FN-Hochburg Hénin-Beaumont: An Frankreichs Rand

In der der Merzweckhalle einer verarmten Kohlestadt wird Marine Le Pen am Abend ihr Wahlergebnis kommentieren. Der Ort ist eine Hochburg der Partei.

Eine ältere Frau mit Stock betritt durch eine Glastür ein Gebäude. Jemand öffnet ihr die Tür. Daneben steht ein Polizist, der das Gebäude bewacht

Wahllokal in Hénin-Beaumont. Hier hat auch Marine Le Pen ihre Stimme abgegeben Foto: dpa

HÉNIN-BEAUMONT taz | Das aller Voraussicht nach bislang beste Ergebnis des rechtsextremen Front National bei einer Präsidentschaftswahl wird die Kandidatin Marine Le Pen am Tag der Wahl nicht in Paris kommentieren. Am Abend wird sie in der Mehrzweckhalle „Francois Mitterrand“ von Hénin-Beaumont vor ihre Parteifreunde treten, einer verarmten Kohlestadt im Rostgürtel an der Grenze zu Belgien, 26.000 Einwohner, Kernland der extremen Rechten in Frankreich. Über 500 Journalisten sind am Sonntagmorgen die rund 200 Kilometer von Paris dorthin gefahren, um Le Pen – die mitnichten je in der todöden Provinzstadt gelebt hat – beim Urnengang in ihrem Wahlkreis zuzusehen.

Von den 15 derzeit rechtsextrem regierten Städten in Frankreich sind 12 in der Hand des Front National. Hénin-Beaumont aber ist die einzige, in der die Partei schon im ersten Wahlgang im März 2014 die absolute Mehrheit an sich reißen konnte.

Jahrzehntelang hatte der FN-Kandidat Steeve Briois darauf hingearbeitet. Der heute 45-jährige, schwule EU-Abgeordnete stammt aus Hénin-Beaumont, einer Partnerstadt von Herne in Nordrhein-Westfalen. In seiner Jugend war er ein offen rechtsextremer Fan von Jean Marie Le Pen, forderte die Todesstrafe. Schon 1988 trat Briois, gerade 16 Jahre alt, für die Gemeinderatswahlen an, 2002 erlangte er schließlich sein erstes kommunales Mandat. Seine Arbeit als Vertreter der Telefonfirma Numericable spielte in seinem Leben nur eine Nebenrolle – seine wahre Berufung sah er in der Politik.

Früh war Briois Jean Marie Le Pen aufgefallen. Der förderte ihn nach Kräften, 2007 zog Briois in den Parteivorstand ein, 2011 wurde er Generalsekretär, 2014 FN-Vizepräsident und Nummer zwei der FN-Liste für die Europawahl. Den Bruch zwischen Jean Marie Le Pen und seiner Tochter Marine überstand Briois unbeschadet: Als die Tochter 2015 den Vater aus der Partei warf, blieb Briois im Inner Circle der Macht.

Viel Arbeitslosigkeit

130 Jahre lang wurde in Hénin-Beaumont Kohle gefördert und brachte der Stadt einen gewissen Wohlstand. Den bezahlte sie mit dem bis dahin größten Grubenunglück der Welt: Über 1.000 französische Bergleute starben am 10. März 1906. Als Briois 1972 geboren wurde, war die letzte Kohlemine freilich schon zwei Jahre dicht.

Bis heute erholte die Region sich davon nicht. Zwar konnte die Stadtverwaltung den irischen Tiefkühlhänchnen-Konzern Moy Pak nach Henin und mit Subventionen vorübergehend auch Samsonite anlocken. Gleichwohl war die Arbeitslosigkeit hier seit Beginn des Jahrtausends fast durchgängig doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Heute sind es noch 15,5 Prozent, gegenüber 10 Prozent in ganz Frankreich.

Briois gab der Globalisierung, den Eliten und den Immigranten die Schuld für die schlechte Lage der Menschen in Hénin-Beaumont. Hausbesuche, Bürgerversammlungen, Wahlkreisarbeit – jahrzehntelang war Briois der FN-Mann an der Basis seiner Heimatstadt, sagen Beobachter. Die lebenslange Präsenz des Politikers und der wirtschaftliche Niedergang der Stadt allein erklären aber nicht, warum Hénin-Beaumont die frankreichweit meisten rechtsextremen Wähler hat.

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Am 23. 4. ist die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Abgestimmt wird auch über die Zukunft der EU: Die Umfragewerte des rechtsextremen Front National sind höher als bei allen früheren Wahlen.

Die taz ist mit zwei Reporterteams in Frankreich unterwegs: In der Provinz und in Paris erforschen sie, was die Menschen umtreibt, welche Zukunft sie sich für ihr Land wünschen und wer dafür die Verantwortung tragen soll.

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Den wohl entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat die politische Konkurrenz. Die Sozialisten, und zwar in Person des einstigen Bürgermeisters Gérard Dalongeville. Im August 2013 verurteilte das Gericht von Bethune, nahe Calais, Dalongeville zu vier Jahren Haft und einer Geldstrafe von 50.000 Euro. Insgesamt wurden Urteile gegen 21 Angeklagte gesprochen. Die Richter sahen als erwiesen an, dass sie mittels falscher Rechnungen insgesamt vier Millionen Euro aus den Kassen der Kleinstadt an ein Firmengeflecht verschoben hatten, ohne das entsprechende Gegenleistungen erbracht worden wären.

Die Schulden von Hénin-Beaumont hatte Dalongeville dadurch von 8 auf fast 13 Millionen Euro getrieben. Die Kommune kam unter Rechtsaufsicht, einen eigenen Haushalt konnte sie vorübergehend nicht mehr aufstellen.

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Dem FN kam das wie bestellt. Die Anwürfe der Rechtsextremen gegen die politische Klasse – in Hénin-Beaumont lieferte Dalongeville für sie gleichsam den Beweis. Die Sozialisten schlossen Dalongeville aus der Partei aus, den Schaden hatten sie trotzdem: Im März 2014 stimmten 50,3 Prozent der Wähler für den FN-Kandidaten Steeve Briois. Als erstes ließ er die EU-Fahnen am Rathaus abhängen.

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