Film „In Zeiten des abnehmenden Lichts“: „Haben wir alles verdorben?“

Matti Geschonneck über seine Verfilmung von Eugen Ruges Roman zum Ende der DDR. Und über seine Vertrautheit mit dessen Figuren.

Eine Gruppe Menschen steht hinter einem zerbrochenen Tisch.

Tolles Drehbuch, tolle Schauspieler, gelungene Bestsellerverfilmung Foto: Hannes Hubach/X-Verleih

taz: Herr Geschonneck, gibt es so etwas wie einen spezifischen Humor aus der alten DDR?

Matti Geschonneck: Ich erinnere mich, dass täglich ein neuer Witz kursierte: „Keine Kohle. Keine Energie. Kobra, übernehmen sie!“ Auch Lenin blieb nicht verschont: „Wladimir. So ich dir.“ Wolfgang Kohlhaase, der jetzt das Drehbuch schrieb, hat einen sehr eigenen Humor, der sehr fein ist, genau beobachtet, trocken unauffällig. Der sich aber auch schon aus der Figurenkonstellation heraus ergibt. Ich bin mit Kohlhaases Filmen aufgewachsen, mochte sein Buch „Silvester mit Balzac“ sehr. Auch Alexander Osangs Humor, dessen Roman „Die Nachrichten“ ich 2004 verfilmte, hat viel mit der DDR zu tun. Oder Torsten Schulz, dessen Roman „Boxhagener Platz“ ich ja auch verfilmte. Dessen Witz bodenständiger ist. Alle nebenbei bemerkt Berliner.

In Ihrer Verfilmung von Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ spielt Humor eine große Rolle. Bruno Ganz verkörpert den verdienten Genossen Powileit. Der feiert seinen 90. Geburtstag im Frühherbst 1989 in einer Villa in Ostberlin, mit Familie und Funktionären. Die Krisenstimmung hat auch den Altstalinisten Powileit erreicht. Er raunt vielsagende Sätze wie: „Ich sehe doch, wo’s langgeht: nämlich abwärts.“ Oder: „Das Problem ist das Problem … Das Problem sind die Tschows“, also Gorbatschow und Perestroika.

Ja, ja. „Tschow, alles Tschows. Das Problem sind die Tschows …“ Ist das von Kohlhaase oder war das schon in Ruges Roman drin? Ich las Ruges Roman 2012 und habe ihn auf Rügen besucht. Mich interessierten der Roman, vor allem aber seine Figuren sehr, mit ihren Lebensäußerungen in einer, aus heutiger Sicht, fremdartigen Welt, die gleich vergangen sein wird. Als dann Kohlhaases Drehbuch entstand, habe ich mich natürlich hauptsächlich auf dieses bezogen.

geb. 1952 in Potsdam. Regiestudium in Moskau. Weigerte sich, sich von Biermann zu distanzieren. 1978 Übersiedlung in die BRD. Drehte über 30 Spielfilme für TV und Kino (u. a. „Boxhagener Platz“). Für „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ Zusammenarbeit mit Drehbuchlegende Wolfgang Kohlhaase.

Ruges Roman hat viele Schauplätze, Zeit- und Handlungsebenen. Ihre Verfilmung setzt hingegen radikal um den Geburtstag des 90-jährigen Genossen Powileit an. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Anfang 2013 zeigte Kohlhaase auf einer Dreiviertelseite eine Ideenskizze, wie der Film aussehen könnte. Da stand die Geburtstagsfeier im Zentrum, um die herum könnte man die Geschichte erzählen. Die Idee überzeugte.

In Ihrem um das Familienfest angelegten Drama zum Ende der DDR begegnen sich vier Generationen. Stalinismusopfer, Funktionäre, „normale“ DDR-Deutsche, alle in einem Raum. Was hat Sie an dem Stoff so gereizt, daraus einen großen Kinofilm zu machen?

