-­Rebound-Effekt über den er auch beim taz lab am 27. April sprechen wird.

taz lab: Herr Ertel, aktuell wird viel über künstliche Intelligenz gesprochen. Was kommt da noch auf uns zu?

Wolfgang Ertel: Ich glaube, dass wir in Zukunft noch weitere Durchbrüche erleben, die einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben werden. Im Beruf nimmt KI bereits viel Arbeit ab, aber auch im Privatleben werden uns intelligente Serviceroboter in den kommenden Jahren stark entlasten: Wäsche waschen, Staub saugen, Fenster putzen.

Dazu kommt der Freizeit-Rebound-Effekt, zu welchem ich aktuell forsche: Wenn KIs und Roboter uns immer mehr Arbeit abnehmen, was tun wir mit der gewonnenen Freizeit? Wir fliegen öfter in den Urlaub und konsumieren mehr. Das ist schädlich für die Umwelt und global gesehen nicht gerecht. Möglicherweise entwickeln die Modelle irgendwann sogar ein eigenes Bewusstsein – da müssen wir aufpassen, nicht die Kontrolle zu verlieren.

Auf dem taz lab geht es auch um Kategorien wie „Ost“ und „West“. Ein wichtiges Thema in der KI sind Biases, also Stereotype, die in den Trainingsdaten der KI-Modelle enthalten sind.

Ein ganz heißes Thema. Modelle wie ChatGPT enthalten natürlich Vorurteile, weil das Training auf menschengemachten Daten basiert. Diese beinhalten allerlei diskriminierende Vorurteile, Fehler und Lügen, wie wir Menschen sie eben produzieren. Eine KI ist im Prinzip ein Abbild der Welt, und diese ist weder gerecht noch widerspruchsfrei.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Es ist die Aufgabe der Politik, entsprechende Gesetze zu erlassen. Mit dem neuen AI Act ist die EU auf einem ganz guten Weg, KI zu regulieren. Da sind wir den USA und anderen Ländern voraus, auch wenn es im Bereich Biases noch klarerer Regeln bedarf. Ich bin allerdings skeptisch, ob es je eine neutrale KI geben wird, da die Systeme in der Hand von Großkonzernen sind. Wer weiß, in welche politische Richtung die uns steuern wollen, gerade vor großen Wahlen, wie die im November in den USA.

Bekannt geworden sind Sie 2021 als der Professor, der in die Bäume steigt. Wie kam es dazu?

An meiner Hochschule wurden auch in den Semesterferien alle Räume beheizt, und ich hatte jahrelang erfolglos über den Dienstweg versucht, eine Änderung zu bewirken. Aus Frust entstand die Baumaktion und ich bin in allen großen Medien gelandet. Das hat die damals grüne Ministerin in Stuttgart dazu gebracht, sich mit mir in Verbindung zu setzen und endlich die Heizungen in den Ferien abzuschalten. Daraus habe ich gelernt: Manchmal muss man aus dem System rausgehen, um etwas zu bewirken.

Wenn die KI ein Bild erstellt, verbraucht das so viel Strom, wie ein Handy ganz aufzuladen. Wer kann sich diese Technologien überhaupt leisten?

Es ist gigantisch, wie viel Rechenkapazität für das Training eines großen Deep-Learning-Netzes benötigt wird, Tausende von höchst leistungsfähigen Grafikkarten, die über Wochen im Einsatz sind. Wir müssen uns fragen: Ist das notwendig? Die Menschheit lebt doch auch ganz gut ohne ChatGPT.