Film über Wunder „Die Erscheinung“: Annäherung zweier verlorener Seelen

Unentschiedenheit ist seine Stärke. Xavier Giannolis Film „Die Erscheinung“ erkundet das Übernatürliche zwischen Glaubensnot und Spektakel.

Eine junge Frau im Hoody blickt verzückt himmelwärts.

Kann, so scheint’s, kein Wässerchen trüben: Galatéa Bellugi als Anna in „Die Erscheinung“ Foto: Filmperlen

Jacques Mayano (Vincent Lindon) klingt der Krieg in den Ohren. Er ist Reporter, er musste erleben, wie ein Freund und Kollege neben ihm starb. Mit Mühe findet er in sein ziviles Leben zurück, der wiederkehrende Schmerz im Ohr, in das er immer wieder etwas Beruhigendes träufelt, macht die Arbeit beinahe unmöglich. Da ereilt ihn ein unwahrscheinlicher Auftrag. Der Vatikan ruft ihn an. Mayano fährt nach Rom, ein hochrangiger Funktionär der katholischen Kirche, erklärt ihm, worum es geht.

Einer jungen Frau in Südfrankreich ist die Jungfrau Maria erschienen. In hellem Licht, sie sprach auch zu ihr. Erst hat sie keinem davon erzählt, dann Vater Borrodine vom Kloster im Ort. Nach und nach sickert die frohe Botschaft von der Erscheinung hinaus in die Welt. Und die Welt pilgert nun in die Kleinstadt. Eine Marienstatue, ganz in Weiß, steht am Hügel, an dem es geschah, falls es geschah. Die Menschen strömen herbei, Andenkenläden sind aus dem Boden geschossen. Und sofort gab es Streit. Der Kirchenmann ist störrisch, spricht nicht mehr mit Rom und der Kirche. Er glaubt und will glauben, dass geschehen ist, was die junge Frau, Anna Perron (Galatéa Bellugi), da erzählt.

Der Vatikan allerdings ist in Wunderdingen notorisch sehr skeptisch. Viel zu oft erscheint irgendwem irgendwer. Zu allem Überfluss jungen Frauen, Jeanne d’Arc, Bernadette Soubirous – und jetzt das. Wunder, die die Kirche nicht kontrolliert, gefährden ihre Autorität. Wer weiß, welche Kräfte sie wirken. Und Betrügereien, die sie dahinter erst einmal wittert, will die Kirche nicht unterstützen. Die Zuerkennung der Übernatürlichkeit (so der Terminus technicus) ist darum eine sehr rare Sache. Fátima, Lourdes, ein gutes Dutzend hat der Vatikan im Lauf der Jahrhunderte akzeptiert.

Medugorje in der Herzegowina, ein anderer berühmter Fall, bei dem Maria gleich sechs „Sehern“ (allesamt Kinder) mehrfach erschien, wird seit den achtziger Jahren ein ums andere Mal überprüft. Offiziell lehnt die Kirche die Sache nach wie vor ab. Gläubigen ist das Pilgern an den Ort untersagt. Gepilgert wird doch. Franziskus hat unlängst sibyllinisch erklärt, Gott wirke Wunder in Medugorje, aber den „Sehern“ zum Trotz. Es ist ein Dilemma. Das Wunder der Jungfrauengeburt ist nun mal nach kirchlicher Lehre geschehen, also prinzipiell möglich. Ein wirkliches neues Wunder verpassen will die Kirche schließlich auch wieder nicht.

„Die Erscheinung“. Regie: Xavier Giannoli. Mit Vincent Lindon, Galatéa Bellugi u. a. Frankreich 2018, 137 Min.

Jacques Mayano ist kein gläubiger Mann. Nicht zuletzt darum wird er vom Vatikan engagiert und zur Untersuchung dieses Falls in die Provinz in Südfrankreich geschickt. Vor Ort ist bereits eine Truppe kirchlicher Ermittler, eine Riege von Bedenkenträgern, eine Frau, viele Männer, alle beißen sie beim Sturkopf Père Borrodine und bei Anna Perron, die die Sanftmut selbst scheint, bislang auf Granit. Auch Jacques wird nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Mit seinem Blick wird der Zuschauer durch das bunte Treiben an der Stätte des mutmaßlichen Wunders geführt. Kranke vor Ort wollen unbedingt glauben. Das Heilige und das Profane stoßen hart aufeinander. Kein Wässerchen trüben kann, wie es scheint, Anna. Dann knallt einem ein harter Schnitt eine Schneekugel mit Anna-Perron-Antlitz vor den Latz. Andererseits liefert der Soundtrack verlässlich aus heiterem Himmel sakrale Musik.

