Expertin über Gender und Klimawandel: „Bei Dürren sterben mehr Frauen“

Die Opfer des Klimawandels sind überwiegend weiblich, Männer verursachen ihn maßgeblich. Wieso das so ist, erklärt Linda Ederberg vom Verein GenderCC.

Zwei Frauen umarmen sich weinend, im Hintergrund die Trümmer ihres vom kalifornischen Waldbrand zerstörten Hauses

Kalifornische Trümmerfrauen: Mutter und Tochter vor den Resten ihres vom Waldbrand zerstörten Hauses Foto: AP

taz: Frau Ederberg, ist der Klimawandel geschlechtsneutral?

Linda Ederberg: Nein. Jeder Aspekt des Klimawandels ist genderrelevant. Wir müssen zum Beispiel hinschauen, von wem der Klimawandel verursacht wurde, wer von den Auswirkungen betroffen ist und wie sich Klimaschutzmaßnahmen auswirken.

Die durchschnittlichen Kohlendioxidemissionen von Männern sind weltweit deutlich höher als die von Frauen. Ist das Patriarchat schuld an der Klimakrise?

Klimawandel und Patriarchat gehen zumindest Hand in Hand. Die Forschung zeigt, dass der größere CO2-Fußabdruck von Männern unter anderem daher kommt, dass sie längere Strecken häufiger mit dem eigenen Auto fahren, während Frauen komplizierte Wegeketten in der Stadt mit dem Rad, zu Fuß oder dem öffentlichen Nahverkehr zurücklegen.

Mir geht es nicht darum, Stereotype zu bedienen – aber weltweit wird Erwerbsarbeit auf der einen und Pflege- und Sorgearbeit wie Kinderbetreuung auf der anderen Seite noch immer entlang von Gendergrenzen aufgeteilt. Patriarchal geprägte Handlungsmuster haben insofern direkte Auswirkungen aufs Klima.

Welche Handlungsmuster gibt es noch?

geb. 1979, Projektkoordinatorin beim internationalen Sekretariat von GenderCC-Women for Climate Justice e.V.

Frauen essen häufiger vegetarisch, weil sie mehr Wert auf gesundheits- und umweltbewusste Ernährung legen, das zeigen Studien des Umweltbundesamtes. Fleischkonsum ist hingegen häufig mit Konzepten von Männlichkeit verknüpft. Das begünstigt die Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Studien legen nahe: Je geschlechtergerechter eine Gesellschaft, desto kleiner der Co2-Fußabdruck pro Person.

Sie sagen, dass Gender auch beeinflusst, wer vom Klimawandel betroffen ist.

Bei Überschwemmungen, Dürren oder Hitzen sterben mehr Frauen als Männer – das war zum Beispiel beim Zyklon Sidre in Bangladesch 2007 der Fall, da waren 80 Prozent der Opfer Frauen und Mädchen. Das liegt auch an geschlechtsspezifischen Rollenmustern: Frauen sind häufiger zu Hause, kümmern sich um Angehörige und haben schlechteren Zugang zu Informationen wie Warnungen vor Katastrophen. Frauen mit Kindern oder Schwangere können schlechter fliehen.

Ist das ein Problem entlang geographischer Grenzen?

In Ländern des globalen Südens ist diese Verletzlichkeit von Frauen noch viel größer als hierzulande, aber auch beim Wirbelsturm Katrina in den USA waren Frauen stärker von den Folgen betroffen. Faktoren wie Armut und Alter sind dabei häufig mit Gender gekoppelt: Ältere alleinstehende Frauen leiden zum Beispiel stark unter Hitzewellen, weil sie im Gegensatz zu älteren Männern weniger häufig von Angehörigen versorgt werden.

Und auch sexualisierte Gewalt nimmt bei klimawandelbedingten Dürren zu. Mädchen, die oft für die Versorgung der Familie zuständig sind, müssen danach längere Wege zurücklegen, um Wasser zu holen und laufen stärker Gefahr, angegriffen zu werden.

Die UN-Klimarahmenkonvention hat das Thema Gender und Klima zum ersten Mal 2001 aufgegriffen, seit 2012 ist Gender ein fester Punkt auf der Tagesordnung der Klimakonferenz. 2017 haben die UN den Gender Action Plan für den Bereich Klima verabschiedet. Worum geht es da?

Es geht um fünf große Bereiche: Der erste ist Capacity Building, also zum Beispiel Wissensaustausch in den Institutionen der UN etwa durch Gender-Trainings. Beim zweiten geht es um Geschlechterparität in Führungspositionen bei den Klimakonferenzen.

Wie viele Frauen gehören den Delegationen im Schnitt an?

In Paris waren insgesamt nur etwa 20 Prozent Frauen unter den VerhandlerInnen, das ist ein katastrophal schlechter Schnitt. Insgesamt steigt die Anzahl der Frauen aber. Dass es in Paris eine Talfahrt gab, lag daran, dass die Konferenz so wichtig war, dass die Staaten die höchsten VerhandlerInnen geschickt haben, also StaatssekretärInnen und MinisterInnen, was eben immer noch deutlich mehr Männer sind. Das war total auffällig: Sobald man den Verhandlungsbereich betreten hat, waren da fast nur noch Männer mit Anzügen.