Er erzählt vorrangig ja über eine kommunistisch-bürgerliche Familie. Dahinter scheinen die großen Themen durch, in einem Monat wird die Berliner Mauer fallen. Für mich ist als Erzählgerüst ganz wesentlich die tragisch-schöne Ehegeschichte der Umnitzers. Die Familiengeschichte der „Powileits“ und „Umnitzers“ ist an die tatsächliche Biografie von Ruges Familie angelehnt. Diese war sehr durch ihre Beziehung zur Sowjetunion bestimmt. Während der Zeit des Nationalsozialismus emigrierten deutsche Kommunisten, wie die Powileits, nach Mexiko. Andere, wie Kurt Umnitzer und sein Bruder, fanden sich in Arbeitslagern wieder, weitab im Ural. Durch wohlüberlegte Auslassungen im Drehbuch galt es zu erzählen. Der Film stellt eher Fragen. Man kann schwer den Terror des Stalinismus im Umgang mit den eigenen Leuten erklären.

Jede Familie hat ihre Abgründe. Bruno Ganz als 90-jähriger Genosse Powileit hält die Söhne seiner langjährigen (von Hildegard Schmahl gespielten) Ehefrau Charlotte für Flaschen. Der eine verreckte im Gulag, der andere wurde nach seiner Rehabilitierung Geschichtsprofessor in Ostberlin. Ist Altgenosse Powileit ein Paradebeispiel für eine jahrzehntelange ideologische Demenz, die nun in die biologische übergeht?

Trotz seiner altersbedingten Demenz hat Powileit geradezu seherische Momente. Er sieht oder spürt, wohin es mit der DDR geht. Sie zitierten es: „nämlich abwärts“. In knappen Worten kommentiert er treffend die Lage: „Jetzt sind wir wieder nicht vorbereitet.“ Wo andere lavieren, trifft der von Bruno Ganz unberechenbar ambivalent wie sarkastisch dargestellte, hochdekorierte Altstalinist Powileit unvermittelt zielsicher den Nagel auf den Kopf.

Viele kommunistische Opfer des Stalinismus standen dennoch felsenfest zur DDR. Wie erklären Sie sich das, oder auch den Typus des linientreuen Ehepaars Powileit, Charlotte Powileit verlor ja sogar einen ihrer Söhne im Gulag?

Das ist aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen, für mich als Jugendlicher damals ebenfalls nicht. Das hat mit verordneter und selbst auferlegter Parteidisziplin zu tun, aber natürlich mit dem Glauben an eine große Idee. Loyalität zur Sache. Vielen der Generation nach ihnen, der Kurt Umnitzer angehört und den Sylvester Groth spielt, wurde diese Treue zum Verhängnis.

An einer Stelle lassen Sie Kurt Umnitzer sagen: „Wo hätte ich nach dem Lager auch hingehen sollen?“

Ja, er kehrte erst in den 50er Jahren aus sowjetischer Lagerhaft zurück, nach Deutschland, in eine DDR, die 1949 gegründet wurde. Wörtlich: „Wohin sonst?“ Großartig, wie Sylvester Groth das spielt! Ich habe „Gelobtes Land“ von Wolfgang Ruge, Eugen Ruges Vater und Vorbild für die Figur Kurt, über dessen Lagerzeit gelesen. Unvorstellbar, wie er das überlebt hat. Durch Wolf Biermann habe ich während meines Studiums in der Sowjetunion Leute kennengelernt, die als Kommunisten für die Komintern gearbeitet hatten und dann elf Jahre im Gulag waren.

„Wir verlieren die Zukunft. Wer die Kinder verliert, verliert die Zukunft“, sagt die von Evgenia Dodina gespielte Irina Umnitzer in einer Szene Ihres Kammerspiels, als sie, die ehemalige sowjetische Rotarmistin, erfährt, dass ihr Sohn Sascha, der Enkel von Genosse Powileits Frau Charlotte, gerade Republikflucht begangen hat.

