Fahndung in Berlin: Polizei setzt auf Handys

Die Berliner Polizei fragte innerhalb von drei Jahren 6,6 Millionen Handydaten ab und will damit einen guten Fang gemacht haben. Die Opposition hält davon wenig.

Hier hat die Ortung versagt: Handys im Fundbüro. Bild: dapd

BERLIN taz | Es ist eine beeindruckende Zahl: 6,6 Millionen Handydaten hat die Polizei zwischen 2009 und Juli 2012 zu Ermittlungszwecken von Providern abgefragt. Das gab Innensenator Frank Henkel (CDU) am Montag im Innenausschuss bekannt.

Henkel sprach von einem hochwertigen Ermittlungsinstrument, um gefährliche Straftaten aufzuklären. Piraten und Linkspartei forderten hingegen, von der Maßnahme grundsätzlichen keinen Gebrauch mehr zu machen: Es handle sich um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte. Die Grünen beschränkten sich auf die Forderung, bei Demonstrationen keine Funkzellenabfragen vorzunehmen.

Aufgeschreckt worden war die Öffentlichkeit nach den Anti-Naziprotesten im Februar 2011 in Dresden. Monate später war bekannt geworden, dass die sächsischen Ermittlungsbehörden hunderttausende Datensätze von Demonstranten, Journalisten und Anwohnern erhoben hatten. Die Vermutung lag nahe, dass andere Bundesländer ähnlich verfahren. Die Berliner Behörden haben dies in Bezug auf Demonstrationen strikt dementiert.

In Berlin brennen wieder mehr Autos: Im August verzeichnete die Polizei 34 angezündete Fahrzeuge, 16 weitere wurden durch Flammen mitbeschädigt. Zu Bränden in der Nacht zu Montag bekannten sich Kriegsgegner.

Die Polizei berichtet von drei Autos der Deutschen Bahn, die in der Lichtenberger Straße in Friedrichshain angezündet wurden. Durch die Flammen wurden vier weitere Fahrzeuge beschädigt. Zudem habe ein Lkw auf dem Gelände des Technischen Hilfswerks (THW) in der Haarlemer Straße (Neukölln) gebrannt.

"Wir haben Orte zivilmilitärischer Zusammenarbeit angegriffen", heißt es in einem im Internet veröffentlichten Bekennerschreiben, unterzeichnet nur mit "Antimilitarist_innen". So transportiere die Bahn "Kriegsgerüst" für die Bundeswehr, das THW unterstütze die Armee logistisch. Geschildert werden auch Farbbeutel- und Steinwürfe auf das Büro einer Energietechnikfirma in Neukölln, die ebenso mit der Bundeswehr zusammenarbeiten soll, und ein Institut der FU Berlin, das zu Sicherheitspolitik forscht.

Insgesamt wurden in diesem Jahr in Berlin bisher 190 Autos angezündet, 70 weitere gerieten in Mitleidenschaft. Kein Vergleich zum Vorjahr: Da brannten 537 Autos. Die wenigsten Brandstiftungen gelten als politisch, in diesem Jahr geht die Polizei von 33 aus. KO

Im Januar 2012 bekannte die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers im Innenschuss indes: 410 Funkzellenabfragen habe die Polizei allein seit 2008 gestellt, fast alle, um Autobrandstiftern auf die Spur zu kommen. Dabei seien 4,2 Millionen Verbindungsdatensätze von Providern abgefragt worden. Zur Erinnerung: 2011 brannten in Berlin 537 Autos, in den Vorjahren waren es 300 und 476. Das Ergebnis war allerdings mehr als mager: Kein einziger Tatverdächtiger wurde aufgrund der Funkzellenabfragen ermittelt.

Die in Paragraf 100 der Strafprozessordnung geregelte sogenannte nichtindividualisierte Funkzellenabfrage ist an sehr enge Voraussetzungen geknüpft. Funkzellenabfragen dürfen nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung erfolgen und unterliegen dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

5.383 Inhaber von Telefonanschlüssen ermittelt

Auf Auftrag der Opposition komplettierte Henkel am Montag die im Zeitraum von 2009 bis Mitte 2012 vorgenommenen Funkzellenabfragen. Als Grund nannte Henkel 302 Straftaten: 15 Mord- oder Totschlagsdelikte, 215 „qualifizierte“ Bandendelikte, vier Vergewaltigungen, ein schwerer Landfriedensbruch, 31 Raub- und Erpressungstaten, 33 Branddelikte und drei Betäubungsdelikte.

Von den 6,6 Millionen zusammengetragenen Verbindungsdaten wurde dem Innensenator zufolge in 5.383 Fällen der Inhaber des Telefonanschlusses ermittelt. In 116 Fällen seien Verfahren mit neuen Ermittlungsinhalten eingeleitet worden. Um was es dabei geht, verriet Henkel nicht.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Otto Dix wollte die Auswertung nicht kommentieren. Er hatte die Bekanntgabe der Abschöpfung der 4,2 Millionen Datensätze im Januar zum Anlass genommen, zu überprüfen, ob sich Polizei und Staatsanwaltschaft bei Funkzellenabfragen an die gesetzlichen Vorgaben halten. Den Bericht wird Dix laut seiner Sprecherin in Kürze vorlegen. Er sei schon erschrocken über das Ausmaß, hatte Dix im Januar zur taz gesagt.

Sachsen hat nach dem Skandal von Dresden eine Bundesratsinitiative gestartet, in der die Voraussetzungen für Funkzellenabfragen konkretisiert werden sollen. „Wir unterstützen die Dresdner Initiative“, sagte Henkel. Diese liegt in den Landergremien derzeit aber „auf Eis“.

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