Was ist der dritte Punkt des Gender Action Plans?

Da geht es darum, dass sich die Beschlüsse der Klimarahmenkonvention auch in den Maßnahmen der übrigen UN-Organisationen wiederfinden.

Es geht bei den ganzen Maßnahmen also nur um die institutionelle Ebene?

Nein, bei den Punkten vier und fünf geht es um gendersensible Umsetzung und Instrumente und Monitoring . Alle Vertragsstaaten sollen Gender in die nationalen Pläne zur Umsetzung der Klimaziele integrieren, das muss also auch bundesweit passieren. Auch wenn es um nationale Gesetze geht, müssen Gender-ExpertInnen und Frauengruppen konsultiert werden, außerdem soll ein Bewusstsein für geschlechtsspezifische Diskriminierung geschaffen werden.

Wir als GenderCC kämpfen dabei für einen transformativen Ansatz: Nicht nur soll Ungleichheit nicht verstärkt werden, sondern die Maßnahmen sollen bestehende Strukturen aufbrechen und Diskriminierung verringern – hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft.

Zum Beispiel?

In Deutschland könnte das sein, dass sich Städte- und VerkehrsplanerInnen nicht am männlich codierten öffentlichen Raum orientieren, an der Autostadt, sondern die Wirkung der Maßnahmen auf die Geschlechter mitdenken. Frauen werden durch einen gut ausgebauten, sicheren und günstigen Nahverkehr mobiler. In Leipzig gibt es zum Beispiel ein Ticket für Menschen in der Elternzeit, wovon oft Frauen profitieren.

Wie ist das in anderen Bereichen, wie etwa der Energiepolitik?

Genderspezifische Zuständigkeiten für Sorge- oder Erwerbsarbeit haben zum Beispiel Auswirkungen auf die Höhe des Energieverbrauchs oder auf die Frage, wofür die Energie gebraucht wird. In Privathaushalten entscheiden tendenziell Männer über technische Energiefragen, obwohl Frauen, weil sie noch immer mehr Zeit für Haushaltstätigkeiten aufbringen müssen, eher für verhaltensbedingte Einsparungen verantwortlich sind. Dennoch ist die öffentliche wie private Energiewirtschaft eine Männerdomäne.

Eine feministische Energiepolitik will herrschende männlich dominierte Strukturen in der Energiewirtschaft aufbrechen und sich gleichberechtigt an Bedürfnissen und Lebensrealitäten von Frauen, alleinstehenden älteren Menschen und anderen sozial diskriminierten Gruppierungen ausrichten.

Obwohl Geschlechtergerechtigkeit für die Klimapolitik der Bundesrepublik ein verbindliches Ziel ist, geht es bisher wenn überhaupt um die Ebene der institutionellen Gleichstellung, nicht um klimapolitische Gesetzgebung. Was müsste passieren?

Bei der Erarbeitung des deutschen Maßnahmenprogramms 2030, der Teil des Klimaschutzplans 2050 ist, spielt Gender bisher keine Rolle. Dabei müsste systematisch überprüft werden, welche Genderdimension die vorgeschlagenen Maßnahmen haben. Aber wir sind als Beobachterinnen im Aktionsbündnis dabei und fordern eine differenzierte Wirkungsanalyse auf die Gleichstellung. Wenn nicht berücksichtigt wird, welche Relevanz die Maßnahme auf die unterschiedliche Lebensrealität von Frauen und Männern hat, läuft sie Gefahr, Ungleichheiten zu verstärken.

Bringt es was, wenn Sie in diesen Prozessen nur Beobachterin sind?

Wir haben zum Beispiel gemeinsam mit vielen anderen Nichtregierungsorganisationen ein Forderungspapier erarbeitet, in dem die notwendigen Maßnahmen in allen klimapolitischen Handlungsfeldern beschrieben werden, damit Deutschland sein Klimaziel 2030 erreicht. Darin enthalten ist auch ein Kapitel zu Geschlechtergerechtigkeit.

Das Wissen ist da – es muss nur berücksichtigt werden. Sogar unter den Umweltverbänden gelten wir mit der Genderperspektive auf Klima aber immer noch als bunte Vögel. Der Zusammenhang von Geschlecht und Klima ist im Mainstream noch nicht angekommen.

Welche Rolle wird Gender bei der Klimakonferenz spielen?

Im Pariser Klimaabkommen wird Gender in der Präambel erwähnt. Wir fordern, dass es bei der Verabschiedung des Regelwerks, um die es jetzt geht, umfassend berücksichtigt wird. Wir sind Teil der Beobachtungsgruppe Women und Gender, in der wir unsere konkreten Forderungen vor Ort erarbeiten. Wir werden jeden Morgen die Lobbystrategie für den Tag festlegen und überlegen, wie und wo wir uns einbringen können.

Außerdem werden wir Trainings mit AktivistInnen aus dem globalen Süden abhalten und planen öffentlichkeitswirksame Aktionen wie spontane Demonstrationen, um auf unsere Ziele aufmerksam zu machen. Wir wollen zeigen, dass es ohne Gendergerechtigkeit keine Klimagerechtigkeit geben kann.

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