Blutgruppe AB

Wie findet man heraus, ob ein Wunder real ist? Eine Reliquie, die es auch gibt, ein Tuch mit dem Blut Jesu Christi, wird mit den Mitteln der Naturwissenschaft untersucht. Aus Kirchensicht handelt es sich um eine Irregularität: ein Zeichen der Gewalt, das zu Marienerscheinungen nicht passt – und bisher in deren Rahmen nicht vorkam. Ergebnis der nicht datierbaren Probe: Blutgruppe AB, das käme einerseits hin, das ist die Blutgruppe, die man auch beim Grabtuch von Turin angeblich fand. (Bei Wikipedia nachschlagen: Es ist allerdings recht kompliziert.)

Andererseits ist da ein Mann namens Anton Meyer (Anatole Taubman), Verkörperung des Windigen, das verlässlich auftaucht, wo Gott oder der Teufel eine Lücke in den Gang des Alltäglichen reißt. Taubman scharwenzelt um Anna und Père Borrodine herum, organisiert den Andenkenkommerz, bittet Anna, industriegefertigte Ma­rien­statuen zu segnen, kümmert sich um die Livestream-Übertragung und Gottesdienste parallel auf der Welt. Jacques findet alsbald heraus, dass auch Meyer die seltene Blutgruppe AB hat. Die Reliquie also hat einen gewissen Hautgout.

Aber das Wunder selbst? Und Anna? Im Kern von „L’apparition“ steht weniger die Erscheinung der Jungfrau Maria als die Begegnung von Jacques Mayano und (der Jungfrau) Anna Perron. Darum herum veranstaltet Regisseur und Drehbuchautor Xavier Giannoli allerlei Plot- und Wunder-Zinnober, mit Vorausdeutungen, Geheimnistuerei und Puzzleteilen, die sich erst nach und nach zu einem Bild fügen.

Nicht alle Wege führen nach Rom

Es werden mehrere, vielleicht auch ein paar zu viele Fährten gelegt, denen Mayano und die Geschichte mit detektivischem Eifer folgen. Man muss aber zugeben, dass das in Sachen Spannungsdramaturgie durchaus funktioniert. Man langweilt sich beinahe zweieinhalb Stunden lang eher nicht. Und nicht alle Wege führen nach Rom, ein entscheidender zum Schluss sogar nach Jordanien: Hier schließt sich für den Reporter auf eigentümliche Weise der Kreis.

Die Annäherung zwischen Jacques und Anna als zwei verlorene Seelen ist aber das, worum es dem Film eigentlich geht. Vincent Lindon spielt seine Figur als hartgesottenen Kriegsreporter, dahinter liegt offen genug ein verletzter und doch berührbarer Mann. Und so zierlich und mädchenhaft die grandiose Galatéa Bellugi ist, so zart sie diese Anna anlegt, so zu allem entschlossen ist diese Figur. „Ich lüge nicht“, sagt sie wieder und wieder und unternimmt es, die Wahrheit durchs selbst auferlegte Hunger-Martyrium zu beweisen. Jacques recherchiert ihre Geschichte, besucht die Pflegefamilie, die sie wieder verließ. Erfährt von ihrer Wendung zum Glauben, dem Rückzug ins Kloster.

Wie nahe die beiden einander wirklich kommen, ist dennoch die Frage. Eher sind es Lebensbahnen, die sich an entscheidender, aber unglücklicher Stelle berühren. Anna ist wild entschlossen, in einer Mischung aus eigener und göttlicher Kraft sich selbst zu erlösen. Und Jacques, nach dem Tod seines Freundes so verstört wie erlösungshungrig, ist nur zu bereit, sich vom Schicksal der jungen Frau bewegen zu lassen. Zwei Menschen – und kollateral noch viel mehr –, die die eine des andern bedürfen, die einander aber, und sei es in aller Unschuld, benutzen.

Der Film hält sich die Entscheidung zwischen beidem in den oft sehr schönen Bildern des Kameramanns Eric Gautier offen. Er liebt das Gesicht seiner Heiligen im Wissen darum, dass sie womöglich doch keine ist. Die Unentschiedenheit in Sachen Wunder ist eher Stärke als Schwäche. „L’apparition“ ist auf meist sehr gute Weise tariert: zwischen Glauben und Skepsis, zwischen intimem Porträt und den Finessen der vatikanischen Maschinerie, zwischen staunendem, hinnehmendem und analytischem, kritischem Blick. Er fällt kein Urteil, wenngleich am Ende sehr klar ist, dass sich die wundersüchtige Welt hier an einer jungen Frau versündigt, der auf Erden zu helfen gewesen wäre. Allerdings nicht, indem man um jeden Preis glauben will, was sie sagt. Wunder sind tödlich, wenn sie außer Kontrolle geraten.

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