Filmporträt Michael Althen: Dokument nachgerufener Liebe

Mit „Was heißt hier Ende?“ würdigt Dominik Graf den verstorbenen Filmkritiker Michael Althen. Es fehlt aber etwas Entscheidendes.

Szene aus dem Film

Filmszene aus „Was heißt hier Ende?“

Michael Althen fehlt. So viel steht fest. Er war eine wichtige Stimme der deutschen Filmkritik seit den achtziger Jahren, bis zu seinem frühen, viel zu frühen Tod 2011. Er war wichtig nicht nur als Journalist, dessen Texte viele Leserinnen und Leser und gar nicht so selten auch die von ihm Kritisierten nicht nur lasen, sondern liebten. Dazu genoss er den Respekt aller mir bekannten Kollegen, als Mensch und als Autor.

Er verkörperte sehr überzeugend eine späte Spielart der Cinephilie als Lebensform, die sich in die großen Gefühle und Bilder auf der Leinwand hineinimaginiert. In einem schönen Buch mit stark autobiografischen Zügen, „Warte, bis es dunkel wird“, hat Althen über diese anachronistische Existenzauffassung geschrieben. Und er hatte, oder entwickelte doch, vom Kino, was noch wichtiger war, einen umfassenden Begriff.

Zwar war das schon, wie bei weiten Teilen des kritischen Mainstreams, auf Hollywood und Europa fixiert, aber mit einer Offenheit für andere, ihm zunächst fremde Formen, übrigens auch des Schreibens, und für andere Künste. Er war begeisterungsfähig nicht nur für das, was ihm sowieso nah war, sondern auch für und durch den Blick über Grenzen.

So war er einer der wenigen, die während des Festivals in Venedig immer wieder den Weg aus der Lido-Festivalblase ins Arsenale und zu den Giardini suchten, um die Bilder der Kinowelt mit den auf der Biennale gezeigten (Bewegt-)Bildkonzepten der Kunstwelt zu konfrontieren und seine eigenen Maßstäbe auf diese Weise zu rekalibrieren. Über Literatur schrieb er auch, insbesondere über die Bücher von Patrick Modiano, eines Seelenverwandten.

„Was heißt hier Ende?“. Regie: Dominik Graf, Dokumentarfilm, Deutschland 2015, 120 Min.

Man hätte so gern noch lange Jahre sein Schreiben verfolgt

Und ein paar Jahre vor seinem Tod hat er durch äußeren Anstoß das Theater für sich entdeckt, mit dem er zuvor wenig anfangen konnte. Man hätte so gern noch lange Jahre sein Schreiben verfolgt, weil er zwar einerseits verlässlich stets ganz er selbst war, man andererseits aber sicher sein durfte, dass seine Liebe anderswo hin- und dass sein Urteil anders ausfallen konnte, als es in der Münchner Kohorte der Kollegen und Freunde der Fall war.

Diese Kohorte der Kollegen und Freunde hat jetzt einen Film über den von ihnen geliebten Menschen und Autor Michael Althen gemacht, mit dem Titel „Was heißt hier Ende?“. Ein Dokument nachgerufener Liebe, das es sogar ins Kino geschafft hat, ungewöhnlich genug, denn Filmkritiker sind ja nun in der Regel kein Gegenstand großer öffentlicher Aufmerksamkeit.

Selbst Althen nicht, der mit seinem blendenden Aussehen und der Selbststilisierung als einsamer Wolf die Pose des Filmstars unter den deutschen Kritikern kultivierte. Und was kann schiefgehen, denkt man, wenn Dominik Graf diesen Film macht: Er war ein enger Freund des Kritikers bis ans Grab, sie haben zwei sehenswerte Filme gemeinsam gedreht, nicht zuletzt ist Graf auch als essayistisch geneigter Dokumentarfilmer über die Jahre immer interessanter geworden. Leider ist „Was heißt hier Ende?“ aber doch eher missraten.

In der Form die Simulation eines Desktops, auf dem Talking-Head-Szenen ins Bild geschoben, nebeneinandergestellt, aufgezogen und weggeklickt werden; dazwischen sind Stills, Aufnahmen, Material anderer Art gemischt: Man sieht den jungen und den späten Althen, die Eltern in Unterhaching, Frau und Kinder in Berlin-Charlottenburg, Charles Schumann, Betreiber der von den Freunden zu Münchner Zeiten viel frequentierten gleichnamigen Bar, dazu Zeitungsseiten und Zeitschriftencover, Ausschnitte aus Filmen, über die Althen schreibt und die er mit Graf gedreht hat, aus einem unvollendeten Film von Althen und seiner Frau über den Maler Nicolas de Staël, dazu Bilder aus Cannes und Venedig, auch kurze Statements von Regisseuren wie Tom Tykwer und Christian Petzold.

Ottonormalhagiografisch

Zwischendurch liest Graf Texte des Freundes, es sind vorzugsweise jene, in denen er Hollywoodstars adoriert, und es spielt die diesmal sehr dick und schwelgerisch aufgetragene Musik von Grafs Hauskomponisten Sven Rossenbach und Florian von Volxem.

So weit ist das einigermaßen ottonormalhagiografisch. Der Ehrgeiz geht aber über die reine nachgetragene Liebeserklärung hinaus, denn Graf will auch eine Geschichte der deutschen Filmkritik seit den achtziger Jahren erzählen – als deren Mittelpunkt er Althen und die er im Niedergang sieht. Die aufgerufenen Zeugen und Journalistenkollegen aus Grafs Kohorte wollen ihm da kaum widersprechen: von Stephan Lebert (heute bei der Zeit) bis Claudius Seidl (Feuilletonchef der FAS), von Wolfgang Höbel (Redakteur beim Spiegel) bis Harald Pauli (Focus).

Das ist der enge Kreis, sie sehen sich – und Althen – als die Heroen, nach denen so recht nichts mehr kommt. Spürbar und sichtbar geht es noch dazu mit dem Journalismus, wie sie ihn kannten, mit dem Milieu, in dem sie ihre Karrieren gemacht, an dem sie ihr Begehren nach Ruhm und Erfolg ausgerichtet haben, zu Ende.

Was der Film eher unfreiwillig sichtbar macht, ist die Beschränktheit dieses Milieus. Der antiintellektuell-sentimentale, heteronormativ-männerbündnerische Ton der Subjektivisten-Kohorte sticht doch etwas unangenehm hervor. Graf lässt hier und da andere Stimmen sprechen, aber sein inzwischen leider auch ziemlich ausgewachsener Hang zur kulturkritischen Nostalgie arbeitet den entwickelten Verfallstheoremen nicht gerade entgegen. Das ist sehr schade. Denn gerade das, was an Althen schätzenswert war, seine Neugier, seine Offenheit, seine Fähigkeit, sich für noch nicht Vertrautes zu begeistern, geht in diesen herbstlichen Anwandlungen alternder Männer fast völlig unter.

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