Im Voice-over sagt Kurt über der Szene am Schluss: „Haben wir alles verdorben?“ Davor heißt es: „Wir hatten die Fähigkeit, zu glauben. Wir glaubten, dass das, was wir wollten, auch so werden würde, wie wir es wollten.“ Dann setzt der Walzer von Chatschaturjan ein. Kurts Liebe zu Irina, der ehemaligen jungen Soldatin der Roten Armee, die in der Realität Eugen Ruges Mutter war, und ihr Ende, wie gesagt, für mich gleichermaßen schön und tragisch, bestimmt auch die Tonalität des Films, Melancholie. Mir erschienen die Figuren vertraut, ich kannte solche Leute. Ich konnte diesen Charakteren, trotz aller Widersprüchlichkeit, mit Wärme begegnen. Ich bin ja in der DDR groß geworden, die ich 1978, in Folge der Biermann-Ausbürgerung, verließ. Charakter und Biografie Powileits erinnerten mich sehr an meinen Vater. Und diese Melancholie verwechsle ich nicht mit Sentimentalität oder Verklärung, was auch mein eigenes Verhältnis zur Sowjetunion betrifft.

Ein älterer Mann und eine ältere Frau in einer Küche. Sie hält ein Glas in der Hand.

Bruno Ganz und Hildegard Schmahl Foto: Hannes Hubach/X-Verleih

Wo Sie zeitweise auch lebten.

Ich habe von 1974 bis 78 am Eisenstein-Institut in Moskau studiert. Ich war beeindruckt von der Schönheit und Kreativität dieses Landes, dem Reichtum seiner Kultur. Gleichsam bewusst sind mir seine Zerrissenheit und Gewalt. Russland hatte immer eine große Bedeutung für uns. Wir wissen sehr wenig über dieses Land.

Russland ist in Ihrem Film durch Ihr Personal sehr präsent. Eine russische Frau wie Irina Umnitzer in Ostberlin hatte es um 1989 sicher nicht leicht?

Irina Umnitzer ist wohl nie in der ihr fremden Kultur angekommen, zerbrach gewiss an ihrem Heimweh. Eben ein gebrochenes Herz, dann der Alkohol.

Da gibt es aber auch lustige Szenen, wie sie betrunken im roten Lada ohne Licht nachts durch Ostberlin kurvt. Und da beschwert sich anscheinend auch niemand, in der sonst so ordentlichen DDR?

Ja, vor allem, weil sie es ausmacht, bevor sie losfährt. Ich denke auch an die Szene, in der der Zweite Sekretär der Bezirksleitung ergriffen staatstragend auftritt: „Ich höre keinem Menschen mit so viel Respekt zu wie einer russischen Mutter.“ Da treffen sich schmerzlicher Ernst und bittere Komik.

„In Zeiten des abnehmenden Lichts“. Regie: Matti Geschonneck, Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase. Mit Bruno Ganz, Hildegard Schmahl, Sylvester Groth. Deutschland 2017, 101 Minuten

Sehr spezifisch DDR wirken auch Ausstattung und Schauplätze des Films. Ob die Villa Powileit oder Saschas Bruchbude im Hinterhof des Altbaus, sie sehen tatsächlich nach Ostberlin 1989 aus. Wo finden Sie solche originalgetreu wirkenden Schauplätze, in Berlin-Prenzlauer Berg heute wohl nicht mehr?

Doch. Es sind die letzten Inseln. Die Innen- und Hinterhofszenen zu Saschas Wohnung haben wir in Prenzlauer Berg gedreht. In der Schwedter Straße. Ich vermute, gleich danach wurde dort saniert. Und die Außenaufnahmen in der Linienstraße direkt hinter der Volksbühne. Die Bilder zu Powileits Villa außen sind nahe dem Bahnhof Griebnitzsee entstanden, innen ist es Frohnau. Eine alte bürgerliche Villa, mit dem Nazitisch … Und das muss ich jetzt noch unbedingt loswerden: Es war ein Geschenk, mit diesen großartigen Schauspielern arbeiten zu können. Ich denke, man merkt der Stimmung des Films an, dass sie mit der Geschichte und diesen Figuren etwas anzufangen wussten. Das hat neben Professionalität auch mit Respekt zu tun, vor diesen gelebten Leben.

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